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14.09.2008 , 18:18 Uhr
Rettungsgipfel für Lehman am Rand des Scheiterns
Finanzsektor droht ein Flächenbrand
Die Finanzkrise weitet sich immer stärker aus und könnte in dieser Woche zu Verwerfungen von nicht gekannten Ausmaßen führen. Im Epizentrum des Bebens: ein möglicher Kollaps der angeschlagenen viertgrößten US-Investmentbank Lehman Brothers.
Beim Gipfeltreffen praktisch aller Bankenchefs an der Wall Street im Gebäude der New Yorker Zentralbank war bis zum Sonntagnachmittag New Yorker Zeit noch keine Lösung gefunden worden. Zeitgleich gab es Spekulationen über Notoperationen beim weltgrößten Versicherer AIG und den Notverkauf der größten US-Sparkasse Washington Mutual.
In den Verhandlungen über die Zukunft von Lehman unter Führung des New Yorker Fed-Chefs Timothy Geithner zeichnete sich zwar eine Aufspaltung des Krisenopfers ab. Allerdings drohte diese Lösung an der Weigerung der US-Regierung zu scheitern, vor einem Verkauf der Einzelteile erneut Steuermilliarden für die Übernahme von Risiken zu investieren. Im März, als der Broker Bear Sterns vor dem Kollaps stand, hatte die Fed 29 Mrd. Dollar investiert, bevor das Institut an den Wettbewerber JP Morgan verkauft wurde. Weil zudem die beiden Immobilienfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae durch Verstaatlichung vor der Insolvenz gerettet wurden, wächst die Ablehnung für weitere Hilfen. So sind auch die beiden US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain nach Aussagen ihrer Wahlkampfmanager für eine privatwirtschaftliche Lösung.
Lehman war einer der größten Kredithändler im US-Immobilienboom der vergangenen Jahre. Nach dem Kollaps der Hypothekenmärkte im Sommer 2007 führten Abschreibungen auf Kreditportfolios zu Verlusten von fast sieben Mrd. Dollar. Versuche, frisches Kapital zu beschaffen, scheiterten zuletzt. Furcht vor Liquiditätsproblemen und darauf folgend der Abzug von Kundengeldern bei Lehman führten bis zum Freitag zu einer dramatischen Zuspitzung der Situation.
Diskutiert wurden am Wochenende die Ausgliederung des 84 Mrd. Dollar großen toxischen Kreditportfolios in eine separate Einheit und die Übernahme des Kerngeschäfts durch einen Konkurrenten. Als aussichtsreichste Kandidaten galten die britische Barclays, die US-Geschäftsbank Bank of America sowie die weltweit führende Investmentbank Goldman Sachs. Für die Kredite sowie die Vermögensverwaltung interessierten sich Finanzkreisen zufolge vor allem Privat-Equity-Firmen.
Weltweit hofften Politiker, Finanzmanager und Zentralbanker auf eine Lösung noch am Wochenende. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück appellierte an die USA, "bis zur Öffnung der asiatischen Märkte Montag früh eine Lösung zu finden". Es gebe "schwere Verwerfungen" auf dem US-Bankenmarkt, fügte er hinzu. Viele Banker sprachen von einem Blutbad, wenn Lehman tatsächlich bankrottgehe. Der dann nötige Abverkauf von Hypotheken könnte andere Institute zu weiteren Milliardenabschreibungen zwingen. Allerdings gab es auch Stimmen, die einen Bankrott als heilsam für die zuletzt sehr risikofreudigen Banker bezeichneten. Es werde noch weitere Bankzusammenbrüche geben, sagte etwa Ex-Notenbank-Chef Alan Greenspan. "Und wir sollten nicht jedes einzelne Institut schützen. Das Wirtschaftsleben kennt eben Gewinner und Verlierer."
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