TILP Rechtsanwälte: Aktuelle Informationen zum Fall Wirecard
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachfolgend berichten wir Ihnen über den aktuellen Stand der Verfahren und Entwicklungen im Fall Wirecard.
Über die Handlungsoptionen, die sich daraus für Sie ergeben, und die damit verbundenen Kosten werden wir Sie in einem gesonderten Schreiben informieren, welches wir ab Ende Juli versenden.
- Erste Amtshaftungsklage gegen die BaFin
Am Donnerstag, 23. Juli 2020, haben wir vor dem Landgericht Frankfurt am Main die erste Klage gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhoben. Der Klagvorwurf lautet auf jahrelangen Amtsmissbrauch durch die BaFin im Fall Wirecard. Begründet haben wir den Amtsmissbrauch damit, dass die BaFin zumindest leichtfertig ihre gesetzlichen Pflichten sowohl zur Aufklärung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulationen durch Wirecard als auch zur richtigen und vollständigen Information der Öffentlichkeit und des Kapitalmarktes verletzt hat.
Nach unserer Überzeugung haftet die BaFin zumindest für alle Erwerbe von Wirecard-Aktien und der Wirecard-Anleihe sowie Derivaten auf die Wirecard-Aktie, die ab dem 18. Februar 2019 erfolgten, auf Schadenersatz. Die BaFin hat sich unseres Erachtens jahrelang unter grober Missachtung ihrer gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse eigener Ermittlungen gegenüber der Wirecard AG wegen Marktmanipulation verweigert und einseitig gegen Journalisten und Leerverkäufer agiert, obwohl ihr zahlreiche Hinweise auf massive Unregelmäßigkeiten bei der Wirecard AG vorlagen. Ebenso einseitig waren die öffentlichen Verlautbarungen der BaFin über die Verdachtsmomente im Fall Wirecard, so dass der Kapitalmarkt hierdurch verzerrt und damit falsch informiert wurde. Nach dem Wertpapierhandelsgesetz (§ 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 WpHG) muss die BaFin bei Anhaltspunkten auf Marktmanipulation den Sachverhalt ermitteln, diese Pflicht hat sie uneingeschränkt für jedes börsennotierte Unternehmen, nicht nur für Kreditinstitute.
Der BaFin kommt nach unserer Auffassung auch keine wie auch immer geartete Haftungsprivilegierung zugute. Insbesondere greift nach unserer Analyse § 4 Abs. 4 des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (FinDAG) nicht. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (z.B. Urteil vom 20.01.2005, III ZR 48/01) anerkannt, dass diese Norm in Fällen des Amtsmissbrauches einer Haftung der BaFin nicht entgegensteht.
Im Rahmen unserer Klage haben wir zugleich die Einleitung eines Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) beantragt, um Ihnen die kostengünstigste und zugleich wirkungsvollste Variante der Rechtsdurchsetzung gegenüber der BaFin zu ermöglichen. Denn wir meinen, das dieses Gesetz auch für den im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 839 BGB) geregelten Amtshaftungsanspruch gegen die BaFin gilt.
Unser Frankfurter Musterverfahren gegen die BaFin ist zu trennen von unserem Münchner Musterverfahren gegen Ernst & Young u.a. (dazu unten), die BaFin kann nur in Frankfurt a.M. verklagt werden, ein einheitliches Musterverfahren nur in München ist nach unserer rechtlichen Prüfung gegen die BaFin nicht möglich. - Haftbefehle gegen Wirecard-Manager
Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen im Fall Wirecard sind am 22. Juli 2020 drei Haftbefehle gegen frühere Führungskräfte des Konzerns ergangen, nämlich gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun, den ehemaligen Wirecard-Finanzvorstand Burkard Ley und einen ehemaligen Leiter des Accountings. Die den Haftbefehlen zugrunde liegenden Vorwürfe der Staatsanwaltschaft München lauten unter anderem auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug und Marktmanipulation, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Mittwoch in München.
Etwaige Erkenntnisse aus den strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu den haftungsbegründenden Vorgängen werden wir im Rahmen der von uns geführten Zivilverfahren selbstverständlich verarbeiten. - Pilotklage gegen Wirecard, Ernst & Young und (Ex-)Vorstände
Im Hinblick auf die von uns in München geführte Pilotklage gegen die fünf Beklagten Wirecard AG, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young sowie die (Ex-) Vorstände Braun, Marsalek und von Knoop gibt es noch nichts Neues zu berichten. Die im Rahmen der Klagerweiterung in Anspruch genommenen Wirtschaftsprüfer sowie die (Ex-) Vorstände werden voraussichtlich zunächst erklären, sich gegen die Klage verteidigen zu wollen und erst nach mehreren Wochen (ggf. auch Monaten) inhaltlich zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Solche Zeitabläufe sind normal.
Dadurch, dass wir in unserer Pilotklage bereits Musterverfahrensanträge nach dem KapMuG gestellt haben, haben wir München als Gerichtsort für das Musterverfahren gegen die vorgenannten fünf Beklagten fixiert. Unabhängig davon werden wir jedoch innerhalb der nächsten Wochen weitere Klagen einreichen und zusätzliche Musterverfahrensanträge stellen, um den Erlass eines sog. Vorlagebeschlusses durch das Landgericht München I binnen der gesetzlichen Sechsmonatsfrist zu erreichen, so dass das Musterverfahren dann beim Bayerischen Obersten Landesgericht beginnen kann. - Insolvenzverfahren Wirecard
Derzeit besteht noch das Stadium des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Aktuell prüft der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Jaffé, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorliegen ? wovon per heute auszugehen ist. TILP-Anwalt Marvin Kewe ist Mitglied des (vorläufigen) Gläubigerausschusses und vertritt in dieser Funktion die Interessen der geschädigten Investoren.
Vorrangiges Ziel eines Insolvenzverfahrens ist gemäß § 1 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO), die Forderungen der Gläubiger durch Verwertung des pfändbaren Schuldnervermögens, der sogenannten Insolvenzmasse, zu erfüllen. Diese Gläubigerbefriedigung erfolgt grundsätzlich gemeinschaftlich: Das Verfahren bezweckt, möglichst allen Gläubigern zumindest anteilig ihre Forderungen auszubezahlen. Die Auszahlung erfolgt nach der Insolvenzquote. Die Insolvenzquote beziffert in Prozent den Anteil der Gläubigerbefriedigung nach Abschluss des Insolvenzverfahrens. Sie sagt also aus, wie viel Prozent jeder Gläubiger auf den festgestellten Anteil der von ihm angemeldeten Forderung erhält. Errechnet wird sie aus dem Verhältnis der verteilbaren Insolvenzmasse zu den festgestellten Insolvenzforderungen.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Insolvenzverwalter eine Frist zur Anmeldung der Forderungen durch die Gläubiger bekannt machen. Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine Ausschlussfrist, sodass eine Anmeldung auch nach Ablauf der Frist noch möglich ist. Diese wäre aber mit erhöhten Kosten verbunden. Nach erfolgter Anmeldung werden diejenigen Forderungen, die der Insolvenzverwalter als berechtigt ansieht, zur Insolvenztabelle festgestellt. Diese Forderungen nehmen dann an der Verteilung der Insolvenzmasse teil.
Derzeit lässt sich noch keine konkrete Aussage zum möglichen Volumen der zu verteilenden Insolvenzmasse treffen. Wie Sie der Presse entnehmen konnten, hat der Insolvenzverwalter begonnen, die Sachlage im Konzern zu ordnen. Teils wurde bereits begonnen, einzelne Konzerngesellschaften zum Verkauf zu stellen, bzw. einzelne Konzerngesellschaften haben sich hier schon selbst in den Fokus gerückt. Auch bleibt abzuwarten, ob und in welcher Höhe die veruntreuten Gelder zur Insolvenzmasse gezogen werden können. Aufgrund heutiger Informationslage gehen wir davon aus, dass es zu einer nicht unerheblichen Insolvenzmasse kommen dürfte, sodass Ihre Schadenskompensation hierdurch verbessert/erhöht werden dürfte.
Zu beachten ist: Als geschädigter Aktionär der Wirecard AG können Sie nur dann in den Rang eines ?normalen? Insolvenzgläubigers vorrücken, wenn Sie Ihre Schadensersatzforderung hinreichend fundiert geltend machen, so dass der Insolvenzverwalter diese zur Insolvenztabelle feststellt. Entsprechendes gilt für Schäden in der Wirecard-Anleihe und in Derivaten auf die Wirecard-Aktie.
Selbstverständlich bieten wir an, die Forderungsanmeldung für Sie zu übernehmen. Auch insoweit werden wir Sie demnächst über die hierdurch entstehenden Kosten informieren, bevor Sie Ihre Entscheidungen treffen. - Mitarbeit renommierter Wissenschaftler und Gutachter
Unsere Kanzlei hat sich für den Fall Wirecard die Unterstützung renommierter Wissenschaftler und Gutachter gesichert, welche mit uns aktiv an unseren Muster- und Pilotklagen mitarbeiten. Dies sind
Prof. Dr. Reinhard Heyd, Universität Ulm, Experte für nationale und internationale Rechnungslegung. Prof. Dr. Lars Klöhn, Humboldt-Universität zu Berlin, Experte für nationales und internationales Kapitalmarktrecht. Prof. Dr. Edgar Löw, Frankfurt School of Finance & Management, Experte für nationale und internationale Bilanzierung. - Weiteres Vorgehen
Inzwischen haben sich rund 50.000 geschädigte Wirecard-Anleger bei unserer Kanzlei gemeldet, so dass wir davon ausgehen, in den anstehenden (Klage-) Verfahren die größte Gläubigergruppe zu vertreten und dementsprechend großen Einfluss auf die Verfahren ausüben zu können, was dann jedem unserer Mandanten zugute kommt.
Angesichts der großen Zahl von Anfragen müssen wir Sie zugleich weiterhin um Ihr Verständnis dafür bitten, dass wir nicht jede Rückfrage direkt und individuell beantworten können. Würden wir dies tun, so wäre die sorgsame Vorbereitung und Durchführung der Verfahren gefährdet, was nicht in Ihrem Interesse läge. Wir bitten daher weiterhin, von einzelnen Anfragen (vor allem auch zu den Kosten) abzusehen. Wir werden Ihnen zeitnah alle erforderlichen Möglichkeiten aufzeigen.
Derzeit sind auch keine Fristen einzuhalten, so dass Ihnen hierdurch keinerlei Nachteil droht. Wie oben bereits angekündigt, werden wir baldmöglichst auf Sie zukommen und Ihnen Ihre Handlungsoptionen sowie die damit verbundenen Kosten mitteilen.
Vielen Dank für Ihr Verständnis und Ihre Geduld.
Axel Wegner Marvin Kewe Rechtsanwalt Rechtsanwalt | Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Kontakt:
TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Fachanwälte für Bank- und Kapitalmarktrecht Einhornstr. 21 | 72138 Kirchentellinsfurt | Germany Tel.: +49 7121 90909-38 Fax: +49 7121 90909-81 Mail: wirecard@tilp.de www.tilp.de
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