Ganz unterhaltsam, was "man" vor 9 Jahren über Rosnetegaz schrieb -------------------------------------------------- Euro am Sonntag Archivbericht Das Phantom der Börse 19.12.1999 - Ausgabe 51/99
"Der Pipeline-Bauer Rosneftegazstroy ging vor zwei Jahren an die Berliner Börse. Seither ließ die Firma nichts mehr von sich hören. Das Unternehmen ist entweder der am besten versteckte russische Riese oder ein ganz großer Bluff.
Moskau, August 97. Goldgräberstimmung: Russische Aktien hatten seit Februar 1995 im Durchschnitt um rund 450 Prozent zugelegt. Doch nur wenige internationale Investoren verdienten daran. Denn der Aktienhandel in Moskau ist kompliziert. Und für Ausländer gibt es zudem strenge gesetzliche Auflagen. Damit auch Privat-Anleger profitieren können, gibt es eine Hintertür: Depositary Receipts ? besser bekannt als ADR?s oder GDR?s. Dafür hinterlegen Unternehmen eigene Aktien bei Banken. Diese geben dann Papiere mit verbrieften Bezugsrechten heraus. Diese ADR?s oder GDR?s können auch an der deutschen Börse gehandelt werden. Im Spätsommer 1997 wurden für russische Aktien viele ADR-Programme aufgelegt. Ganz dick im Geschäft: die Bank of New York, der Marktführer auf diesem Gebiet. Eines der Unternehmen, das so noch kurz vor dem Höhepunkt der Hausse den Weg an die deutsche Börse fand, ist Rosneftegazstroy. Dieses Unternehmen bezeichnet sich als offizieller Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für den Bau von Gas- und Ölförderungsanlagen sowie Pipelines. Es heftet sich daher auch die Konstruktion eines angeblich ""500000 Kilometer langen Leitungs-Netzes zwischen Südamerika und Asien"" an die eigenen Fahnen, obwohl die Leitungen zu Sowjetzeiten verlegt wurden. Das operative Geschäft liegt in Händen einer unüberschaubaren Zahl von Tochtergesellschaften. Seit Mitte September 97 wird das ? nach eigenen Angaben ? zu den weltgrößten Infrastruktur-Gesellschaften zählende Unternehmen an der Berliner Börse notiert. Am ersten Tag wechselten 42000 Anteile zu Kursen um 19 Euro die Besitzer. Viel höher sollte es nicht mehr gehen. Sein Allzeithoch erreichte der Kurs der ADR?s, die jeweils eine halbe Stammaktie repräsentieren, bereits am 13. Oktober 97 bei 20,71 Euro. Danach ging es steil bergab: Wirtschafts-Krise in Russland. Heute liegt der Kurs bei etwa zwei Euro. Doch woher kommen eigentlich die Anteilscheine, die bei der Bank of New York hinterlegt wurden? Dubios ist, dass das Unternehmen, trotz seiner angeblich immensen Bedeutung für die russische Wirtschaft, an der Moskauer Börse zuvor nie aufgetaucht ist ? dafür auf den British Virgin Islands. Dort war der Sitz der RNGS Holding BVI, ein Unternehmen, dass rund zehn Prozent an Rosneftegazstroy hielt. In den Jahren 95/96 wurden in einer Privatplatzierung Hinterlegungszertifikate bei Großinvestoren untergebracht. Hierzu zählten zum Beispiel die DB Morgan Grenfell, Alliance Capital ? sowie ein ominöser Mister Allen aus Texas als Hauptaktionär. Für ihre Anteile sollen diese Investoren nach Aussagen von Gerd Jacob, Associate Director des Hongkonger Unternehmens AJG Investments Ltd., rund 90 Millionen US-Dollar auf den Tisch gelegt haben. Jacob beriet Rosneftegazstroy von 1997 bis Anfang 1999 in finanziellen Angelegenheiten. Sollte diese Angabe stimmen, war?s kein lukratives Geschäft: Ihre Anteile an Rosneftegazstroy ? kurz Rosneft ? hätten die Großaktionäre dann mit maximal 30 Prozent Gewinn verkaufen können. Zur gleichen Zeit konnte man an Moskaus Börse seinen Einsatz verfünffachen. Übrigens: Die RNGS Holding, die seit 96 in Wien notiert hatte, wurde nach Einführung der Rosneft-ADR?s aufgelöst. Laut EURO vorliegenden Unterlagen gab es jedoch mindestens zwei Klassen von RNGS-Aktien ? Stämme und Vorzüge. Entsprechend dürften für die Anteile auch unterschiedliche Preise gezahlt worden sein. Marktkenner gehen davon aus, dass nicht alle Gesellschafter voll für ihre Anteile eingezahlt haben. So wird vermutet, dass Mister Allen aus Texas, der auch im Vorstand des Unternehmens saß, ein Strohmann des Managements war. Mit den über ihn platzierten Anteilen dürften sich die Manager eine goldene Nase verdient haben. Selbst die Bank of New York warnte im März 1998 Anleger, dass die Ausgabe von neuen Aktien russischer Gesellschaften oft nur vom Management kontrolliert werde. Unabhängige Stellen stehen außen vor. Die Umleitung von Gewinnen aus den operativ tätigen Tochtergesellschaften in Holding-Gesellschaften ? sprich in die Taschen des Managements statt in die der Aktionäre ? wurde damals ebenfalls als weit verbreitetes Übel angeprangert. Dubios auch die Gewinnprognosen von Rosneft: Vor der Einführung der ADR?s in den Berliner Freiverkehr hatte Vorstands-Chef Dr. Ivan Mazur für 1997 einen Reingewinn von umgerechnet 105 bis 120 Millionen Mark versprochen. 1998 sollten es dann sogar 225 Millionen Mark sein. Bis zum Jahr 2011 prognostizierte der Rosneft-Lenker gar ein Auftragsvolumen von rund 25 Milliarden US-Dollar und Gewinnmargen von bis zu 15 Prozent. Doch die offizielle Bilanz liest sich heute völlig anders: Der Gewinn schrumpfte von 18 Millionen (1997) auf ganze 0,5 Millionen Mark im vergangenen Jahr. Ob diese Zahlen wirklich stimmen, bleibt hingegen unklar: Die 98er Bilanz ist weder testiert, noch gibt es darin einen Hinweis auf den Verfasser. Sie könnte also auch ein reines Fantasiegebilde sein. Viel Mühe haben sich die Ersteller dabei sowieso nicht gegeben: So weist zum Beispiel die Ertragsrechnung ein ""Loch"" von 58 Millionen Rubel ? umgerechnet rund 3 Millionen Mark ? auf. Eine Begründung dafür fehlt. ""Die vorgelegte Gewinn- und Verlustrechnung ist nur eine grobe, unstrukturierte Zusammenfassung"", urteilt denn auch der auf Russland spezialisierte Aktienanalyst Wolfgang Heenen von der HolBe AG. ""In Verbindung mit dem undurchsichtigen Netz von Tochtergesellschaften öffnet das der Möglichkeit zur Manipulation Tür und Tor. Es ist skandalös, dass so etwas von der Bank of New York akzeptiert wird."" Vor der ADR-Platzierung hatte Vorstands-Chef Mazur Bilanzen nach westlichen Standards und regelmäßig erscheinende Aktionärsbriefe auf Englisch versprochen. Beides blieb er bisher schuldig. Noch schlimmer: Nach der Notierung wurde es totenstill um die Gesellschaft. Für Charles van Musscher von der Berliner Freiverkehr AG, die den Börsengang von Rosneft begleitete, ist die ganze Sache ""ein leidiges Thema"". Es gebe praktisch keinen Kontakt zur Gesellschaft. Lapidare Begründung: ""Von einem Unternehmen wie Rosneftegazstroy kann man keine Informationen erwarten."" In der Pflicht gegenüber Aktionären sieht sich van Musscher nur insofern, als er ihnen durch die Beibehaltung der Notierung eine Ausstiegsmöglichkeit lässt. Auch Ex-Berater Jacob, der nicht mehr für das Unternehmen aktiv ist, rechnet in den kommenden beiden Jahren nicht mit einer grundlegenden Verbesserung der Transparenz. Vor einem Jahr habe eine Prüfungsgesellschaft versucht, ein wenig Licht ins russische Dunkel zu bringen. Nach kurzer Zeit sei das Vorhaben jedoch wieder aufgegeben worden. Auch in Moskauer Investmentbanken findet man niemanden, der zu dem Unternehmen etwas sagen will oder kann. Die einzige Analyse wurde von dem unbedeutenden Brokerhaus Dover Capital erstellt ? das einhellige Expertenurteil: unbrauchbar. Erstaunlich, dass die ADR?s trotz dieses Informationsmangels in Deutschland stark gehandelt wird. Für Anleger ein riskantes Spiel: Russisches Roulette eben."
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