mal was zum Nachdenken ...
Donnerstag, 30. Dezember 2004 Die "Theodizee-Frage" Wie kann Gott das zulassen?
Die Augen der Frau in Indien sind schmerzerfüllt, als sie ihre Arme nach ihrem toten Ehemann ausstreckt. Weinende Kinder stehen verlassen vor den Trümmern ihres Lebens - wieder hat es die Ärmsten der Armen getroffen, mit mörderischer Naturgewalt. Angesichts einer Katastrophe wie in Südostasien rückt letztlich auch die Frage nach Gott wieder in den Mittelpunkt. "Wie kann er so etwas zulassen?", fragen sich Gläubige. Diese so genannte "Theodizee-Frage" ist einer der zentralen Punkte der Theologiegeschichte - Gelehrte in aller Welt versuchen seit Jahrhunderten, plausible Erklärungen für Überschwemmungen, Kriege und Leid zu finden. Das 1697 vom deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz geprägte Wort setzt sich aus den griechischen Substantiven "théos" (Gott) und "diké" (Gerechtigkeit) zusammen. Wo ist Gottes Gerechtigkeit angesichts der Übel in der Welt? Pater Eberhard von Gemmingen, der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von "Radio Vatikan" in Rom, versucht eine Antwort: "Das Tun Gottes können wir nicht verstehen. Solche Katastrophen können uns daran erinnern, dass wir Gott nicht in die Karten schauen, dass sein Tun ein Geheimnis, ein Mysterium ist, manchmal ein sehr schmerzliches Geheimnis." Und tatsächlich ist der Sinn hinter derartigem Leid für den menschlichen Geist kaum nachvollziehbar. Bei Dürre und Erdrutschen kann man vielleicht noch die vom Menschen verursachten Eingriffe in die Natur verantwortlich machen, bei Kriegen sind sowieso die Menschen selbst für Mord und Tod verantwortlich. Aber bei Erdbeben gibt es keine Schuldigen. Und es ist auch schwierig, hierfür das Konzept der "Erbsünde" heranzuziehen, wonach die ganze Menschheit seit Adams Verfehlung ihrer Natur nach schuldhaft geworden ist. Die Apokalypse von Südostasien ist ein rein geologisches Ereignis, sie wurde durch die Bewegung der Kontinentalplatten verursacht. Es gibt keine Schuldigen. Wohl gerade deshalb haben Erdbeben seit jeher die Frage nach der Gleichgültigkeit der Natur und der Rolle Gottes angeregt. Als 1755 das schwere Erdbeben von Lissabon 30.000 Menschen in den Tod riss, schien sich Leibniz' Theorie der "besten aller möglichen Welten" plötzlich ins Gegenteil zu verwandeln. Voltaire schrieb damals: "Man wird Mühe haben, zu erraten, wie die Gesetze der Bewegung so entsetzliche Verwüstungen in der besten aller möglichen Welten anrichten. Welch trauriges Spiel des Zufalls ist doch das Spiel des menschlichen Lebens!" Schopenhauer sprach später sogar von der "schlechtesten aller möglichen Welten", in der primär Schmerz und Leid vorherrschen, während Freude und Glück der Ausnahmezustand sind. Dabei hatte eigentlich schon Jesus die Theodizee-Frage aufgelöst, als er lehrte, dass das Übel in erster Linie eine Herausforderung an den Glauben ist, dass Gott gerecht ist, dass es eine Jenseitshoffnung gibt und leidenden Menschen im Paradies Gerechtigkeit widerfahren wird. So wird der Glaube an ein Leben nach dem Tod für die Menschen zum Trost auch in der schlimmsten Katastrophe. Aber verstehen können wir trotzdem nicht, so Pater von Gemmingen: "Wir können nicht verstehen, wir können nur vertrauen, dass hinter allem doch ein Sinn steckt, den wir eines Tages in Seinem hellen Licht erkennen können. Heute aber bleiben wir im Dunkeln."
So long (oder doch besser short?) Kalli
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