GEWALT GEGEN POLIZEI IN EUROPA
Betroffenheit allein reicht nicht
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Mai-Krawalle in Berlin-Kreuzberg 2003: Ein bei Ausschreitungen verletzter Polizist muss von Sanitätern behandelt werden. Foto: dpa |
"Another Day at Work" ("Ein neuer Tag im Dienst") - ein neuer Tag mit altbekannten Risiken: beschimpft, geschlagen, verletzt oder gar getötet zu werden. Der englische Titel deutet es an: so heißt das Video, das die European Confederation of Police (EUROCOP) für ihren Kongress Ende September 2003 in Luzern fertigen ließ. Unverkennbares Vorbild ist das GdP-Video "Ein sicherer Arbeitsplatz". Auch das EUROCOP-Video löste bei den Betrachtern aus Politik, Wissenschaft und Polizeiführung tiefe Betroffenheit aus. Nur - Betroffenheit allein reicht nicht. Daher hatte der EUROCOPKongress eine Resolution verabschiedet, die die Grundlage für ein abgestimmtes Vorgehen der 25 Polizeigewerkschaften und -berufsorganisationen aus 18 Ländern bildet. Das Ziel: die deutliche Verbesserung der persönlichen Sicherheit von Polizistinnen und Polizisten.
Dafür ist vor allem ein grundlegender Wandel in der gesellschaftlichen Haltung zur Gewalt notwendig. Das ist ein großes und vor allem langwieriges Thema, aber es beginnt mit einer Banalität: Die Gefahr, im Dienst angegriffen zu werden, wird in der Öffentlichkeit oft mit einem Schulterzucken als "Berufsrisiko" abgetan. Das kann und darf man nicht länger hinnehmen. Eine solche Haltung bagatellisiert das Problem und entschuldigt gleichsam Attacken auf Polizistinnen und Polizisten.
Dass in der Uniform ein Mensch steckt, wird - so die bittere Erkenntnis von EUROCOP - auch in den Medien, abgesehen von rühmlichen Ausnahmen, zunehmend vernachlässigt. Nicht selten wird argumentiert, dass das Berufsrisiko in anderen Berufen wie z. B. beim Dachdecker deutlich größer sei. Das ist ein unzulässiger Vergleich, weil ein Unfall eben nicht dasselbe wie ein bewusster und gezielter Angriff ist.
Wie groß inzwischen das Problem der Gewalt gegen die Polizei geworden ist, belegen folgende Zahlen, die in der Resolution genannt werden: - Die Schweiz verzeichnete im Jahr 2002 bei Drohungen und Gewalttätigkeit gegen Polizisten eine Zunahme von 51 Prozent.
- In Deutschland wurden zwischen 1997 und 2001 13 Polizistinnen und Polizisten von Kriminellen getötet.
- In Spanien wurden zwischen 1997 und 2001 21 Polizisten durch kriminelle Straftäter getötet. Elf davon waren Opfer terroristischer Anschläge.
- Statistisch gesehen wurde jeder Polizist in England und Wales zwischen 1992 und 2002 mehr als einmal verletzt.
- In Dänemark wurde im gleichen Zeitraum jeder sechste Polizist verletzt.
- Nach dem EU-Gipfel in Göteborg im Jahr 2001 meldeten 25 Prozent der eingesetzten Beamten Verletzungen.
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In der EUROCOP-Resolution heißt es dazu: "Gewalt gegen Polizisten ist Gewalt gegen die Gesellschaft als Ganzes. Eine Gewalttätigkeit gegen einen Polizisten ist eine Gewalttätigkeit gegen die persönliche Integrität des Beamten und gleichzeitig gegen den Staat." Und weiter: "Die Polizei ist eine Institution, die innerhalb der Schranken von Recht und Gesetz sowie unter demokratischer Kontrolle arbeitet. arbeitet. Polizisten haben das Recht und die Pflicht, Gewalt anzuwenden. Dabei handeln sie jedoch nicht als freie und unabhängige Bürger, sondern als Repräsentanten staatlicher Autorität. Letztendlich dienen die Polizisten den Bürgern in der Gesellschaft."
Daraus zieht EUROCOP die Konsequenz: "Dies schafft eine moralische Verantwortung auf Seiten des Staates und der gesamten Gesellschaft sicherzustellen, dass Polizisten angemessenen Schutz erhalten?" Konkret fordert daher die Resolution, dass die "Mindeststrafe für eine schwere Gewalttätigkeit gegen einen Polizisten eine Gefängnisstrafe" sein sollte, also auch bei Ersttätern keine Bewährung gewährt werden sollte.
Wo noch nicht in europäischen Ländern im Strafgesetzbuch geregelt, sollte ein eigener Straftatbestand für Angriffe auf Polizeibeamte geschaffen werden.
Angesichts zunehmender Übergriffe auf die Polizei ist es umso unverständlicher, dass es in keinem Land der Europäischen Union eine geregelte statistische Erfassung von Angriffen auf Polizistinnen und Polizisten gibt. Hierzu würde auch die Erfassung und Auswertung von Fällen gehören, bei denen Angriffe erfolgreich abgewehrt werden konnten. Erfasst werden - wenn überhaupt - nur solche Fälle, bei denen es zu Verletzungen oder gar Tötungen gekommen ist.
Aber eine einheitliche Definition, was unter einer Verletzung zu verstehen ist, gibt es nicht - ob also jeder Kratzer oder jeder blaue Fleck schon als Verletzung gewertet wird oder erst eine ernsthaftere Verletzung, die zur Dienstunfähigkeit führt.
Gesicherte empirische Daten sind aber unverzichtbar, wenn man sinnvoll Konzepte zur Minderung des Angriffs- und damit Verletzungsrisiken entwickeln will. Solche Erkenntnisse sind wichtig, wenn es um die Fortentwicklung von Schutzausstattungen, Waffen und Gerät, aber auch der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Eigensicherung geht. Daher wird sich EUROCOP an die EU-Institutionen wenden, um auf europäischer Bühne das Problem auf die Tagesordnung zu setzen. Die nationalen Mitgliedsorganisationen, also auch die GdP, sind aufgerufen, gleichzeitig Druck auf ihre jeweiligen Regierungen auszuüben, denn - wie gesagt - Betroffenheit allein reicht nicht.
W.D.
Aus: Deutsche Polizei 1/04, S. 10-11