Michael Jackson im Visier der Polizei - Spurensuche im Neverland
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Santa Barbara (dpa) - Nach dem Nimmerland der Märchenfigur Peter Pan hat Popstar Michael Jackson sein kalifornisches Anwesen Neverland Ranch genannt. Und wie sein Bilderbuch-Idol gibt sich der Sänger am liebsten als kleiner Junge, der nicht erwachsen werden will. Doch Jacksons Zauberwelt mit Karussells, Tieren und vielen Gästehäusern für seine kleinen Besucher wurde am Dienstag jäh gestört.
Über 60 Polizisten verschafften sich mit einem Durchsuchungsbefehl «als Teil einer laufenden Kriminaluntersuchung» Zugang. Die Reporter des US- Senders Court-TV wussten mehr. Die Ermittler hätten bereits einen Haftbefehl für Jackson in der Tasche gehabt. Ein zwölf Jahre alter Junge aus Los Angeles beschuldige ihn des sexuellen Missbrauchs.
Jackson bekam von der stundenlangen Suche der Ermittler, Spurensicherer und Spürhunde auf seinem Anwesen hautnah nichts mit. Seinem Sprecher zufolge hält sich der Sänger mit seinen drei Kindern für Videoaufnahmen in Las Vegas auf und wisse nicht, um was es gehe. Ein Déjà-vu-Erlebnis, das an Vorgänge vor zehn Jahren um den selbst erklärten «King of Pop» erinnert. Damals warf ihm ein 13- Jähriger, der häufig auf Neverland Gast war, unsittliche Handlungen vor. Jackson beteuerte seine Unschuld und zahlte 1994 eine Millionen- Abfindung. Nach Erhalt des Geldes wollte der Junge nicht mehr aussagen, die Sache war erledigt.
So leicht werde Jackson diesmal nicht davon kommen, prophezeien Beobachter in Kalifornien. Der Familie des Zwölfjährigen gehe es nicht um Geld. Sie erwäge eine Klage, heißt es.
1988, als Jacksons Welt noch heil war und seine Hitalben «Bad» und «Thriller» Millionen einspielten, kaufte er für über 15 Millionen Dollar das riesige, hügelige Anwesen nahe der Küstenstadt Santa Barbara. Die Neverland Ranch wurde schnell zum Tummelplatz auch für Kinder, unter denen sich Jackson nach eigenem Bekunden - neben Tieren - am wohlsten fühlt. Großzügig spendierte er Ferienaufenthalte; so flog der Star aus Deutschland eine Familie ein, die 2002 von der Flutkatastrophe schwer betroffen war. «Wegen meiner verlorenen Kindheit» wollte er für andere Kinder ein Disneyland schaffen, so erklärte der Ex-Kinderstar.
Doch die Gerüchte und Anschuldigungen von Ex-Angestellten über angebliche pädophile Neigungen häuften sich. Bei seltenen Interviews waren seine «sexuellen Präferenzen» Tabu-Thema. Umso misstrauischer wurde sein Liebesleben von der Öffentlichkeit beäugt. Seine kurze Ehe mit Lisa Marie Presley wurde 1994 von vielen als Versuch interpretiert, den Verdacht auf Pädophilie zu entkräften.
Auf treue Fans konnte sich Jackson die ganze Zeit über immer verlassen. Vor zehn Jahren standen sie mit «Michael, wir lieben dich»-Plakaten vor dem Zivil-Gericht, wo der Popstar und sein jugendlicher Ankläger einen Deal schlossen. Hunderte von kreischenden Fans säumten noch vor einem Jahr den Weg zum Gerichtssaal in Santa Maria, wo sich Jackson gegen einen früheren Konzertmanager wegen Vertragsbruchs verteidigen musste.
Doch die Begeisterungsrufe täuschten nicht darüber hinweg, dass es um den einstigen Megastar auf dem Plattenmarkt längst ruhig geworden ist. Sein bisher letztes Album «Invincible» verkaufte in den USA schlappe zwei Millionen Kopien. Jackson gab dem Label Sony und deren Vermarktungsträgheit die Schuld an der Pleite. Auch jetzt witterte Jackson wieder eine Verschwörung. Immer dann würden «schreckliche Anschuldigungen» auftauchen, wenn er gerade ein neues Album oder Video herausbringe, beschwerte sich der Sänger am Dienstag. Am Tag der Hausdurchsuchung hatte das Label Epic Records eine Sammlung seiner größten Hits («Number Ones») veröffentlicht.
Wenn das Motto «Lieber schlechte als keine Werbung» zutrifft, dann muss sich Jackson zumindest nicht um Plattenverkäufe sorgen. Die US- Medien stürzten sich heißhungrig auf die Ermittlungen. Reporter campieren scharenweise vor der riesigen Ranch. Die Talkshows reißen sich um Justizexperten und Jackson-Verfechter. Brian Oxman, ein langjähriger Anwalt der Jackson-Familie, trat Dienstagnacht bei der CNN-Show Larry King Live auf. «Jetzt geht's wieder einmal los», meinte der Jurist über die Angriffe auf die «Zielscheibe» Jackson. Er prophezeite eine «weltweite Hysterie».
erschienen am 19.11.2003 um 15:22 Uhr © WELT.de
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