Und hier ein schöner Artikel aus dem Hamburger Abendblatt:PolitikDer Schuldenstaat und seine Väter"Martyrium" nannte Willy Brandts Finanzminister Möller sein Amt, Hans Apel sprach von einem "Scheißjob". Die Republik begann indes schon unter Adenauer, über ihre Verhältnisse zu leben.Von Herbert Kremp Kleve - Er ist ein guter Parteisoldat und überdies eine treue Seele. So einer wie Hans Eichel läuft nicht einfach davon, und zum "Feuern" ist sein Gewicht zu schwer. Aber was soll er tun? Sein Offenbarungseid vom 10. Mai machte publik, dass die finanzpolitischen Sicherungen der Republik durchgebrannt sind. Für 2004 müssen 18 Milliarden Euro eingespart werden, um einen verfassungsmäßigen Haushalt verabschieden zu können. Die Kabinettskollegen, vor allem Gesundheitsministerin Schmidt, sperren sich. Und nun will der Kanzler auch noch die Steuerreform 2005 en bloc um ein Jahr vorziehen in der Hoffnung auf mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Wie soll die Kasse noch stimmen? Manna fiel das letzte Mal beim Auszug Israels aus Ägypten vom Himmel (2. Mose 16), und das war auch nur Honigtau. Nach dem jähen Verschwinden Oskar Lafontaines aus dem Finanzministerium im März 1999 war Eichel als Sparkommissar angetreten. Nun ruft ihm sein Kanzler zu: "Hans, jetzt hör mal auf damit." Die Beziehung gewinnt Säure-Grade. Akute Folge unmäßiger Kassenbelastung kann nämlich nur sein, dass das Tempo des Schuldenaufwuchses die erhofften Wirkungen sozialer Einschnitte (Agenda 2010) hinter sich lassen wird wie der Porsche den alten VW-Käfer auf der Autobahn. Eichel sucht die Ehrenrettung. Er bezichtigt seinen Chef, mit der Reform der Sozialsysteme zu spät begonnen zu haben. Eine Art End-Konstellation: Den Letzten beißen die Hunde. Eichel könnte Opfer einer historischen Epoche werden, die ein halbes Jahrhundert vor ihm mit der Urzeugung des deutschen Schuldenstaates begann. Im Herbst 1956 flüsterte Konrad Adenauer ausgewählten Journalisten zu, sein Finanzminister Fritz Schäffer "vergrabe" systematisch Mittel, die er für seine Sozial- und Wahlpolitik "zur Sicherung der politischen Stabilität" dringend benötige. Damals begann die junge Republik über ihre Verhältnisse zu leben: Pures "Haben-Wollen" überwucherte entgegen Ludwig Erhards Warnungen langfristig das Leistungsergebnis. Die Anspruchsmentalität, die Schröder heute beklagt, riss in einer Zeit ein, in der alles "machbar" schien. Finanzminister Strauß und Wirtschaftsminister Schiller meisterten während der Großen Koalition die erste kleine Rezession der Republik 1966/67 noch mit Bravour. Schiller erfand das antizyklische Deficit Spending zur Ankurbelung der Konjunktur und die "Globalsteuerung" der Wirtschaft zum Zweck eines "anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" mit Vollbeschäftigung und ohne Inflation. Schon 1968 war der Erfolgspfad wieder erreicht. Strauß war ein Willensmensch, Schiller ein Künstler, Wortschöpfer und großer Selbstdarsteller. In seinen Altersjahren räumte er gegenüber dem Autor jedoch den tragischen Aspekt seiner Zauberformeln ein: Das gelungene "Ankurbeln" habe ein gewaltiges Potenzial an Missverständnissen und Begehrlichkeiten freigesetzt. Der Eindruck sei entstanden, Wachstum und Finanzen ließen sich beliebig steuern - es komme nur auf die "Konzertierung" der gesellschaftlichen Kräfte durch die kunstvolle Staatshand an. Während Schiller den schnell eingetretenen neuen Aufschwung zur Haushaltsdisziplinierung nutzen wollte - wie später sein akademischer Schüler Helmut Schmidt -, glaubte Bundeskanzler Willy Brandt, mit der Steuerungskunst den Generator für teure gesellschaftliche Reformen, sprich unbegrenzte Finanzmittel, gefunden zu haben. Das war, sagte Schiller, "der Auftakt zum Tanz um den Goldesel". Aus diesem Widerspruch entfaltete sich die Tragödie der deutschen Finanzpolitik: Mit dem Umgießen von Ausgaben in gesetzliche Ansprüche entstanden "Strukturen", die alle Finanzminister in die Schuldenspirale zwangen. Die jährlichen Etatberatungen wurden zum Kriegsschauplatz. Hans Apel (1974 bis 1978 im Amt) hielt das Finanzressort für einen "Scheißjob". Gerhard Stoltenberg, Kohls erster Finanzminister nach der Wende 1982, sprach gemessener von "Anmaßungen meiner Kabinettskollegen". Sein Nachfolger Theo Waigel, der die Rechenlast mehr als neun Jahre trug, klagte, er könne es "den Seinen nie recht machen". Den anderen aber auch nicht, niemandem. Für die jeweilige Opposition wurde der Finanzminister entweder zum "Ungeheuer der Herzlosigkeit" oder zum "Herrn der Löcher". Am Ende entschieden die Nerven (Waigel hatte die besten), der Charme (Schillers Spezialität), in jedem Fall der Rückhalt des Kanzlers. Erstes Opfer des Amtes wurde 1971 Alex Möller, Finanzminister seit Beginn der sozial-liberalen Koalition. Der solide Haushalter, vormals Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherungs AG, geriet an einen Kanzler, den das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nicht interessierte. Brandt wollte Geld für Visionen - links und frei. Nach zwei Jahren "Martyrium" resignierte Möller vor Leuten, die sich "wie eine Kompanie benahmen, die mit der Kriegskasse durchgebrannt ist und sie nun vertrinkt" (Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe). Karl Schiller, nach Möller "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen, schwante, wie er gegenüber dem Autor bekundete, "schon Böses", als er das Amt antrat. Für Finanzdaten habe Brandt kein "Ohr" gehabt. Der SPD-Steuerparteitag 1971 beschloss einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent. Im ungesteuerten Boom und bei frischem Trab der Inflation überstieg die Neuverschuldung erstmals 30 Milliarden Mark. Der Schuldenstaat entstand, wie Schiller sagte, "aus bloßem Übermut". Nach 14 Monaten, vor der Wahl 1972, warf der Minister das Handtuch. Er trat aus der SPD aus und begab sich an der Seite Ludwig Erhards in die Rolle der Kassandra. An seine Stelle trat, mit Zögern, Helmut Schmidt als Superminister und "Kanzler des Inneren" an der Seite des immer schwächer agierenden Willy Brandt. Dass ihm 1974, nach dem Rücktritt Brandts, das Regiment zufiel, war ausgemachte Sache, doch behinderte ihn fortan die visionär infizierte Partei an der Sanierungsarbeit. Inflation, Anstieg der Schulden und der Arbeitslosigkeit (Jahresdurchschnitt 1982 1,33 Millionen) fraßen an den Grundlagen der Republik. Kohls Finanzminister Stoltenberg und Waigel versuchten das Ruder herumzureißen. Sie errangen Teilerfolge, eine Senkung der Staatsquote, Haushaltsdefizite und Schuldenaufnahmen. Tiefe Einschnitte in die sozialen Strukturausgaben, die Quelle des Schuldenstaates, gelangen Kohl indes nicht. Von 1989 an liefen die Kosten der Wiedervereinigung auf. Zu Waigels Zeit wuchsen die Staatschulden von rund 500 Milliarden auf 1,5 Billionen Mark. Der Finanzminister sah sich von Blockadewällen im eigenen Bereich und im Bundesrat umgeben - wie Eichel heute. Jetzt fordert Schröder eine "Änderung der Mentalität" und zugleich eine Lockerung der Stabilitätspolitiki. Gewiss ist aber nur eines: der Verschleiß des Finanzministers. erschienen am 24. Jun 2003 in Politik
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