Von Markus Becker
Er war das Fleisch gewordene Desinfotainment, die tägliche Spaßpause des Irak-Kriegs. Binnen weniger Tage stieg er zum Medienstar der arabischen Welt und zur Pop-Ikone des Internet auf, selbst US-Präsident George W. Bush outete sich als glühender Fan. Alle Welt fragt sich: Wo ist Saddams Informationsminister Mohammed Said al-Sahhaf?
| | | PK zum Krieg: "Die Sahhaf-Show" |
| | Hamburg - In gewisser Weise brachte es der Mann mit dem Barett weiter als Bundeskanzler Gerhard Schröder, Frankreichs Präsident Jacques Chirac und so ziemlich alle weiteren wichtigen Männer des Planeten: Wenn der irakische Informationsminister vor die Kameras trat, kannte US-Präsident George W. Bush kein Halten mehr, verließ jede noch so wichtige Sitzung und klebte vor dem nächsten Bildschirm. "Er ist mein Mann. Er war großartig. Er war ein Klassiker", schwärmte Bush in einem Interview des US-Senders NBC. "Ich bekomme vieles aus zweiter Hand. Aber wenn jemand sagte, al-Sahhaf spricht gleich, verließ ich jede Sitzung und schaltete den Fernseher an." Wie Bush ging es Millionen. Nur wenige Mediengestalten dürften in ähnlich kurzer Zeit eine vergleichbar große Fangemeinde aufgebaut haben. "MSS", "Comical Ali" oder einfach nur "Mo" - al-Sahhaf wurde im Internet in Rekordzeit zur Kultfigur. Die erste Fan-Seite brach kurz nach ihrem Bekanntwerden unter der Masse der Anfragen zusammen, und es dauerte nicht lang, bis auch die deutsche Presse al-Sahhafs verbale Steilvorlagen dankbar aufnahm, das tägliche Unbehagen am Krieg zu durchbrechen. Die "taz" etwa widmete dem Informationsminister gleich eine ganze Kolumnen-Serie. Die beruhigende Botschaft: Al-Sahhaf und die Seinen haben alles unter Kontrolle, wie etwa den Frühling und die Schneeflocken, die sich in selbigen verirrt hatten. "Was die Schneeflocken betrifft: Seien Sie unbesorgt, die gibt es nicht. Wir haben sie erfolgreich vertrieben. Sie waren nicht in der Lage, sich zu halten. Die Schneeflocken werden in der Hölle schmoren." Al-Sahhaf als Helden-Puppe Andernorts wurde Saddams Lautsprecher flugs als Geldquelle umfunktioniert. Die irische Fluglinie Ryanair etwa benutzte al-Sahhafs Konterfei für eine Werbekampagne gegen den britischen Rivalen Easyjet: "Wir gewinnen den Krieg. Wir schlagen die Amerikaner. Easyjet hat die kleinsten Preise." | | | Mohammed Said al-Sahhaf bei der Arbeit: "Ihre Mägen werden in der Hölle braten" |
| | Die US-Puppenfirma Hero Builders bietet für 24,99 Dollar einen 30 Zentimeter großen "Iraqi Dis-Information Minister" feil. Nach seinem Verschwinden aus dem täglichen Kriegsbericht, im arabischen Raum auch "Die Sahhaf-Show" genannt, schwingt sich der Ex-Informationsminister nun auf den Marktplätzen des Internets zur Omnipräsenz empor: Seine skurrilen, amüsanten, ja einzigartigen Sprüche - und derer sind es viele - zieren Kaffeetassen, T-Shirts, Aufkleber, Frisbees, Mousepads und selbst Grillschürzen: "Gott wird ihre Mägen in der Hölle braten." Allein die Menge an kursierenden Sahhaf-Sprüchen lässt ahnen, wie oft der Minister innerhalb von drei Wochen im Fernsehen aufgetreten sein muss. Und der Mann lieferte beileibe nicht nur Quantität, sondern entfachte rhetorische Wüstenstürme, die westliche Politiker wie Ungläubige in der wahren Kunst der Kommunikation aussehen lassen. "Wir haben keine Angst vor den Amerikanern. Allah hat sie verdammt. Sie sind verrückt" - eine dramatische Pause - "und sie sind verdammt." Schock und Angst aus Geräuschbomben Unvergessen sind die TV-Bilder, in denen al-Sahhaf zu unüberhörbarem Gefechtslärm sagt: "Ich garantiere Ihnen dreifach: Es gibt keine amerikanischen Soldaten in Bagdad." Selbst die Aussicht, dass dies einmal anders sein könnte, ließ ihn kalt: "Sie sind höchst willkommen. Wir werden sie schlachten. Sie werden an den Mauern Bagdads Selbstmord begehen." Aus, vorbei. Am 9. April informierte al-Sahhaf zum letzten Mal - und zwar einen Reporter der "New York Times" darüber, dass "Sie zu weit von der Wahrheit entfernt sind". Seitdem ward er nicht mehr gesehen. Offiziell sucht auch niemand nach ihm. Kaum zu glauben, aber wahr: Im "Kartenspiel" der 55 meistgesuchten Iraker gibt es keinen Informationsminister. Nicht als Pik-Bube, nicht als Karo-Sieben, ja nicht einmal als Joker. | | Al-Sahhaf-Devotionalien: "Wir werden sie alle schlachten" |
| | Dabei hatte al-Sahhaf etwa zur "Schock-und-Angst"-Taktik der Amerikaner eine Erklärung, die ihn zum As hätte befördern müssen. Die US-Luftwaffe, meinte der Minister, habe nicht etwa Bomben, sondern Geräusch-Container auf Bagdad abgeworfen. "Diese Versager haben Container mit einer explosiven Substanz gebaut", erklärte al-Sahhaf. "Sie lösen eine sehr gewaltige Geräusch-Explosion aus, als ob das Universum bebe". Schock und Angst eben. Aber: "Nach einer Weile geht man dorthin, und man findet nichts." Zwar ist "Comical Ali" seit dem 9. April wie vom Erdboden verschluckt, die Gerüchte über seine berufliche Zukunft aber sprießen. So plane Hollywood, unter dem Titel "Die Wahrheit" sein Leben zu verfilmen. Fotomontagen zeigen al-Sahhaf an der Hotline von Microsoft. "Fehler? Es gibt keine Fehler. Wir haben sie zurückgetrieben. Ich garantiere Ihnen, es gibt keine Fehler in unserer Software." "Schafft ihn an die Wall Street" Die Gerüchte über den Verbleib von al-Sahhaf sind Legion. Am vergangenen Donnerstag etwa berichtete die portugiesische Tageszeitung "Diario de Noticias", zwei Reporter stünden über einen Mittelsmann in Bagdad mit al-Sahhaf in Kontakt. Als Gegenleistung für ein Interview sollten die Journalisten dem Ex-Minister helfen, sich der US-Armee zu stellen. Doch am vereinbarten Treffpunkt hätten die Reporter vergebens auf al-Sahhaf gewartet. Stattdessen sei ihr Informant aufgetaucht und habe sie gebeten, das Ganze zu vergessen. David Callaway, Kommentator für den CBS-Finanzdienst Marketwatch, gab den US-Truppen den Tipp, al-Sahhaf zu suchen - auch wenn er nicht als böser Bube in einem Kartenspiel auftaucht. Mit seiner arroganten Zuversicht und seine spektakulären Wortwahl könne der Informationsminister den PR-Langweilern der Finanzwelt zeigen, was Flair bedeutet. "Findet Saddam und engagiert al-Sahhaf", schrieb Callaway. "Und dann schafft ihn zur Wall Street." http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,246719,00.html
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