Meinhard Miegel: Rot-Grün ist in vielen Bereichen
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neuester Beitrag: 25.11.02 09:15
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eröffnet am: | 24.11.02 18:02 von: | MaMoe | Anzahl Beiträge: | 12 |
neuester Beitrag: | 25.11.02 09:15 von: | maxperforma. | Leser gesamt: | 3467 |
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?Rot-Grün ist in vielen Bereichen nicht regierungsfähig?
Meinhard Miegel, Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, zur Politik der Regierung
DIE WELT: Welche drei Sofortmaßnahmen wünschen Sie sich von dieser Regierung?
Meinhard Miegel: Erstens, dass die Bundesregierung sofort reinen Tisch macht und endlich Klartext redet. Dadurch würden in Deutschland enorme Kräfte freigesetzt. Viele Menschen warten nur darauf, mit anpacken zu können. Doch diese nicht enden wollenden Halbwahrheiten und Dementis haben sie gelähmt. Es ist ja nicht so, dass wir ein armes Volk sind. In diesem Jahr wird das höchste Bruttoinlandsprodukt in der Geschichte der Republik erwirtschaftet. Worum es geht ist eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat, Gesellschaft und Individuum. Dabei muss die Regierung beim Staat anfangen. Dieser muss Zeichen setzen und nicht bei jeder Schwierigkeit sofort zum Bürger laufen, um ihm mehr Geld aus der Tasche zu holen. Und drittens muss unverzüglich die Reform aller sozialer Sicherungssysteme glaubwürdig in Angriff genommen werden. Bisher ist es mit dem Reformwillen nicht weit her. Darüber können Kommissionen nicht hinweg täuschen.
DIE WELT: Halten Sie diese Regierung für regierungsfähig?
Miegel: Das ist hart, aber in wichtigen Bereichen ist sie ganz offensichtlich nicht regierungsfähig. Die sozialen Sicherungssysteme sind auch nach vier Jahren noch nicht auf die veränderten Bedingungen umgestellt. Die Riester-Reform war im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ein Flop, die Steuerreform ist voller handwerklicher Fehler. Und dann ist da das weite Feld des Arbeitsmarktes. Er ist genauso verkrustet wie vor vier Jahren. Was aber das Schlimmste ist: Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich hieran in Zukunft etwas ändern wird. Die Regierung dümpelt weiter vor sich hin.
DIE WELT: Schließen Sie sich dem Vorwurf des ?Wahlbetrugs? und der ?Lüge? an?
Miegel: Diese Begriffe verwende ich nicht. Aber so viel ist sicher: Die Regierung wusste erheblich mehr, als sie im Wahlkampf verlauten ließ. Es war absehbar, dass sie die Neuverschuldungshürde von 3 Prozent reißen und das Wirtschaftswachstum auch im vierten Quartal nicht anspringen würde. Mit ihren Einlassungen vor dem Wahltag hat sie die Wahrheit unerträglich gebogen. Nicht zuletzt deshalb befindet sich die Republik alles in allem in keinem guten Zustand. Allerdings kann das nicht allein dieser Regierung angelastet werden. Vielmehr hat sich das Leiden über eine lange Zeit entwickelt. Es ist chronisch geworden.
DIE WELT: Oskar Lafontaine zieht Vergleiche zwischen Schröders Politik und den Brünningschen Notverordnungen der Weimarer Republik, der Historiker Arnulf Baring ruft den Bürger auf die Barrikaden ? befinden wir uns in einer instabilen politischen Situation?
Miegel: Ich halte die Lafontainschen Vergleiche für ziemlich abwegig, aber es gibt Anzeichen zunehmender politischer Instabilität. Der Grund: die großen Probleme im Bereich von Wirtschaft und Sozialem sind seit Jahrzehnten ungelöst. Niemand kann mehr erkennen, worauf die Politik eigentlich abzielt. Das irritiert vor allem die jüngere Generation. Sie hat inzwischen begriffen, dass für sie die sozialen Systeme eine Falle sind und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf das Äußerste beanspruchen. Jetzt rächt sich, dass die heute 30- bis 60-Jährigen zwar nicht individuell, aber doch kollektiv, nur unzulänglich mit den Nachwachsenden geteilt haben. Es kamen Wenige nach und die Wenigen wurden noch nicht einmal optimal qualifiziert. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Der Protest junger Bundestagsabgeordneter gegen den Beschluss, die Rentenversicherungsbeiträge vom kommenden Jahr an weiter kräftig zu erhöhen, ist ein unübersehbares Signal. Immer mehr jüngere Menschen erklären, dass sie sich von der Politik nicht mehr bieten lassen wollen, was ihnen seit Jahren vorgesetzt wird. Ich habe dafür Verständnis.
DIE WELT: Müssen wir über einen Umbau unserer Demokratie nachdenken?
Miegel: In der Theorie sind die Strukturen unserer politischen Ordnung in Ordnung. Nur hat sich die Verfassungspraxis in Teilbereichen weit vom Verfassungstext entfernt. Das hat dieses Land in arge Bedrängnis gebracht. Zu nennen ist die chaotische Vermengung von Bundes- und Länderzuständigkeiten. Niemand schaut da mehr durch. Oder der Dauerbrenner Länderneugliederung. Hier gab es einmal einen klaren Verfassungsauftrag, der immer weiter verwässert worden ist. Die Zeit ist überreif, aus den 16 Ländern, von denen die Hälfte nicht überlebensfähig ist, 7 oder 8 zu machen.
DIE WELT: Wie schnell erwarten sie eine weitere krisenhafte Zuspitzung bei den sozialen Sicherungssystemen?
Miegel: Das wird jetzt relativ schnell gehen. Im laufenden Jahrzehnt sind die Probleme im Großen und Ganzen noch handhabbar. Aber dann geht es Holterdiepolter. Die Zeit reicht nicht mehr, die notwendigen Veränderungen gleitend evolutionär vorzunehmen. Die Gefahr revolutionärer Veränderungen wird deshalb immer größer. Das heißt nicht, dass es zu blutigen Konflikten oder Barrikadenkämpfen kommen wird. Aber ich sehe abrupte Brüche in unserer Sozialordnung voraus.
DIE WELT: Die Regierung wirkt gelähmt durch den starken Einfluss der Gewerkschaften. Blockieren die Gewerkschaften unsere Demokratie?
Miegel: Nicht die Demokratie, aber eine gesunde wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Gewerkschaften sind extrem rückwärts gewandt. Sie hatten ihre große Zeit in den fünfziger, sechziger und frühen siebziger Jahren. Mental sind sie dieser Epoche noch immer verhaftet. Im 21. Jahrhundert sind sie jedenfalls nicht angekommen. Das zeigte sich bei den Hartz-Vorschlägen genauso wie bei der Riesterschen Rentenreform. Beide waren zu Beginn ungleich besser als am Ende. Dazwischen lagen heftige Interventionen der Gewerkschaften. Sie sind heute das, was man bei einer politischen Bewegung reaktionär nennt.
DIE WELT: Wer ist denn den Gewerkschaften in diesem Land überhaupt noch gewachsen?
Miegel: Die Gewerkschaften sind für viele Politiker noch immer eine Art Angstgegner. In Wirklichkeit stehen sie längst auf tönernen Füßen. Sie vertreten nur noch eine kleine Minderheit. Würde die Politik ihrem Drängen entschlossen entgegentreten, wäre ihre Kraft schnell gebrochen. Die Arbeitgeber zeigen wie das geht. Indem sie keine Tarifverträge mehr abschließen entziehen sie sich ihnen. Allenthalben bilden sich neue Arbeitgeberorganisationen. Die Gewerkschaften werden bald spüren, wie sie leer laufen.
Das Gespräch führte Ulrich Clauss
Artikel erschienen am 23. Nov 2002
Grüße
MaMoe ...
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Diesen Herrn Miegel etwa ?
Was ist klug daran, Binsenweisheiten orthografisch korrekt aufzulisten. Er hat ja in fast allen Punkten Recht. Nicht in allen - aber in fast allen. Die Rolle der Gewerkschaften zum Beispiel schätzt er falsch ein. Was Rückgewärtsgewandtheit angeht, werden die von der "Beamtenverwaltungsbürokratie" in deutschen Privatbanken und in deutscher Großindustrie noch weit übertroffen. Aber das ist nicht das Thema. Wie gesagt, ich gebe ihm Recht.
Ist das schon klug ?
Er verhält sich so wie die gegenwärtig größte Oppositionspartei. Er zieht keine Schlüsse, bietet keine Lösungskonzepte an. Eigentlich müsste er doch jetzt sagen, der ganze Laden müsste saniert werden. Das bedeutet, dass ungerechtfertigt verteilte Geschenke eingesammelt werden müssen. Nur finanzieller Spielraum gewährt Handlungsspielraum. Zur Sanierung gehört eindeutig keine weitere Verschuldung. Die extreme verschuldungspolitik in den letzten 20 jahren hat zu der jetzigen Eingeengtheit des Handlungsspielraumes geführt.
Das bedeutet also Einsammeln. Rot-grün hat angefangen einzusammeln. Natürlich viel zu halbherzig und im Rahmen des bestehenden Systems und ohne grundlegenden Reformansatz. Das ist ihnen vorzuhalten. Sie machen viel zu wenig.
Wenn deine Köpfe klug sein wollen, dann sollten sie rot-grün nicht vorhalten, dass sie was machen, sondern dass sie zuwenig machen. Wohlgemerkt, ich rede vom Einsammeln, nicht vom Verteilen und Verschenken. Verteilen und Verschenken kann werbewirksam, glaube ich, jeder gut.
Beispiel: die größte Oppositionspartei. Sie haben nichts gewusst und warben damit, noch mehr verteilen zu wollen. Sie wollen jetzt auch nicht einsammeln.
Wenn sie tatsächlich nichts gewusst haben, gehören sie auch garantiert nicht in die Regierung. Ich frage mich, was machen die überhaupt im Parlament, wenn sie nichts wissen. Tatsächlich denke ich aber, sie wussten. Sie taten und sagten aber nichts - wider besseren Wissens. Deshalb sind sie auch Betrüger. Und sie wollen immer noch nichts machen. Also sind sie noch größere Betrüger.
Wir brauchen eine völlige Neuordnung der Finanzen und der Sozialsysteme. Steuerlich müssen leistungsbereite und leistende Bürger endlich entlastet werden. Der Grundsatz muss wieder gelten: Jeder bezahlt das, was er bestellt, und jeder bestellt nur das, was er bezahlen kann. Niemand darf des anderen Melkkuh sein. Daran, nämlich nach Möglichkeit andere melken zu können, haben sich aber viele in unserem Lande gewöhnt. Aus dieser Ecke kommen die Widerstände gegen grundlegende Reformen, kommt auch die Kritik gegen rot-grün.
Wirklich kluge Köpfe rufen zu einer Radikalreform und zur Überwindung der Widerstände auf. Wo sind die klugen Köpfe ? Bisher hat sich noch niemand profiliert.
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Es sind dieselben Sachverhalte, die zur Diskussion stehen.
Kohl hat 16 Jahre alles unter den Teppich gekehrt, und alle reden plötzlich von den "letzten 4 Jahren".
Der Schwachsinn stinkt zum Himmel. Es ist so wie immer: die SPD macht den Laden sauber, damit sich später wieder alle selbst gefallen können.
SPD = wahre gesellschaftliche Verantwortung.
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Müntefering, der Oberschlaue meint ja , daß Sie alle keine Ahnung haben.
Mit vollen Händen verteilen und sich das Geld bei den Leistungsträgern zu holen, hat die SPD immer wieder versucht, bis selbst Finanzminister Möller und Schiller zurückgetreten sind, weil die Staatsfinanzen an die Wand gefahren wurden.
Die CDU mußte dann wieder die Finanzen sanieren.
Auch wenn Du jetzt jaulst, prüfe es nach, es stimmt.
Daß die Wieder vereinigung soo teuer werden würde, hat keiner,
keiner der ehrlich ist, voraussehen können. Die DDR hat doch alle getäuscht. Sieh doch mal nach an, wievielter Stelle, die DDR
mit Ihrem Bruttosozialprodukt 1988 lag.
Diese Fehleinschätzung darf man nicht gleichsetzten mit der Progose von Herrn Eichel kurz vor der Wahl, daß wir die Maastrichkriterien einhalten werden.
Das größte Übel dieser Regierung scheint mir zu sein, daß sie nicht in der Lage ist, sich gegenüber den Gewerkschaften durchzusetzten.
Ein Vergleich mit England drängt sich auf.
Erst nachdem die Macht der Werkschaften auf ein vernünftiges Maß zurückgedrängt wurde,ging es mit England wieder bergauf.
Bestes Beispiel das Hartzkonzept.( Übrigens auch Hartz ist ein kluger Kopf.) Und was ist daraus geworden?
Ich hab ja nichts gegen den Sozialstaat. Aber man kann immer nur sovielverteilen,was man hat. Anstatt zu sparen , Subventionen zu kürzen( übrigens Kürzung der Subventionen um10 % und zwar mit dem Rasenmäher, würde eine Neuverschuldung vermeiden), werden Steuern erhöht, Arbeit verteuert ,Anleger und Kapital ins Ausland verscheucht.
Nee,Nee RZ und Schnorrer, so kann es nur weiter bergabgehen.
Wünsch Euch noch einen schönen Abend .Muß noch was arbeiten.
Gruß N.P.
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endlos langes linkes sozi-bla-bla, dann folgt irgendwann das axiom 1+1=3 (merkt ja keiner bei dem geschwafel) und dann wird der 1+1-beweis geführt bis zum erbrechen. eingestreut leichte zweifel, angetäuschtes schlagen auf die gegenseite und am ende sollen natürlich immer die anderen schuld sein. ist doch billig...
ist doch langsam langweilig, oder?
dankenswerterweise ist die pds weg vom fenster. da bleibt uns wenigstens das postkommunistische-weltrevolutions-gelaber von dir erspart.
mit vorzüglichem grusse
vene
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Blockiert von Funktionären
Von Christoph Keese
Ob Hartz-Konzept oder Rürup-Kommission - immer schiebt sich DGB-Chef Michael Sommer dazwischen und meldet neue Ansprüche an. Seine Politik schadet der Volkswirtschaft und den Arbeitslosen.
Endlich kommt sie in Gang, die Debatte um die Zukunft des deutschen Sozialstaats. Nach Jahrzehnten des Verdrängens findet eine Bundesregierung den Mut, das Thema auf die Agenda zu setzen. Mit den Kommissionen von Peter Hartz (Arbeitsmarkt) und Bert Rürup (soziale Sicherung) handelt Gerhard Schröder zwar nicht so schnell und entschlossen wie nötig, doch der Kanzler geht immerhin einen Schritt in die richtige Richtung. Daher ist es besonders schädlich, dass die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften ausgerechnet bei diesen Projekten quer schießen. DGB-Chef Michael Sommer und IG-Metall-Vize Jürgen Peters geben einen Kurs vor, der Deutschland noch tiefer in die Krise treiben wird.
Beispiel Rentenreform: Fast alle Volkswirte fordern die Erhöhung des Rentenalters. Die De-facto-Grenze liegt heute bei nur 60 Jahren. Axel Börsch-Supan, Direktor des Forschungsinstituts Ökonomie und demographischer Wandel an der Universität Mannheim, schlägt 68 Jahre vor: "Eine subventionierte Frühverrentung ist in Zeiten einer längeren Lebenserwartung und deutlich besserer Gesundheit ein Unding." Selbst damit ist die Rente noch nicht sicher. Zusätzlich müsse man das System besser gegen Konjunkturschwankungen schützen und die private Altersvorsorge stärker anregen, sagt Börsch-Supan. Ähnlich denkt Bert Rürup. Er will das Eintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre erhöhen.
Obwohl die Wissenschaftler alle Argumente auf ihrer Seite haben, attackierte Sommer sie jetzt in Interviews. "Das ist Volksverdummung", sagte er. "Wir wissen doch, dass seit Jahren das tatsächliche Renten-Eintrittsalter sinkt und nicht steigt. Wer heute eine längere Lebensarbeitszeit fordert, zielt nur darauf, die Rentenhöhe zu nivellieren."
Polemisches und falsches Argument
Sommers Argumente sind polemisch und falsch. Tatsächlich gehen die Deutschen immer früher in Rente, doch genau das ist das Problem. Sommer verkehrt die Logik ins Absurde. Er will das Rentenalter weiter fallen lassen, nur weil es jetzt fällt. Ebenso widersinnig ist seine Schlussfolgerung. Eine längere Lebensarbeitszeit erhöht in einem Umlageverfahren automatisch die Rente, weil es mehr zu verteilen gibt. Dadurch tritt genau das Gegenteil von Nivellierung ein.
Beispiel Leiharbeit: In den vergangenen Jahren gab es nennenswertes Wachstum nur in zwei Sektoren - bei Schwarz- und Leiharbeit. Nicht zufällig sind beide bisher gewerkschaftsfrei. Wo dogmatische Funktionäre auftauchen, gibt es bald kein Wachstum mehr. Nun möchten Gewerkschafter die Lücke schließen und Leiharbeit tariflich regulieren.
Sie gehen dabei denkbar unfair vor. Erst verabschieden sie in der Hartz-Kommission ein Konsens-Konzept und lassen Schröder damit in den Wahlkampf ziehen. Kaum hat er die Wahl gewonnen, machen sie das Paket wieder auf und drücken Änderungen durch. Die Arbeitgeber, überrumpelt von so viel Chuzpe, bekommen das erst mit, als es schon zu spät ist. Jetzt müssen Leiharbeitsfirmen entweder die Löhne des Entleihers zahlen oder eigene Tarife vereinbaren. Egal wie sich die Firmen entscheiden - die Gewerkschaften kommen auf jeden Fall ins Geschäft.
Funktionärsmacht vor Arbeitsplätzen
Die wahrscheinliche Folge der neuen Regelung wird Stillstand oder Rückgang der Leiharbeit sein, die bisher vor allem durch die niedrigen Kosten attraktiv war. Für den Einzelnen ist es zwar angenehm, wenn die Löhne jetzt steigen, doch für die Arbeitslosen schwinden die Chancen auf Beschäftigung. Einmal mehr geben Funktionäre ihrer eigenen Macht den Vorrang vor Arbeitsplätzen.
Viele Gewerkschaften nehmen lieber in Kauf, dass Menschen gar nicht arbeiten und der Staat an den Sozialkosten bankrott geht, als dass sie billigen Jobs zustimmen. Originalton Jürgen Peters: "Wir bestehen auf dem Prinzip ,gleicher Lohn für gleiche Arbeit'." Das ist ein Dogma aus grauer Vorzeit. Peters schwört auf Vollregulierung und Zentralkontrolle. Jahrzehnte ökonomischer Forschung sind spurlos an ihm vorbeigegangen.
Wie faire und moderne Lohnfindung funktioniert, beschreibt Horst Siebert, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft: "Die Regelungen müssen so geändert werden, dass die Lohnfindung besser zu einem Gleichgewicht bei hoher Beschäftigung führt." Konkret heißt das: Jeder Arbeitslose sollte das Recht bekommen, unter Tarif in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Dieser Individualismus ist Gewerkschaftern wie Sommer und Peters fremd. Sie setzen auf vulgären Kollektivismus und merken nicht, wie viele Menschen sie dabei aus ihrem Kollektiv aussperren.
Sinkende Legitimation
Mitgliederzahlen und Organisationsgrad der Gewerkschaften sinken seit Jahren kontinuierlich. Ihren gesellschaftlichen Einfluss konnten die Funktionäre dennoch weiter ausbauen. Die abnehmende politische Legitimation machen sie durch wachsende Aggressivität wett. Dieser Trend begünstigt Erkenntnisverweigerer und Populisten; Ideologen wie Sommer, Zwickel und Peters geben daher heute den Ton an. Reformer wie Hubertus Schmoldt, der Chef der IG Chemie, werden zwar gern als Beweis für die Modernität der Gewerkschaften herangezogen. In der Praxis aber ist ihr Einfluss gering.
Arbeitnehmer brauchen eine starke Vertretung. Sie verdienen Gewerkschaften, die über morgen hinaus denken und dem Stand der Wissenschaft folgen. Viele Betriebsräte haben das verstanden. Weil sie die Praxis kennen und flexibel sind, holen sie mehr heraus. Diese Denkschule muss an die Spitze der großen Gewerkschaften vordringen. Dort sollten Pragmatiker sitzen. Ein Mann wie Michael Sommer, der jetzt für sinkendes Rentenalter eintritt, belastet den DGB und ist untragbar.
Christoph Keese ist Chefredakteur der "Financial Times Deutschland"
www.spiegel.de