tatt Reformen zu fordern, schweigt die Kanzlerin In Griechenland haben vier Jahrzehnte Klientelismus und Vetternwirtschaft dazu geführt, dass heute viele Menschen im Staat ein Gebilde sehen, das entweder der persönlichen Vorteilsmehrung dient oder aber übers Ohr gehauen werden will. Wer einmal in einem griechischen Landgasthof versucht hat, eine Rechnung zu bekommen, kennt das Problem.
Umgekehrt haben sich auch die Deutschen eingerichtet: in ihren Vorurteilen und in einem tradierten Europa-Bild, das jede Finalitätsdebatte verweigert. Für viele Bürger endete das Projekt Währungsunion mit der Einführung des neuen Bargelds, dabei war das nicht der End-, sondern der Startpunkt. Wer Europa wirklich will, der muss sagen, dass das auf Dauer ohne ein Euro-Zonen-Parlament, einen Euro-Finanzminister, einen Finanzausgleich, eine gemeinsame Einlagen- und Arbeitslosenversicherung nicht geht.
Doch die Scheitert-der-Euro-dann-scheitert-Europa-Kanzlerin schweigt und verweist lieber auf jenes Konstrukt aus zwischenstaatlichen Verträgen, Abkommen und Pakten, das sie in der Krise geschaffen hat. Dabei hat diese Politik der Renationalisierung Europa mehr geschadet als genutzt - und das Erstarken radikaler Parteien in vielen Ländern befördert.
Die Kanzlerin muss nun darauf hoffen, dass die griechischen Bürger beim Referendum am Sonntag klüger entscheiden als ihre gewählten Politiker. Doch selbst wenn das geschieht: Eine Erfolgsgeschichte wird daraus nur noch, wenn Merkel endlich selbst jene Flexibilität und Hingabe an den Tag legt, die sie den Griechen seit fünf Jahren zu Recht abverlangt. ©SZ vom 01.07.2015/sana
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