Der Nemax wird den Deutschen Aktienindex schlagen Charttechniker: Erst nach einem Test der Tiefstände wird der Dax auf 5500 bis 6000 Punkte steigen
ham. FRANKFURT, 15. Oktober. Die Schwäche des Neuen Marktes gegenüber dem Deutschen Aktienindex Dax halten technische Analysten für überwunden. "Man kann anfangen, sich in schwächeren Phasen am Neuen Markt einzukaufen", sagt Michael Riesner von der DZ Bank. Auch im Dax befänden sich vor allem Technologiewerte wie Siemens und SAP in guter technischer Verfassung und sollten gekauft werden, wenn der Dax Schwäche zeigt. Die erwartet Riesner Anfang November. "Dann wird der Dax nochmals unter 4000 Punkte fallen", sagt der Analyst und beruft sich auf den seit 1982 gültigen Aufwärtstrend, der nochmals auf seinen Bestand getestet werden müsse. Diese Ansicht vertreten derzeit viele technische Analysten. Man traut dem schnellen Aufschwung nicht so recht, wohl auch, weil viele Börsianer noch nicht wieder den Mut hatten, Aktien zu kaufen, und nun auf eine Schwächephase hoffen, um sich günstiger mit Aktien eindecken zu können. Und der Aufwärtstrend von 1982 ist in vieler Munde.
Kapitalmarktexperte Wieland Staud zieht als Basis seiner Analyse einen anderen Trend heran: den von 1984. Dieser sei zwar kürzer (und insofern weniger bedeutsam), habe jedoch mehr sogenannte Auflagepunkte. "Außerdem erinnern sich die Anleger sehr stark an die Tiefs von 1987 und 1997. Viele haben sie bei ihren Anlageentscheidungen im Hinterkopf", meint Staud. Deshalb sieht er noch ein Rückschlagspotential bis auf 3300 Punkte für den Dax. Auch die Theorie von Elliott, nach der eine Abwärtsbewegung vom Höchststand typischerweise in fünf Teilen verläuft, lasse ein Unterschreiten der Tiefstände vom 21. September bei 3550 Punkten wahrscheinlich erscheinen. Dagegen spreche, daß es sich bei diesem Hexensabbat (Verfalltermin auf Dax-Terminkontrakte, Dax-Optionen und Dax-Aktienoptionen) um einen Handelstag mit Ausverkaufscharakter gehandelt habe. Zudem sei das Halbjahr zwischen November und März in der Börsengeschichte häufig besser gewesen als das Sommerhalbjahr. "Vor einem Jahr sprach jeder über Saisons - in diesem Jahr fast niemand", sieht sich der Analyst in seinem Optimismus in der (gewünschten) Minderheit. "Die Chancen für den Dax sind größer als die Risiken. Aber die Chancen des Neuen Marktes sind besser."
Hier sieht der Analyst die fünfteilige Abwärtsbewegung, deren Ende dem Dax möglicherweise noch bevorsteht, als abgeschlossen an. "Das Ende des Bärenmarktes ist da", meint Staud. Der Nemax 50 werde wohl noch in diesem Jahr den seit August 2000 bestehenden Abwärtstrend bei rund 1100 Punkten brechen. "Wegen der zahlreichen Widerstände in diesem Bereich wird es nicht mit einem Ruck gehen", sagt Staud. Aber bis zum Sommer 2002 nennt er ein Ziel von 1800 Punkten. Das wäre immerhin eine Verdoppelung. Einzelne Aktien seien aus technischer Sicht schwer greifbar. "Was gut war, bleibt auch gut", sollte eine Leitlinie für den Anleger sein. Biotechnologieaktien schlagen den Nemax, Internetaktien werden nach wie vor schlechter als der Durchschnitt abschneiden", lautet Stauds Prognose.
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Eine vorsichtigere Haltung zum Neuen Markt nimmt Klaus Tafferner von Concord Effekten ein. Er sieht bislang nur Anzeichen dafür, daß der Neue Markt seine lang andauernde Schwäche gegenüber dem Dax überwindet, vermißt aber noch die Nachhaltigkeit dieses möglicherweise neuen Trends. "Dax und Nemax werden ihre Tiefstände nochmals testen. Daß die Indizes auf neue Jahrestiefstände fallen, halte ich aber für unwahrscheinlich. Dazu ist die jetzige Gegenbewegung zu kräftig." Als Ziel für eine Konsolidierung in den kommenden Tagen im Dax nennt Tafferner 4200 Punkte. Wie Staud rechnet Tafferner im ersten Halbjahr 2002 mit einer Erholung bis auf 5500, maximal 6000 Punkte.
Staud prognostiziert, Schering werde die beste Aktie im Dax in den kommenden Monaten, weil sie die einzige mit einem klaren langfristigen Aufwärtstrend sei. "Sie wird neue Höchstkurse machen." Auch Riesner sieht "signifikante Abwärtstrends gebrochen" und erwartet in den nächsten Wochen Kurse um 67 Euro. Anleger sollten jedoch einen Stopp bei 57 Euro setzen. Tafferner sieht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Trendwenden tatsächlich vollzogen sind, im Dax allein bei Epcos und Bayer für groß an. Der Analyst erhält darüber hinaus von seinem Modell Signale, daß die Aktie der Deutschen Telekom ihre seit April 2000 festzustellende relative Schwäche gegenüber dem Dax beendet. Riesner verweist hingegen darauf, daß ein sogenanntes Doppel-Tief bei der Telekom-Aktie noch fehlt. "Sie wird gegen Jahresende wieder fallen und möglicherweise neue Tiefstände markieren", meint er. Staud verweist auf die zahlreichen Widerstände. "Bei 25 Euro ist der Deckel drauf." Die Telekom wird nach seiner Prognose in den kommenden Monaten schlechter abschneiden als der Dax.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2001, Nr. 240 / Seite 33
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