Der Kampf der Aufständischen von 1705 entwickelte sich von der anfänglichen Rebellion gegen Rechtlosigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung durch die kaiserliche Besatzungsmacht zunehmend zu einer alle Schichten der Bevölkerung erfassenden revolutionären Bewegung. Das revolutionäre Element brachten vor allem Männer wie Meindl, Plinganser und Passauer ein, die "Falken" der Aufstandsbewegung. Ihnen gegenüber standen Personen, die meist aus dem niederen Adelsstand kamen (durchweg Beamte), wie z. B. Bernhard von Prielmayr, deren Ziel es war, Bayern für die Dynastie der Wittelsbacher bzw. für den Kurfürsten zurückzugewinnen ("Tauben"). Letztere scheinen aber bewußt oder unbewußt übersehen zu haben, dass Max Emanuel dem Land Bayern größtenteils gleichgültig gegenüberstand und dieses für ihn nur Mittel zum Zweck war (Erlangung eigener Größe und Herrlichkeit). Am deutlichsten sichtbar wird der revolutionäre Charakter des Volksaufstandes durch die Einrichtung einer Legislative in Form des "Parlaments von Braunau" ("Gmein der Bürger und Bauern") und der Einsetzung des "Direktoriums" als exekutives Organ. Zwar wurde dieses Parlament durch die politische Unerfahrenheit der Versammelten von den adligen Direktoriumsmitgliedern "domestiziert", aber diese damals einmalige politische Konstruktion inmitten des europäischen Absolutismus spricht für den Willen zu politischen Veränderungen im bayrischen Volk. Zu bemerken ist aber auch wie mir scheint ein Dissens in den Zielen des Aufstandes zwischen Ober- und Unterland. So kann man sicherlich viele der Unterländler zu jenen zählen, die einem Bayern ohne Kurfürsten das Wort redeten (Plinganser), während die Oberländler wohl mehr der dynastischen Ordnungsvorstellung zuneigten und ihre Beteiligung am Aufstand von der Billigung desselben durch den Kurfürsten abhängig machten (deshalb wurde hier auch mit gefälschten Patenten gearbeitet). Das Scheitern des Volksaufstandes von 1705/06 hatte m. E. zwei Gründe:
Das Misslingen des Plans von Ägidius Fuchs - nämlich des Zusammenschlusses von Truppen des Ober- und Unterlandes vor München - hervorgerufen durch die Aktionen der kaiserlichen Armee unter General Kriechbaum; das Fehlen an militärischer Kompetenz und Einsicht in taktische Notwendigkeiten (gepaart mit dem Bewußtsein "jetzt oder nie, komme was da wolle") bei den meisten (nicht allen) Anführern der Oberländler.
Trotz aller Unzulänglichkeiten und dem daraus resultierenden Scheitern empfinde ich den Volksaufstand von 1705/06 als ein erinnerungswertes Datum in der Geschichte Bayerns. Das Fehlen dieser Vorgänge in den Geschichtsbüchern für bayrische Hauptschulen bzw. dessen Erwähnung in einem Nachsatz zum Thema "Absolutismus in Bayern" ist in meinen Augen ein schwerer Mangel.
Heinrich Knagge
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