"Es ist leichter, den Mund zu halten als eine Rede." ? Eine sprachlich-semantische Betrachtung ?
Eine mediale Hinrichtung par excellence! Und wir durften ihr beiwohnen! Die selbsternannten Mainstream-Denker bedienten die populistischen Thesen einer medienmanipulierten Gesellschaft. In bequemen Pantoffeln sahen und hörten wir, wie man denken muß, um ein Gutmensch zu sein. Ach, wie schön ist es doch zu konsumieren und nicht selber zu denken!
Dabei wäre es so einfach gewesen zu denken: (Originalzitat Eva Herman) "Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde."
Die Präposition "mit" bezieht sich sowohl auf "Nationalsozialismus" als auch auf "68er Bewegung" und könnte als "im Zuge des/der", "während des/der" oder "durch den/die" semantisch interpretiert werden. Ein Wert, das "Bild der Mutter", ist sowohl durch den "Nationalsozialismus" als auch durch die "68er Bewegung" "abgeschafft" worden. Bei dieser Interpretation ging dieser Wert schon mit den Nazis zunehmend verloren, und auch mit der 68er Bewegung.
Zur Verdeutlichung drehe ich nun "Nationalsozialismus" und "68er Bewegung" in ihrer Reihenfolge im Satz um: (Vertauschtes Zitat) "Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit der 68er Bewegung und dem Nationalsozialismus abgeschafft wurde." (Hinweis: Die zeitliche Fügung "darauf folgenden" wurde ausgelassen, weil sie bei der Vertauschung sprachlich keinen sinnvollen Bezugpunkt hat; die zeitliche Fügung ist aber auch nicht dominant sinnvermehrend, so daß sie generell entfallen kann.) Durch die Vertauschung der Reihenfolge wird deutlich, daß die Präposition "mit" in gleichem semantischen Sinn auf beide zeitlichen Epochen Bezug nimmt. Bei dieser Reihenfolge käme keiner mehr auf die Idee, den Sinn so zu interpretieren, wie ich es jetzt im folgenden mache:
(Mißinterpretiertes Zitat 1) "Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja" (gemeinsam) "mit dem Nationalsozialismus" (abgeschafft wurde) "und" (durch die) "darauf folgende 68er Bewegung" (endgültig) "abgeschafft wurde." Leider wird das Originalzitat von vielen in dieser Art und Weise mißinterpretiert. Die Präposition "mit" kann aber nicht gleichzeitig zwei verschiedene Sinnbedeutungen enthalten. Heinz Erhardt benutzte eine solche Sprachfigur zur Komik: "Es ist leichter, den Mund zu halten als eine Rede." "Und der Hund leckt immer ? wie ein alter Kochtopf." "Ich und meine Mittel sind beschränkt." Wenn nicht gerade Komik beabsichtigt ist, fällt ein Wort mit vexierenden Sinnbedeutungen mitunter gar nicht so stark auf. Es wird dann als Ungenauigkeit der Alltagssprache toleriert. Das hat Vorteile, denn es entlastet uns beim Sprechen, immer auf eine exakte Wortwahl und korrekte Satzzusammenhänge achten zu müssen. Dies eröffnet natürlich auch Interpretationsspielraum, selbst dort, wo es nicht erwünscht ist. Denn der Zuhörer gewöhnt sich an diesen Spielraum. Er nutzt eigenmächtig die Möglichkeit, dort interpretativ tätig zu werden, wenn er meint, daß ungenau kommuniziert worden ist, obwohl genau formuliert wurde.
Die Präposition "mit" kann drei Arten von Zusammenhängen herstellen: - Temporal (Kennzeichnung der Zeit) - Instrumental (Kennzeichnung des Mittels und des Werkzeugs) - Modal (Kennzeichnung der Art und Weise)
Mit anderen Worten: Wenn das "mit" als "im Zuge der 68er Bewegung" interpretiert wird (Temporale Kennzeichnung), muß das gleiche "mit" ebenso als "im Zuge des Nationalsozialismus" interpretiert werden. Und: Wenn das "mit" als "durch die 68er Bewegung" interpretiert wird (Instrumentale Kennzeichnung), muß das gleiche "mit" auch als "durch den Nationalsozialismus" interpretiert werden. Alles andere wäre ein dem Zuhörer nicht zustehender Interpretationsspielraum.
So, das war der 1. Akt. Und wer nicht weiterlesen möchte, bleibt ebenso eindimensional in seiner Bewertungsfähigkeit wie Schreinemakers und Co. Meine ganz persönliche Meinung: Der darf dann auch nicht weiter mitreden, weil er sich kein umfassendes Urteil erlauben kann, da er nicht vollständig informiert ist oder nicht bereit oder in der Lage ist, dies hier gedanklich nachzuvollziehen. Er kann leider nur ins populistische Horn tuten.
Der 2. Akt: Während beim mißinterpretierten Zitat 1 die Temporale Kennzeichnung und die Instrumentale Kennzeichnung der Präposition "mit" vermischt wird, wird das "mit" beim mißinterpretierten Zitat 2 beide Male ausschließlich temporal verstanden, also im Sinne von "im Zuge des/der" oder "während". An dem Satz "Während der Nazizeit wurde durch den Nationalsozialismus ein Wert abgeschafft." ist genausowenig auszusetzten wie an dem Satz "Während der 68er Bewegung wurde durch die 68er Bewegung ein Wert abgeschafft."
Aber: Im besonderen wird ja Eva Herman unterstellt, daß sie bedauere, daß ein Wert der Nazizeit abgeschafft worden ist. Um diesen Sinn zu verdeutlichen, müßte das Zitat lauten:
(Mißinterpretiertes Zitat 2a) "Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja" (gleichzeitig) "mit dem Nationalsozialismus und mit der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde."
Im ersten Teil wird einerseits der Nationalsozialismus abgeschafft und gleichzeitig der Wert "Bild der Mutter"; im zweiten Teil wird der Wert "Bild der Mutter" abgeschafft, aber nicht die 68er Bewegung. Da jedoch das Wort "gleichzeitig" im Originalzitat nicht vorhanden ist, kann in beiden Fällen lediglich von der Abschaffung des Wertes ausgegangen werden. Man kann nicht einerseits unterstellen, daß auch gleichzeitig die Abschaffung des Nationalsozialismus gemeint ist, wenn andererseits nicht auch die gleichzeitige Abschaffung der 68er Bewegung unterstellt wird.
Mit der Variante 2b feile ich den Gedankengang weiter aus:
(Mißinterpretiertes Zitat 2b) "Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit" (der Beseitigung des) "Nationalsozialismus" (durch die Aliierten/Bundesrepublik) "und mit der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde."
Daß es sich um die Abschaffung eines Wertes handelt, kann in beiden Fällen, Nationalsozialismus und 68er Bewegung, bejaht werden. Ansonsten ginge man aber bei Temporaler Kennzeichnung des "mit" einerseits von dem ENDPUNKT (Nationalsozialismus), jedoch andererseits von der DAUER (68er Bewegung) aus. Auch diese unterschiedlichen Sinnbedeutungen zugleich sind nicht zulässig. Der Zuhörer interpretiert wiederum nicht geäußerte Unterstellungen in das Gesagte hinein.
Schlußbetrachtung: In letzter Zeit werden immer häufiger Menschen bei gesellschaftpolitischen Themen in die braune Ecke gestellt, um sich einen Diskussionsvorteil zu verschaffen. Selbst wenn es Werte gegeben hat, die nach der NS-Zeit und den Sechzigern verloren gegangen sind, so muß es sich nicht immer unbedingt um Werte handeln, die wir heute nicht mehr brauchen. Wenn beispielsweise der Wert "Respekt" in der NS-Zeit zum Kadavergehorsam pervertiert ist, und wenn mit der zunehmenden Abschaffung des Kadavergehorsams auch der Wert "Respekt" abhanden gekommen ist, so ist es dennoch denkenswert, sich auf den unpervertierten Wert "Respekt" zurückzubesinnen. Es muß geradezu erlaubt sein, auch darüber zu kommunizieren, ohne ins rechte Lager verwiesen zu werden. Denn eine Schwarzweißdenke, daß der Zeitraum von 1933 bis 1945 ausschließlich schlecht und der Zeitraum ab 1945 ausschließlich gut gewesen sei, kann nur ein undifferenziertes, vereinfachtes Denken sein. Wer sich einen Diskussionsvorteil verschaffen möchte, indem er einem anderen leichtfertig eine braune Gesinnung unterstellt und dafür Applaus erhält, handelt unlauter. Er braucht sich nicht die Mühe zu machen, auf den eigentlichen Kern der Diskussion einzugehen, sondern kann seinen Gegner schon im Vorfeld entscheidend schwächen. Das ist einfacher, weil es dafür nur Worthülsen bedarf. Der Motor dafür ist Macht und Geld. Der Treibstoff ist die eigene Wertigkeitsbasis, die verteidigt sein will. Denn ohne sie scheinen das eigene Lebenswerk und die eigenen Lebensziele der Sinnlosigkeit anheimzufallen.
Ergebnis: Aus sprachlich-semantischer Sicht ist an Eva Hermans Zitat nichts auszusetzen. Die Unterstellung nationalsozialistischen Gedankenguts ist unzulässig.
-
Und nun knie nieder, Eva, und leiste Abbitte! Widerrufe, daß sich die Erde um die Sonne dreht!
|