Atempause
Von Harald Neubauer
--------------------------------------------------
Das Rezept ist simpel: Immer, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht, rufen die Herrschenden zur Rettung der Demokratie auf. Dazu bedarf es eines Feindbildes. Eines Monsters, das blutrünstig und zähnefletschend angeblich vor der Haustür lauert. Man nennt es "Neonazismus". Seit Gründung der Bundesrepublik wird dieses Schreckgespenst bei Bedarf aus der historischen Rumpelkammer geholt, um von aktuellen Mißständen abzulenken und die Wähler wie zitternde Schafe im Etablierten-Pferch zu halten.
Das hat 1969 funktioniert, als die Nationaldemokraten kurz vor dem Sprung in den Bundestag standen. Das war Anfang der neunziger Jahre so, nachdem die Republikaner 7,1 Prozent bei der Europawahl erreicht hatten. Und das ist heute, wie die Landtagswahl in Schleswig-Holstein zeigt, nicht anders. Die NPD und die mit ihr verbündete DVU werden dämonisiert, als seien sie geradewegs der Hölle entsprungen. "Herrn der Düsternis" nennt die "Welt am Sonntag" den NPD-Vorsitzenden.
Da gibt es für den braven Bürger nur eines: schleunigst Fenster und Türen vernageln, damit Satan nicht ins Haus gelangt. Und auf Edmund Stoiber hoffen, der angekündigt hat, er wolle die Rechten "an die Wand stellen". Wenn aber das antifaschistische Exekutionskommando Aufstellung nimmt und gleichzeitig der Leibhaftige durch die Straßen schwefelt, dann sind die Gedanken nicht unbedingt bei der Leistungsbilanz der Bundestagsparteien. Alles Meckern wird zurückgestellt - bis die Demokratie wieder aufatmen kann.
Nur: Von welcher Demokratie wird hier eigentlich geredet? Volksherrschaft im Sinn des Grundgesetzes bedeutet, daß sich die Wähler zwischen gleichberechtigten Parteien frei entscheiden können. Egal, wie ein solches Votum ausfällt, es ist prinzipiell zu respektieren. Vor allem muß dafür gesorgt werden, daß sich vor einer Wahl alle Bewerber dem Volk halbwegs chancengleich vorstellen können. Dazu bedarf es der Medien.
Niemand wird behaupten wollen, daß "rechte" Parteien in diesem Land auch nur ansatzweise die Möglichkeit haben, sich in Fernsehen, Rundfunk und den großen Blättern authentisch zu präsentieren. Wenn sie dennoch, fast wundersam, in Parlamente einrücken, ändert sich nichts an der medialen Ausgrenzung. Diese wird eher noch perfektioniert. In der jüngsten Ausgabe des Journalisten-Fachblattes "V.i.S.d.P." ruft die Chefredaktion alle Kollegen zur Verstärkung des antirechten Boykotts auf und höhnt: "Zensur? Aber nein. Wir kommen nur unserer journalistischen Pflicht nach, wichtig von unwichtig zu unterscheiden."
Die Bevormundung hat System. Sie wird zentral gelenkt und koordiniert. Die vom Grundgesetz postulierte Chancengleichheit steht in vielen Bereichen nur noch auf dem Papier. Gegenüber "rechten" Parteien überbieten sich Politiker und Journalisten in einem Beschimpfungswettbewerb, bei dem sich Ungeziefer-Vergleiche und Rotwelsch zu einem aggressiven Gift-Cocktail mischen. Um so notwendiger ist es, daß sich die Angegriffenen bemühen, den über sie verbreiteten Schreckenskarikaturen mit gegenteiligen Signalen die Wirkung zu nehmen. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Inhaltlich und optisch.
Die herrschende Klasse hat sich praktisch auf ein einziges "Argument" zurückgezogen: Hitler. Immer wieder Hitler. Damit schlägt sie jeden nieder, der ihr in die Quere kommt. Besonders gut klappt das in einem Gedenkjahr, in dem sich die deutschen Katastrophen-Ereignisse der jüngeren Geschichte bildmächtig vor die politische Gegenwart schieben lassen. Jeder Funktionär der Bundestagsparteien ist heilfroh, wenn er nicht über Hartz, sondern über Hitler diskutieren darf, über Auschwitz, nicht über sechs Millionen Arbeitslose.
Doch auf Dauer läßt sich die Gegenwart nicht mit der Vergangenheit übertünchen. Vor allem die Wirtschaft wird sich mit neuen Hiobsbotschaften zurückmelden. Der zwischen Regierung und Opposition erstmals angedeutete Disput, ob und inwieweit die Massenarbeitslosigkeit das Aufkommen "radikaler" Parteien begünstigt, läßt ahnen, welche Verwerfungen dem System nach eigener Einschätzung erst noch bevorstehen. Zwei Drittel der Bundesbürger, so eine aktuelle Umfrage, glauben nicht mehr an eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation. Wie lange werden sich die Hoffnungslosen wohl noch mit leeren Versprechungen begnügen?
Mit den alten Methoden der Hetze und Ausgrenzung erkämpft sich das Regime eine letzte Atempause. Mehr nicht. Auch immer neue Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bringen keine Lösung der politischen Fundamentalkrise. Ob am 8. Mai in Berlin deutsche Patrioten gegen die Befreiungslüge demonstrieren dürfen oder nicht - das bringt außer Juristen und Berufsempörten keinen in Arbeit. Ein solcher "Sieg" sei den Machthabern billig überlassen. Sie werden in Zukunft nicht mehr viel Freude haben.
|