Die Erhöhung des US-Leitzinses durch die amerikanische Notenbank scheint beschlossene Sache. Bleibt die Frage, was die Europäische Zentralbank vorhat Frankfurt - Einen Tag lang wollte niemand etwas von Zinsdiskussionen wissen. Und trotzdem schlugen die Kurse am Freitag heftig nach oben und unten aus. Denn es war dreifacher Verfallstag an der Terminbörse Eurex, auch Hexensabbat genannt. Jeweils am dritten Freitag der Monate März, Juli, September und Dezember verfallen drei Kategorien von Derivaten: Futures und Optionen auf die europäischen Stoxx-Indizes, auf den Dax sowie die Optionen auf Einzelaktien. Entsprechend versuchen die Marktteilnehmer, die Kurse in letzter Minute noch in die Richtung wichtiger Marken zu drücken. So kämpfte der Dax am Freitag verbissen um die 4000-Punkte-Linie, um die Börsenwoche dann bei exakt 3999,79 Punkten zu beschließen.
Das Gute daran: Wenigstens der Hexensabbat ist als Ursache für Kursschwankungen in der kommenden Woche damit ausgeräumt. Folgerichtig werden auch an diesem Montag die Änderungen im MDax und SDax wirksam, die von der Deutschen Börse beschlossen worden waren. Im MDax wird Celanese durch MPC Capital AG ersetzt. Im SDax werden Matchnet und Centrotec neu aufgenommen. Im Gegenzug verlassen dafür Hornbach Baumarkt, der das Umsatzkriterium nicht mehr erfüllt, und MPC Capital den Index für die kleineren Werte.
Doch auch wenn der Verfallstermin vorüber ist, gibt es noch jede Menge anderer aktueller Impulse, die den Markt bewegen. Der wichtigste ist und bleibt Alan Greenspan. Am 29. und 30. Juni wird er mit den anderen Mitgliedern des Offenmarktausschusses der US-Notenbank zusammentreten und seine Entscheidung zum amerikanischen Leitzins treffen. Alle Fakten, die als Basis für diese Sitzung dienen, sind bereits bekannt. So ist die Inflation gegenüber dem Vormonat zwar stärker gestiegen als erwartet, die Kerninflationsrate jedoch, also der Wert ohne den besonders stark gestiegenen Ölpreis, entwickelte sich etwas günstiger. Gleichzeitig hatte Greenspan es am Dienstag als unwahrscheinlich bezeichnet, dass die Inflation drastisch anziehen könnte. Damit scheint weitgehend sicher, dass die Fed den Leitzins Ende des Monats nur um 25 Basispunkte von 1,00 auf 1,25 Prozent anheben wird.
Da bis Freitag keine neuen Konjunkturdaten aus den USA auf der Tagesordnung stehen, dürften weitere Zinsdiskussionen bis dahin zwar ausbleiben. Am Freitag könnten dann jedoch die von der Universität Michigan ermittelten Zahlen zum Verbrauchervertrauen in den USA wieder für Gesprächsstoff sorgen. Die Analysten der Deutschen Bank erwarten einen deutlichen Anstieg des Wertes von zuletzt 90,2 auf 95,2 Punkte. Dies wäre Grund für weiteren Optimismus, würde es doch bedeuten, dass sich der amerikanische Verbraucher von steigenden Zinsen nicht beeindrucken lässt. Denn immerhin steigen dadurch die finanziellen Lasten durch Hypotheken oder sonstige Privatkredite, und der finanzielle Spielraum für weitere Anschaffungen müsste eigentlich enger werden. Offenbar überwiegt beim Verbraucher inzwischen aber das Vertrauen in den Wirtschaftsaufschwung und damit auch die Hoffnung auf steigende Löhne.
Allerdings hieße dies im Umkehrschluss, dass die amerikanische Notenbank auch für weitere Zinserhöhungen noch Spielraum hat. Und hier dürfte dann schon in Kürze die nächste Zinsdiskussion anknüpfen, die die Finanzmärkte wieder in Atem halten wird: Was kommt nach der ersten Zinserhöhung Ende Juni?
"Wir erwarten, dass die Fed Ende Juni beginnt, die Zinsen um 25 Basispunkte zu erhöhen", glaubt auch Richard Hoey, Chef-Ökonom von Mellon. "Danach erwarten wir einen beständigen, angemessenen und schrittweisen Anstieg des Zinssatzes bis zu einem Wert von 2,0 Prozent Ende 2004 und 3,5 bis 4,0 Prozent Ende 2005." Dieses Szenario entspricht inzwischen auch der Ansicht der Mehrheit der Marktteilnehmer. Sollten jedoch einige Konjunkturdaten in nächster Zeit wesentlich besser als erwartet ausfallen oder die Inflation auch nach der Beruhigung bei den Ölpreisen nicht zurückgehen, könnten schnell Rufe nach schnelleren und drastischeren Zinsschritten laut werden - mit den entsprechenden Konsequenzen für den Aktienmarkt. Immerhin hat Alan Greenspan 1994 schon einmal einen Aufschwung abgewürgt, indem er zu lange mit Zinserhöhungen wartete und dann umso deutlicher reagieren musste, um der davongaloppierenden Inflation wieder Herr zu werden.
Während also in den USA die Frage zu klären ist, wie sich der starke Wirtschaftsaufschwung auf die Zinspolitik auswirkt, suchen die Analysten hier zu Lande noch nach Zahlen für einen nachhaltigen Aufwärtstrend. Zwei Statistiken können ihnen dabei in der kommenden Woche wichtige Anhaltspunkte liefern. Am Dienstag wird der Index des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zu den Konjunkturerwartungen der Analysten und institutionellen Anleger veröffentlicht. "Wir sehen den ZEW-Index von 46,4 auf 45,0 Punkte fallen", gibt sich Annamaria Grimaldi von Morgan Stanley pessimistisch.
Ganz ähnlich sind auch ihre Erwartungen für den weitaus wichtigeren Ifo-Geschäftsklimaindex, der am Freitag publiziert wird. Auch ihn sieht sie von 96,1 auf 95,7 Zähler zurückgehen. Doch die Meinungen der Analysten hierzu gehen weit auseinander. Crédit Suisse First Boston beispielsweise prognostiziert einen leichten Anstieg des Ifo-Indexes.
Da sich also offenbar am Markt noch keine klare Meinung zum weiteren Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa gebildet hat, könnten die entsprechenden Konjunkturdaten der kommenden Woche für Bewegung sorgen. Sollten die Anzeichen für einen nachhaltigen Aufschwung auch diesseits des Atlantiks klarer werden, so würde auch hier die Zinsdiskussion schnell wieder aufkommen. Dies umso mehr, als die Inflation zuletzt deutlich angestiegen war. Ab Donnerstag werden die deutschen Länder erste Daten für Juni veröffentlichen. Sollte sich dabei zeigen, dass der Preisauftrieb anhält, so könnte die EZB sich nicht mehr lange einer Zinserhöhung entziehen. Jean-Claude Trichet könnte dann schneller als von vielen erwartet Alan Greenspan folgen. fhs
Artikel erschienen am 20. Juni 2004 in der WAMS
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