Ausbeutung durch Zeitarbeitsfirmen
Leiharbeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit - unter dieser Maßgabe setzt die Politik noch immer große Hoffnung in das Modell Zeitarbeit. Doch sieht die Wirklichkeit heute anders aus. Arbeitssuchende werden ausgebeutet, das lukrative Geschäft machen die anbietenden Firmen selbst.
Thilo Schnell war viele Jahre Personal-Disponent bei Leiharbeitsfirmen. Er hat vielen hundert Mitarbeitern gekündigt, sie um ihren Lohn betrogen. Er kennt alle Tricks der Branche. Zuletzt war er Niederlassungsleiter der Firma ARWA in Berlin. Im letzten Jahr ist er ausgestiegen.
Thilo Schnell bekam auf einmal Skrupel: "Wenn Sie in der Branche arbeiten, merken sie ganz schnell, dass sie ohne schmutzige Tricks nicht arbeiten können, um sich am Markt zu behaupten. Und wenn sie tagtäglich Mitarbeiter über den Tisch ziehen, nur um Kohle abzuzocken, kriegen Sie einfach moralische Bedenken."
Unerwünschter Kostenfaktor Nehmen wir das Beispiel Baustelle: Hier werden oft Leiharbeiter eingesetzt, wochen- oder monatsweise, ganz nach Bedarf des Entleihbetriebes. Kann eine Leihfirma ihre Angestellten einmal nicht vermitteln, muss der Lohn trotzdem weitergezahlt werden. So schreibt es das Gesetz vor. Doch ein Leiharbeiter ohne Arbeit ist ein unerwünschter Kostenfaktor.
Was dann geschieht, schildert Thilo Schnell: "Wenn mal keine Einsätze für die Mitarbeiter da waren, dann hat man sich natürlich überlegt, wie man sie rausschmeißen kann, um Kosten zu sparen. Irgendwelche Gründe gab es ja immer. Und wenn nicht, hat man sich einfach welche ausgedacht."
Keine Aufträge Einer, den man loswerden wollte, war Peter aus Berlin. Als Helfer auf dem Bau wird er von ARWA an andere Unternehmen verliehen. Doch dann gehen ARWA die Aufträge aus. Die Leihfirma kann Peter nicht vermitteln. Trotzdem müsste sie seinen Lohn weiterzahlen. Doch es kommt anders. Er wird in die ARWA-Niederlassung bestellt. Man bietet ihm einen Einsatz in Duisburg an.
"Als ich gefragt wurde, ob ich für einen Tag nach Duisburg gehen wollte, habe ich gleich ja gesagt," erzählt Peter. "Da waren sie wahrscheinlich ein bisschen überrascht und sind ins Hinterzimmer gegangen, um zu überlegen. Ich nehme im Nachhinein an, sie hatten gehofft, ich würde diese Fahrt ablehnen. Dann kamen sie mit einem neuen Einsatz wieder: Also Duisburg wird nichts, ich sollte dann nach Hamburg."
Kündigungsgrund: Arbeitsverweigerung Gegen halb sechs Uhr morgens macht sich Peter mit dem Zug auf den Weg zu seinem Einsatzort: Eine Baustelle in der Nähe von Hamburg. Dort soll es angeblich Arbeit für ihn geben. Nach gut fünf Stunden erreicht er endlich sein Ziel. Doch dort hat niemand mit ihm gerechnet. Auf der Baustelle gibt es nichts für ihn zu tun. Nach drei Stunden schickt man ihn wieder nach Hause.
Thilo Schnell kennt diese Methoden der Leiharbeitsfirma: "Wenn wir für die Mitarbeiter keine Einsätze hatten, haben wir uns Einsatzorte ausgedacht, die ganz weit weg vom Wohnort des Mitarbeiters sind. Damit provoziert man von vornherein eine Ablehnung." Arbeitsverweigerung gilt als Kündigungsgrund. So wird man Mitarbeiter los. Bei ARWA war man sehr zufrieden mit Thilo Schnell. Mit einer Sonderprämie bedankte man sich für seine engagierte Mitarbeit.
Viele schwarze Schafe Der Mitarbeiter Peter hingegen war als Mitarbeiter unerwünscht. Die ARWA behauptete, er sei unzuverlässig, telefonisch nicht erreichbar und kündigte ihm. Peter ging vors Arbeitsgericht und gewann. Die Richter glaubten den Behauptungen von ARWA nicht.
Das Unternehmen ARWA macht gute Umsätze, über 30 Millionen Euro im Jahr. Doch an kritischen Fragen ist man hier im Hauptsitz der Firma in Nieder Olm bei Mainz, nicht interessiert. ARWA lehnt ein Interview mit Frontal21 ab. Auch unsere schriftlichen Fragen bleiben unbeantwortet.
ARWA ist kein Einzelfall. Die Landesarbeitsämter haben im letzten Jahr 1263 Verleiher überprüft. Jedem zehnten Betrieb erteilten sie Auflagen oder entzogen die Lizenz. In über 400 Fällen wurden Bußgeldverfahren eingeleitet.
Tarifverträge sind selten In der Branche gibt es viele schwarze Schafe. Das behauptet Norbert Fuhrmann von der IGZ. Er muss es wissen. Die IGZ ist ein Verband der Leiharbeitsfirmen. "Nein das sind keine Einzelfälle, sie finden dies bei kleinen, mittleren und großen multinationalen Firmen," so Fuhrmann. "Mit dieser Politik wird eigentlich ein 'Hire und Fire-Prinzip' systematisiert. Das ist gepaart mit einem Lohndumping: Neben diesen Machenschaften bekommen die Mitarbeiter auch noch einen sehr, sehr geringen."
Tarifverträge sind selten in der Branche. Der Marktführer Randstad hat schon vor Jahren einen abgeschlossen. Doch den Beschäftigten nützt das wenig.Burghart Mund aus Nordhausen in Thüringen beispielsweise wurde von Randstad als Lagerarbeiter verliehen. Dafür bekam er einen Tariflohn von 5,63 Euro die Stunde. Von den Entleihbetrieben kassierte Randstad mehr als das Doppelte. Doch damit nicht genug: Von seinem Lohn muss Burghart Mund auch noch einen Großteil der Fahrtkosten berappen. Im April 2002 fuhr er täglich 100 Kilometer mit dem Auto zu seinen Einsatzbetrieben.
Die Fahrkosten zur Arbeit muss der Leiharbeiter oftmals allein tragen
Randstad redet sich heraus Mund hatte im April 2002 einen Nettoverdienst von 663 Euro. Darin waren 37,96 Euro Fahrtkostenerstattung bereits enthalten. Von seinem Lohn musste Mund etwa 180 Euro Spritkosten bezahlen. So blieben ihm tatsächlich nur noch rund 483 Euro.
Bei Randstad redet man sich heraus: "Für die Benzinpreise kann ich nun auch nichts", so Hans-Peter Brömser von Randstad. "Ich kann ihnen nur sagen, dass wir im Rahmen der gesetzlichen und steuerlichen Möglichkeiten Fahrtkostenersatz leisten. Wenn der nicht kostendeckend sein sollte, was ich nicht weiß, müssten wir die Einzelfälle untersuchen."
Mund: "Für das Geld, wenn ich alle Abzüge berechne, kann ich normalerweise auch zu Hause bleiben. Man will ja arbeiten und deshalb macht man das ja auch. Finanziell mussten wir uns mächtig einschränken."
Heuern und Feuern nach Bedarf Mittlerweile ist Mund wieder arbeitslos. Nach 4,5 Monaten bei Randstad kam die Kündigung, ohne Begründung. Mund war noch in der Probezeit. In der Leihbranche ist das Heuern und Feuern nach Bedarf üblich. Laut Statistik der Bundesanstalt für Arbeit dauern 60 Prozent aller Leiharbeitsverhältnisse nicht einmal drei Monate. Und nur selten wird ein Leiharbeiter von seinem Einsatzbetrieb übernommen.
Viele Leiharbeiter landen kurze Zeit später wieder auf dem Arbeitsamt.
Die Erfahrung hat auch der ehemalige ARWA-Niederlassungsleiter Thilo Schnell gemacht: "Dass Mitarbeiter durch Einsatzfirmen übernommen werden, das hab ich im Laufe meiner Tätigkeit vielleicht zwei-, dreimal erlebt. Die Firmen haben auch kein Interesse daran, dass Mitarbeiter dort fest arbeiten. Die brauchen für kurze Zeit einfach nur billige Arbeitskräfte. Unser Interesse war natürlich, dass wir mit den Mitarbeitern in kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen."
Leiharbeit als Perspektive Leiharbeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, daran glaubt Burghart Mund schon lange nicht mehr. Selbst der Verband der Leiharbeitsfirmen warnt davor, mit Leiharbeit die Probleme lösen zu wollen. Fuhrmann: "Die Politik hat versucht, die Zeitarbeit für sich zu entdecken und sie als Motor ihrer Beschäftigungspolitik zu entwickeln. Das sind aber im wesentlichen politische Fensterreden, die auch von der Branche abgeleistet werden und montags wird dann wieder so gearbeitet, wie man es seit Jahren gewohnt ist."
Der Mann weiß, wovon er spricht und für wen. Dennoch setzt die Politik große Hoffnungen in die Leiharbeit: Sie soll Arbeitslosen eine Perspektive bieten. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
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