Später Triumph für Lafontaine Leitartikel Von Ansgar Graw Rot und Grün verhandeln noch, aber die Entscheidung, vom Kurs der vorigen Legislaturperiode abzuweichen, ist offenkundig gefallen. Der Begriff des Sparens ist nicht mehr der Fixstern, an dem Kanzler Schröder die Politik seines Kabinetts orientieren möchte. Anstelle der Konsolidierung des Haushaltes tritt vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Abschwungs eine andere Philosophie. Die neue Finanzpolitik, so hat es SPD-Fraktionschef Franz Müntefering formuliert, muss "zu dem Ziel, Wachstum zu sichern", beitragen.
Das ist nicht das Vokabular Hans Eichels. Die Autorität des Bundesfinanzministers wird von den rot-grünen Unterhändlern seit Tagen untergraben, indem sie den Journalisten stecken, wie groß der konsensuale Unmut am Konferenztisch über den Rigorismus des gestrengen Schatzmeisters ist. Wachstum, Beschäftigung, die Belebung der Konjunktur stehen jetzt in der Prioritätenliste vor dem Sparziel. Da scheint Eichels Vorgänger, der vermeintlich letzte Keynesianer der SPD, Oskar Lafontaine, um die Ecke zu lugen und einen späten Triumph angesichts einer Regierung zu feiern, deren Kanzler noch im Wahlkampf Eichels strikten Kurs hoch gelobt hatte. Jetzt wird die Losung ausgegeben, dass die Sparpolitik richtig und wichtig sei und fortgesetzt werden müsse - aber nur so lange, wie sie nicht "konjunkturabwürgend" ist, wie es in Hessen, wo am 2. Februar gewählt wird, von SPD-Chef Gerhard Bökel formuliert wird.
Was in der Endphase des Wahlkampfes angesichts der Flutkatastrophe mit der Verschiebung der nächsten Stufe der Steuerreform begann, soll fortgesetzt werden. Der Staat will Geld in die Hand nehmen und dorthin geben, wo es, nach seiner Meinung, Arbeitsplätze schafft. Ob dieses Geld aus Steuererhöhungen kommt oder aus einer verlangsamten Reduzierung des Schuldenstands und einer dazu nötigen weiteren Kreditaufnahme, ist dabei zweitrangig. Manches von diesen Ideen hat man übrigens im Wahlkampf auch von Seiten der Union gehört.
Dass bei einem solchen Kurs die Staatsverschuldung steigen wird, kalkulieren die rot-grünen Koalitionäre ein. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel, in dessen Bundesland im Februar ebenfalls gewählt wird, bezeichnet schon vor dem 22. September die Maastrichter Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent als "Voodoo-Ökonomie". Der neue SPD-Generalsekretär Olaf Scholz nimmt die Munition gegen den Stabilitätspakt der Europäischen Union auf, wenn er scheinheilig sagt, "gegen gelockerte Vorgaben aus Brüssel wäre nichts einzuwenden - dann hätten wir neue Spielräume". Tatsächlich aber will nicht Brüssel die Vorgaben lockern, sondern Berlin, und es weiß sich mit Paris und Rom einig. Ob am Ende mehr als ein Torso von den strengen Maastrichter Regeln übrig bleiben wird, lässt sich angesichts einer solch konzertierten Aktion allenfalls hoffen.
So wie die bisherigen Beteuerungen verklingen, an den Maastrichter Kriterien festzuhalten, verhallt auch das Echo jener Versprechen Gerhard Schröders, mittels derer er vor rund vier Jahren den Rückzug des Staates ankündigte. Die Abkehr vom Primat des Sparens ist eine Rückkehr zum Glauben an die Allmacht des Staates, der antizyklisch in die Konjunktur eingreifen soll, um der Wirtschaft Beine zu machen. Was aber wird der Staat am Ende tatsächlich zustande bringen, wenn er jetzt 90 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur, die bis 2010 geplant sind, zu möglichst großen Teilen vorziehen will? Der Bau von Autobahnen bringt kaum noch Arbeitsplätze, und wenn die neuen Verkehrswege stehen, sind auch die wenigen Jobs dahin. Wenn aber gleichzeitig dem Häuslebauer die Eigenheimzulagen gestrichen werden, blutet die Branche.
Des Kanzlers aktuelle Suche nach dem richtigen Weg orientiert sich, wie es scheint, nicht mehr an den Versprechen von Deregulierung und Entbürokratisierung, sondern am Vertrauen in die Allmacht des Staates. Das ist keine neue Idee, sondern ein alter Irrtum. Gerade in Zeiten der zunehmend vernetzten Ökonomie ist es nicht mehr die Fiskalpolitik, die über Wohl und Wehe der Volkswirtschaft entscheidet, sondern die Leistungsbereitschaft von innovativen Unternehmern. Wer nicht den Mut hat, deren Ausgangsposition durch den Abbau von Auflagen und die Senkung von Steuern zu verbessern, manövriert sich in die Sackgasse.
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