Sanfte Landung
Die Zinspause in den USA erhöht den Druck auf den Dollar und erleichtert den Abbau der globalen Ungleichgeweichte - vor allem des US-Leistungsbilanzdefizits. Was der politische Wille bislang nicht vermochte, könnten jetzt die Marktkräfte erledigen.
NEW YORK. Darauf haben die Ökonomen lange gewartet. Nachdem die amerikanische Notenbank am vergangenen Dienstag eine Zinspause eingelegt hat und sich die Anzeichen für eine Wachstumsschwäche in den USA mehren, sind die Bedingungen für eine Korrektur der globalen Ungleichgewichte so gut wie lange nicht mehr. Der entscheidende Hebel dabei ist der Dollar, der nach der Fed-Entscheidung weiter an Wert verloren hat.
Das US-Leistungsbilanzdefizit von mehr als sechs Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) hängt seit einigen Jahren wie ein Damoklesschwert über der Weltkonjunktur. Nach Meinung der meisten Ökonomen lässt sich die Schieflage dauerhaft nicht aufrechterhalten. Sie rechnen mit einer baldigen Korrektur - entweder durch eine langsame Umkehrung der Handelsströme oder - im schlimmsten Fall - durch einen kräftigen Absturz des Dollars mit einer anschließenden Weltrezession.
Wenn der Zins- und Wachstumsvorsprung der USA gegenüber Europa und anderen Regionen zusammenschmilzt, so hoffen die Experten, wird der Dollar langsam an Wert verlieren. "Wir rechnen damit, dass der Euro gegenüber der US-Währung im nächsten Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht", sagt Marc Chandler, Währungsstratege beim US-Investmenthaus Brown Brother Harriman & Co. Chandler will allerdings nicht ausschließen, dass der Dollar nach den Ausverkäufen in den letzten Tagen kurzfristig auch wieder zulegen könnte.
Ein schwächelnder Greenback ist der direkteste Weg, um das enorme Handelsbilanzdefizit der USA abzubauen. Die Produkte aus den USA auf den Weltmärkten würden billiger, und die Einfuhren nach Amerika würden teurer. "Stärkeres Wachstum in Übersee und ein schwächerer Dollar haben die Wettbewerbsfähigkeit für US-Produkte bereits verbessert", sagt David Resler, Chefökonom der japanischen Großbank Nomura in New York. Das Handelsbilanzdefizit ist zwar zuletzt vor allem auf Grund der hohen Energiepreise immer noch leicht gestiegen, der Fehlbetrag im Mai blieb mit 63,8 Mrd. Dollar jedoch deutlich unter den Prognosen der Wall Street. Die Zahlen für den Juni werden heute vorgelegt.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die globale Schieflage erkannt und das Problem auf seiner letzten Tagung im Frühjahr dieses Jahres in den Mittelpunkt gerückt. Seitdem versuchen die IWF-Vermittler, die Ungleichgewichte mit Hilfe multilateraler Gespräche abzubauen. Einfach ist das allerdings nicht. Stehen dem amerikanischen Defizit doch entsprechend hohe Handelsüberschüsse in anderen Ländern gegenüber. Es ist also nicht damit getan, dass Amerika seinen Konsum von Importgütern bremst. Andere müssen ihrerseits einen Beitrag leisten.
Aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China zeigen bislang jedoch wenig Neigung, ihren Exportboom zu drosseln und ihre Heimatmärkte zu öffnen. In anderen Überschussländern wie Deutschland wiederum ist die Binnennachfrage bislang zu schwach, um die globale Schieflage zu korrigieren. "Und dass sich an den Überschüssen der Öl exportierenden Länder in naher Zukunft etwas ändern wird, glaubt niemand", sagt David Wyss, Chefvolkswirt der Ratingagentur Standard & Poor?s (S&P).
Was der politische Wille bislang nicht vermocht hat, könnten jetzt die Marktkräfte erledigen. "Die Zinspause wird den Dollar tendenziell schwächen", sagt Wyss. Haben doch die Europäische Zentralbank (EZB) und auch die japanische Notenbank angekündigt, dass bei ihnen die Zinskurve weiter nach oben zeigt. Für die USA rechnen Ökonomen wie Jan Hatzius dagegen schon bald mit ersten Zinssenkungen. "Wir rechnen im nächsten Frühjahr damit", sagt der Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs.
Dadurch würde sich vermutlich der Zinsabstand zwischen den großen Handelsblöcken weiter verringern und die Geldanlagen in den USA etwas von ihrem Reiz verlieren. Folgen die internationalen Investoren dem ökonomischen Lehrbuch, werden sie dann weniger Geld im Dollar-Raum anlegen.
In der Vergangenheit wurden solche Zinskalkulationen jedoch häufig von fundamentalen Wachstumserwartungen überlagert. Solange die US-Wirtschaft noch deutlich stärker wächst als der Rest der Welt, kann Amerika auch bei einem abnehmenden Zinsvorsprung ein Magnet für die Anleger bleiben.
Genau das erscheint jedoch fraglich, nachdem sich das Wirtschaftswachstum in den USA im zweiten Quartal auf nur noch 2,5 Prozent abgeschwächt hat. Misslingt den Amerikanern eine weiche Konjunkturlandung und platzt die Immobilienblase doch noch, ist auch eine Rezession im Jahr 2007 nicht ausgeschlossen.
Japan hat Amerika beim Wachstum bereits überholt. Lateinamerika und der größte Teil Asiens wachsen ohnehin schneller als die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten. Dass auch Europa die bisherige Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft einholt, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Zu groß sind die Strukturprobleme auf dem alten Kontinent, zu dynamisch ist die Wirtschaft in der Neuen Welt. Dennoch könnte bereits eine Annäherung der Wachstumsraten reichen, um die Handelsströme zu korrigieren.
Bei aller Vorfreude über einen lang ersehnten Abbau der globalen Ungleichgewichte ist die Korrektur doch mit einem erheblichen Risiko verbunden. Denn gelingt es den bisherigen Überschussländern wie Deutschland und Japan nicht, die eigene Binnenkonjunktur auf Trab zu bringen, fehlt der Weltwirtschaft eine Lokomotive. Der Preis für die Korrektur der Schieflage im Handel wäre dann eine weltweite Rezession. Die Amerikaner erinnern deshalb an ein altes Sprichwort: "Be careful what you wish for."
Quelle: Handelsblatt.com
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