ÖKONOM JOSEPH STIGLITZ "Banken haben total versagt" Die globale Finanzkrise erschüttert die Bankenbranche. Doch das Schlimmste kommt erst noch, sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz im Interview - und wundert sich, mit welchem Gleichmut die Steuerzahler für die Fehler der Geldkonzerne geradestehen.
manager-magazin.de: Professor Stiglitz, wir stecken mitten in einer der schlimmsten Finanzkrisen, die Generationen von Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg durchstehen mussten. Warum musste es so weit kommen?
REUTERS Ökonom Stiglitz: "Eine Pleite wäre nicht gesund"
Stiglitz: Weil die Banken sie selbst heraufbeschworen haben. Und warum? Weil sie ihr eigenes Geschäft nicht verstanden haben. Weil sie sehr, sehr schlechte Risikoanalysen zu dessen Grundlage gemacht haben.
mm.de: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sagt, dass sie genau die über Jahre immer weiter verfeinert hätten.
Stiglitz: Das müssen sie im Stillen gemacht haben. Selbst die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hat die Geldhäuser erst kürzlich aufgefordert, sie sollten ihre Risikovorsorge verbessern. Basel II wird die Mahnung genannt.
mm.de: Aber Risikoanalysen sind doch das Kerngeschäft der Banker. Und das muss denen noch mal vorgeschlagen werden?
Stiglitz: Das ist schockierend, nicht wahr? Es gibt tatsächlich keine einzige Entschuldigung für diese Burschen. Die hatten einfach keine rechte Ahnung von ihrem eigenen Geschäft. Sie haben total versagt. Und wissen Sie, was beinahe noch schlimmer war?
ZUR PERSON Joseph Stiglitz (Jahrgang 1943) zählt zu den großen Ökonomen der Gegenwart. Er lehrt an der New Yorker Columbia- Universität. In den 90er Jahren war er Wirtschaftsberater von US- Präsident Clinton. Von 1997 bis 2000 arbeitete Stiglitz als Chefökonom der Weltbank, die er im Streit um den richtigen Weg im Kampf gegen Armut verließ. Sein wissenschaftliches Spezialgebiet ist die Theorie des Marktversagens. Für die Analyse von Märkten mit ungleicher Verteilung von Informationen erhielt er im Jahr 2001 gemeinsam mit George Akerlof und Michael Spence den Wirtschaftsnobelpreis. mm.de: Was könnte noch schlimmer sein?
Stiglitz: Sie waren in dieser Zeit auch noch ausgesprochen kreativ, dieses unverstandene Geschäft mit immer neuen Finanzinnovationen auszubauen. Doch die hatten immer nur zum Ziel, den eigenen Profit zu steigern. Nicht ein einziges neues Produkt aber sollte den Finanzmarkt sicherer machen. Und wenn solche Ideen aufkamen, haben sie die auch noch mit allen Mitteln bekämpft.
mm.de: Welche Idee hätte das Finanzsystem denn beispielsweise sicherer gemacht?
Stiglitz: Neue Darlehensvarianten etwa. Argentinien beispielsweise wollte sich in höchster Not Kredit besorgen, dessen Zinsen sich nach der Höhe des jeweiligen Wirtschaftswachstums richteten. In schlechten Zeiten niedriger, in guten höher. Die Wall Street hat das verhindert, weil sie ihre Profite bedroht sah. Höhere finanzielle Sicherheit für andere Marktteilnehmer spielte für sie keine Rolle.
mm.de: Haben diese Einstellung jetzt auch Amerikas Hausbesitzer zu spüren bekommen, die in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie die Kredite für ihre Gebäude nicht mehr zurückzahlen können?
MEHR ÜBER... Joseph Stiglitz Finanzkrise Basel II Bear Stearns Fannie Mae Freddie Mac IKB zu SPIEGEL WISSEN Stiglitz: Exakt so ist es. Die Banker haben Wege gefunden, Leuten Kredite für Häuser anzudrehen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Aber Innovationen, wie mit diesen Risiken umgegangen werden soll, haben sie keine einzige fertiggebracht. Sie haben mit ihren Kunden gespielt.
mm.de: Wie lange wird die Krise anhalten?
Stiglitz: Noch eine ganze Weile, weil uns das Schlimmste erst noch bevorsteht. Die Banken werden große Probleme haben, ihr verlorengegangenes Kapital wiederzubeschaffen.
1 | 2 weiter 1. Teil: "Banken haben total versagt" 2. Teil: "Der Staat muss eingreifen, bevor etwas passiert" mm.de: Fürchten Sie, dass eine Großbank daran scheitern könnte und Pleite gehen wird?
Stiglitz: Das weniger. Es wird den sanften Ausweg geben. Wer allein nicht mehr klarkommt, wird in Fusionen gezwungen oder aufgekauft werden, wie es schon die New Yorker Investmentbank Bear Stearns erleben musste. Und dass weitere solcher Fälle passieren, halte ich für sehr gut möglich.
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224 Beiträge Neuester: Heute 09:26 Uhr von Berg mm.de: Wäre es nicht besser, so ein angeschlagenes Dickschiff einfach mal untergehen zu lassen, anstatt es auf irgendeine Weise doch noch vor der eigenen Pleite zu retten?
Stiglitz: Im Ergebnis ist es doch kein Unterschied, wie eine schlechte Bank verschwindet, wenn sie nur weg ist. Und die Banken sind untereinander so stark miteinander verflochten, und sie schulden sich oftmals gegenseitig so viel Geld, dass eine Pleite nicht gesund wäre.
mm.de: Könnten die Banker zukünftig nicht darauf spekulieren, notfalls immer irgendwie gerettet zu werden? Und deshalb einfach so weitermachen wie bisher?
Stiglitz: Das ist ein Problem, ja. Solche Notfallrettungen oder Notfallübernahmen setzen schlimmstenfalls die falschen Signale. Das trifft insbesondere auf halböffentliche Banken zu, für die plötzlich auf Kongressbeschluss der Steuerzahler einspringen muss, wie im Fall der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac .
mm.de: Wann ist denn aus marktwirtschaftlicher Sicht die Grenze erreicht? Wann darf der Staat nicht mehr eingreifen?
Stiglitz: Der Staat muss eingreifen, bevor etwas passiert. Das ist die Lösung. Denn zu groß für eine Pleite zu sein, heißt ja nicht, zu groß für eine Reorganisation zu sein. Wir brauchen einen völlig neuen Rahmen für Bankgeschäfte, das ist klar. Und einen Regulator.
mm.de: Was könnte der, was der Finanzmarkt allein nicht schafft?
Stiglitz: Regeln aufstellen, die nutzen. Jeder Pharmafirma beispielsweise wird vorgeschrieben, dass sie die Unbedenklichkeit ihrer Arzneien selbst beweisen muss - und zwar, bevor die Pillen überhaupt verschrieben werden dürfen. Warum fordern wir so einen Unbedenklichkeitsbeweis nicht auch von Banken für deren Produkte? Neue Regeln brauchen wir auch für die Bezahlung der Bankmanager, die bisher eher für Risiko belohnt werden als für vorsichtiges Handeln. Denkbar ist zudem, Überhitzungsbremsen einzuziehen.
mm.de: Was bedeutet das?
Stiglitz: Sobald die Lage zu heiß wird, könnte den Geldhäusern beispielsweise vorgeschrieben werden, ihre Risikovorsorge zu erhöhen. Das würde Dampf ablassen, weil dann auch weniger neue Kredite vergeben werden können.
mm.de: Glauben Sie, dass die Banken aus der aktuellen tief gehenden Krise etwas gelernt haben?
Stiglitz: Daran glaube ich nicht einmal ein winziges Bisschen. Solche Krisen scheinen doch alle zehn Jahre zu passieren. Ich fürchte, dass die Steuerzahler nach dieser Krise sich bereits darauf vorbereiten sollten, in der nächsten, die kommt, wieder einen Teil der Rechnung bezahlen zu müssen.
mm.de: Obwohl so viele Banken derzeit so hohe Abschreibungen und teilweise echte Verluste haben?
Stiglitz: Trotzdem. Die ersten Meinungsmacher bringen sich doch bereits wieder in Stellung und warnen vor Überregulierung, obwohl wir nicht mal eine funktionierende Regulierung haben.
Das Interview führte Karsten Stumm.
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