Die SPD bleibt zurück
Von Eckart Lohse
Hat Gerhard Schröder die falsche Bitte geäußert? Hätte er beim Bundespräsidenten nicht ehrlicherweise darum nachsuchen müssen, dieser möge die SPD auflösen statt den Bundestag? Abgesehen davon, daß das nicht in Köhlers Macht steht, wäre es einerseits konsequent gewesen, andererseits grundfalsch.
Schröder ist mit seiner Reformpolitik an der SPD gescheitert. Aber nicht an der SPD-Bundestagsfraktion. Daß weite Teile der SPD, vor allem deren mittlerer Funktionärskörper und in gewissem Umfang die "Basis", gegen die Agenda 2010 waren, wurde Schröder spätestens auf dem Bochumer Parteitag im Herbst 2003 offenbar. Da begann sein Scheitern, dessen ersten Schritt er im Februar darauf mit dem Rückzug vom Parteivorsitz vollzog. Hier war nicht lange zu rätseln, ob er noch das ausreichende Vertrauen habe. Stellvertretend für den Parteivorsitzenden Schröder wurden dessen Agenda-Exekutoren Clement und Scholz mit derart miserablen Ergebnissen in der Wahl zum Parteivorstand bedacht, daß Schröder die Ohren klangen.
Einige, nicht immer wenige, sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete übernahmen die Kritik und speisten sie ins parlamentarische Verfahren ein. Doch gerade daran, daß selbst diese Abgeordneten der Agenda dennoch zum parlamentarischen Erfolg verhalfen, zeigt sich, wie sehr sie gewillt waren (und sind), Schröder aus inhaltlichen oder aus machtpolitischen Erwägungen zu stützen. Der äußerste Beleg dafür ist, daß die Fraktion das überraschende, verfassungsrechtlich fragwürdige und noch dazu handwerklich miserabel ausgeführte Vorhaben, die Bundestagswahl vorzuziehen, am Ende überwiegend mitgetragen hat.
So viele SPD-Abgeordnete dagegen waren, so wenige waren schließlich bereit, Schröder noch in die Parade zu fahren, was etwa durch eine breite Aufforderung zum Rücktritt hätte geschehen können. Nein, diejenigen, die im politischen Tagesgeschäft mit ihm verbunden sind, deren Erfolg mithin auch von seinem abhängt, sind immer noch nicht soweit, ihn in die Wüste zu schicken. Das mußte er schon selber besorgen.
Vor diesem Hintergrund müssen die Schuldzuweisungen an die darunterliegenden Teile der SPD gehen. In der Tat haben die dem sprunghaften, nicht mit der Geduld seines Vorgängers Kohl ausgestatteten Schröder eine Menge abverlangt. In den Landesverbänden und den anderen Gliederungen der Partei findet sich jener Teil der Gesellschaft wieder, der sich am verzweifeltesten und am selbstverständlichsten am alten Sozialstaatsmodell festklammert. Diese Gruppierung hat aber einen entscheidenden Einfluß auf die politische Ausrichtung der SPD. Ein Bundestagsabgeordneter lebt davon, daß ihn Ortsverein und Kreisverband tragen. Dort muß er die Berliner Beschlüsse "verkaufen", sonst ist er machtlos und bald ohne Mandat.
Es ist nicht so, daß sich nicht auch dieser Teil der SPD in den letzten Jahren bewegt hätte. Die Einsicht von der Endlichkeit des sozialen Wohlfahrtsstaates ist auch hier eingesickert. Andererseits sind die Sozialphantasten, die über die "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" jetzt in die Linkspartei gegangen sind, nicht aus dem Nichts gekommen, sondern zumeist aus der SPD und den Gewerkschaften. So weit ist ihr Denken nicht von dem mancher ihrer einstigen Genossen entfernt.
Hört man den Linksparteilern zu, dann wird klar, warum im Wahlprogramm der SPD eine steuersystematisch unsinnige und wenig ergiebige Reichensteuer steht und warum der SPD-Vorsitzende Müntefering seine Kapitalismusdebatte vom Zaun gebrochen hat. Die simple Vorstellung, das Geld müsse nur von den Reichen genommen werden, um es über den Staat den Armen zukommen zu lassen, hinterläßt im Bauch der SPD immer noch ein wohliges Gefühl.
Schröder und die SPD haben sich aneinander aufgerieben. Für den Bundeskanzler ist das kein dauerhaftes Problem, hinterläßt höchstens einen schalen Nachgeschmack. Er war sieben Jahre im Amt, hat manches bewegt im Namen Deutschlands, sein Eintrag im Geschichtsbuch ist ihm sicher. Das Problem entsteht für seine Partei. Die ist inzwischen einen gut Teil des Weges in die Wirklichkeit mitgegangen. Immer stand vorne Schröder, mal mit der Macht lockend, mal drohend, mal schimpfend. Und irgendwo stand hinten immer Lafontaine. Lange blieb er im Gebüsch, nur für einige zu sehen, aber sein Sirenengesang war nie ganz verstummt, ist es nicht mal jetzt, da er nicht mehr in der SPD ist. Je mehr Schröder ins Straucheln kam, desto lauter sang Lafontaine.
Die Gefahr, daß viele Sozialdemokraten nun, da die Opposition halb droht, halb winkt, der alten Versuchung erliegen und umkehren auf dem Weg in die globalisierte Wirklichkeit, ist nicht gering. Den Verlust der Regierung nach sieben Jahren kann die traditionsreiche Partei verkraften. Der Verlust der halb erlangten Regierungsfähigkeit wäre die weitaus schlimmere Wirkung von Schröders Rückzug.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.07.2005, Nr. 26 / Seite 12
MfG kiiwii
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