Junge Migranten ohne Schulabschluss und Berufsausbildung / Viele türkische Schüler sind doppelsprachliche Analphabeten Von Fotini Mavromati
Fatih geht selten in die Disko, hat keine Freundin und trägt keine Marken-Kleidung. Das kostet alles Geld, erklärt der 18-Jährige lapidar. Und Fatih hat kein Geld. Er hat auch keine Arbeit. Und seine Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind gleich null. Fatih hat es nur bis zur 7. Hauptschulklasse geschafft. Er gehört zu den 24 Prozent ausländischer Schulabgänger in Berlin ohne Abschluss.
Die Bildungssituation von Jugendlichen ausländischer Herkunft hat sich verschlechtert. Lange vor der Pisa-Studie. Migrationsforscher beobachten seit längerem, dass der Anteil ausländischer Schüler an Realschulen und Gymnasien - verglichen mit dem vorherrschenden Trend zu höheren Abschlüssen in den achtziger Jahren - stagniert. Nur jeder zehnte von ihnen erreicht die Hochschulreife, dagegen schafft immerhin jeder vierte Deutsche das Abitur. Für die meisten ausländischen Schüler bleibt auch heute noch die Hauptschule der einzige Bildungs- und Ausbildungsort, und selbst dort erzielen rund 20 Prozent von ihnen keinen Abschluss. Zwei von fünf Ausländern bis 30 Jahre bleiben ohne berufliche Ausbildung.
"Warum sollte ich mich bewerben?", sagt Apo, "ich habe eh keinen Abschluss!" Der schlaksige junge Araber springt fortwährend vom Stuhl auf. Er müsse sich immer bewegen, das sei schon in der Schule so gewesen. Die Lehrer bescheinigten ihm Konzentrationsschwierigkeiten beim Lernen. Hinzu kamen die langen Fehlzeiten, zweimal musste er die 9. Klasse wiederholen. "Klar, die Eltern haben Stress gemacht", erzählt er, "aber irgendwann haben sie nachgegeben." Die Schule sei ihm damals nicht wichtig gewesen, er traf sich lieber mit Kumpels wie Fatih. Mit denen trifft er sich heute noch.
Jeden Nachmittag, im Jugendzentrum. Fatih, Apo und die anderen. Im Café mit seinen nackten Wänden und dem grauen Linoleumboden spielen sie Karten oder Billard, bis es irgendwann Abend wird. Draußen preist ein Werbeplakat die Türkei als Urlaubsparadies an: "Türkei - kein Traum kann schöner sein." Fatih und seine Freunde kennen das Land ihrer Eltern nur als Urlauber. Dort nennt man sie die "Deutschländer". In Deutschland ordnet man sie der dritten Immigrantengeneration zu. Sie sind hier geboren, doch ihre Zukunft in diesem Land ist für viele von ihnen ungewiss. Zum Beispiel für den 18-jährigen Fatih. Als er vor zwei Jahren die Schule verließ, dachte Fatih, gleich einen Job zu finden. Er wollte Geld verdienen, so wie es seine Eltern auch getan haben. Geklappt hat das aber bisher nicht.
Inzwischen sind viele Väter ohne Arbeit. Seit der Wende haben viele Berliner Betriebe geschlossen oder zumindest einen Teil der Belegschaft entlassen. Davon waren insbesondere die Berliner Türken betroffen. 43 Prozent von ihnen sind derzeit ohne Beschäftigung, bei den Jüngeren sind es sogar 56 Prozent. Da sie oft keine Berufsausbildung haben, sind sie schwer zu vermitteln. Gefragt sind Facharbeiter, qualifizierte Angestellte und Hochschulabsolventen. Der Bedarf an ungelerntem Personal aber geht kontinuierlich zurück. Jetzt rächt es sich, dass Deutschland zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs an Arbeitskräften Millionen von "Gastarbeitern" ins Land holte und sich nicht um deren Weiterbildung kümmerte. Und dass auch die Migranten selbst sich nicht darum kümmerten.
Die fast 50-jährige Einwanderungsgeschichte ist keine Erfolgsstory. Sowohl die Deutschen als auch die Migranten waren der irrigen Meinung, dass ihr Aufenthalt in Deutschland von kurzer Dauer sein würde. Die "Gäste" fragten sich nicht ohne Grund, warum sie sich in eine Gesellschaft einordnen sollten, wo sie doch ohnehin bald in ihre Heimat zurückkehren würden. Aber sie blieben. Die Kinder der Migranten bezahlen heute die Zeche. Sie werden eingeschult, ohne richtig Deutsch sprechen zu können. Und da die meisten von ihnen in Stadtteilen wie Neukölln, Kreuzberg oder im Wedding wohnen, kommen sie in Grundschulklassen, in denen deutsche Schüler kaum anzutreffen sind. So bleiben sie noch immer unter sich.
"Vor zehn Jahren bestand die Hälfte unserer Schüler noch aus Deutschen. Heute haben wir einen Ausländeranteil von fast 95 Prozent", sagt Joachim Klein, Konrektor der Eberhard-Klein-Oberschule in Kreuzberg. Bildungsbewusste Eltern würden ihre Kinder nicht auf die integrierte Haupt- und Realschule im berüchtigten "Wrangeldreieck" schicken. Zudem sind viele Deutsche in andere Stadtteile gezogen. "Die Politiker haben die Gettobildung zugelassen, die Lehrer stehen auf verlorenem Posten", sagt der Pädagoge. "Wir kriegen diejenigen, die in den Gesamtschulen nicht untergekommen sind." Fast alle seine Schüler brauchen Förderkurse. Zum regulären vierstündigen Deutschunterricht kommen wöchentlich zwei Stunden "Deutsch als Zielsprache" (DAZ) hinzu. Mag sein, dass sechs Stunden für die Sprachdefizite der Schüler nicht ausreichend seien, gibt Klein zu, aber man könne sich auch zu Tode "dazzen". Der Förderunterricht nütze wenig, wenn die Kinder zu Hause und unter sich nur Türkisch sprechen. Joachim Klein vermisst bei seinen Zöglingen den Integrationsdruck. Jugoslawen beispielsweise seien dagegen gezwungen, die deutsche Sprache zu lernen.
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