PRESSESTIMMEN
"Tschetschenien darf Putin nicht überlassen werden"
Ausländische, aber auch russische Zeitungen haben den Ausgang der Befreiungsaktion in der Schule von Beslan kritisch kommentiert. Hier eine Auswahl: < script type=text/javascript>< /script> "Russki Kurjer" (Moskau): "54 Stunden Lügen endeten im Tod der Kinder ... . In einigen Tagen werden die Menschen, die ihre Kinder und damit ihre Zukunft verloren haben, die Fragen stellen, die schon jetzt ihre Gefühle beherrschen.
Ohne Zweifel war die Erstürmung der Schule provoziert worden. Doch von wem? Wenn die Terroristen tatsächlich im Chaos fliehen wollten, wie es der Krisenstab später behauptete, hätten sie es nachts getan. In der Dunkelheit hätten die Polizisten nicht auf fliehende Menschen geschossen. Nachts wäre den Geiselnehmern mit Sicherheit die Flucht geglückt. Denn selbst am helllichten Tage gelang es ja einigen von ihnen, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen."
"Kommersant" (Moskau): "Die russische Staatsmacht beharrt darauf, dass die Geiselnehmer in Beslan aus vielen unterschiedlichen Ländern kamen. Weshalb erzählt man uns das? Wir sollen nicht glauben, der seit zehn Jahren andauernde Tschetschenien-Krieg sei für die Tragödie verantwortlich. Stattdessen will man uns weismachen, unsere Kinder seien gestorben, weil der internationale Terrorismus Russland den Krieg erklärt habe.
Es ist letztlich unwichtig, ob al-Qaida oder die tschetschenische Terrorbrigade Rijadus Salchin uns und unsere Kinder töten. Wichtig ist, dass in den vergangenen zehn Tagen zwei Flugzeuge abgestürzt sind, eine Bombe neben der Moskauer U-Bahn-Station explodierte und dass eine Schule überfallen wurde. Die Leute, die uns zu schützen geschworen haben, ließen uns im Stich."
"Nowyje Iswestija" (Moskau): "Wir sind schuldig vor jedem Kind, das von der ganzen Macht unseres Staates nicht geschützt werden konnte. Wir haben leichtfertig unseren Staat den Geheimdiensten und anderen Sicherheitsstrukturen überlassen. Dabei haben wir nicht gemerkt, dass anstelle einer Zivilgesellschaft eine Gesellschaft aus Uniformträgern aufgebaut wurde. Der Einzelne wurde dadurch schutzlos.
Der Staat, die Politiker und die Sicherheitsdienste sind nicht in der Lage, um Vergebung zu bitten. Sie spüren noch nicht einmal eine eigene Schuld."
"Trouw" (Niederlande): "Heimlichkeit kennzeichnet den Tschetschenien-Krieg, in dem der russische Präsident Wladimir Putin seit fünf Jahren einen harten Kurs verfolgt. Das nationale Fernsehen vermittelt dem Durchschnittsrussen kein Bild dieses Krieges und der Zahl von Opfern, die er fordert - ganz zu schweigen von Verbrechen, die Russen in der abtrünnigen Teilrepublik begehen. Am Samstag ist es Putin gelungen, das Drama in Beslan als Teil des internationalen Terrorismus zu bezeichnen und mit dem Tschetschenien-Krieg gar nicht in Verbindung zu bringen.
Nichts kann rechtfertigen, dass Unschuldige abgeschlachtet werden wie es in Beslan geschah. Aber man kann es auch nicht mehr hinnehmen, dass der Westen von der Seite her zuschaut, während sich das tschetschenische Drama abspielt. Tschetschenien darf Putin nicht überlassen werden. Das ist nach all den Jahren deutlich."
"La Vanguardia" (Spanien): "Der russische Präsident Wladimir Putin hat aus der Stabilität und der Unnachgiebigkeit seine doppelte Devise gemacht. In der vergangenen Woche hat er aber erleben müssen, dass die vermehrten Attentate das Scheitern seiner Politik der verbrannten Erde in Tschetschenien besiegeln und den gesamten Kaukasus destabilisieren. Die Druckwelle erreichte selbst Moskau. Die Serie terroristischer Anschläge folgte auf die Farce der Präsidentenwahl in Tschetschenien am 29. August. Putin, der jede Verhandlung mit den Separatisten ausschließt, hat seit seiner Amtsübernahme die tschetschenische Tragödie als Sprungbrett genutzt und bewusst die Gesamtheit des Widerstandes mit den terroristischen Gruppen gleichgesetzt."
"Libération" (Frankreich): "Im Kampf gegen den Terrorismus hat wirklich niemand jemand anderem eine Lehre zu erteilen. Alle halten sich zurück, selbst diejenigen, die gerne für das vom US-Imperialismus unterdrückte irakische Volk demonstrieren. Zweierlei Maß? Die Einsamkeit des tschetschenischen Volkes angesichts des russischen Imperialismus ist sicherlich grenzenlos. Doch der Kreml wird eines Tages Rechenschaft ablegen müssen. Die Tragödie von Beslan gibt vielleicht eine düstere Gelegenheit dazu. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet. Wie nach dem Untergang der "Kursk" und der Geiselnahme in dem Moskauer Theater hat das Regime dasselbe unsensible, grausame und brutale Gesicht gezeigt. ... Wenn man die Übergriffe von Putins Regime weiter deckt, ermutigt man ihn zusätzlich."
"Evenimentul Zilei" (Rumänien): "Putin ... hat den Russen gesagt: "Wir haben uns als schwach erwiesen und sind besiegt worden". Wer sind "wir"? Wer spricht? Der Zar der Katastrophen? Der Staatschef, der 118 Menschen im U-Boot Kursk langsam ersticken ließ? Der Gas-König, der 117 Menschen in einem Moskauer Theater getötet hat? ... Etwas Niedrigeres als die Bilder von blutüberströmten Kindern ... gibt es nicht. ... Sie waren die Zukunft Russlands. Dieses Schlagwort ist nun in der Altwarensammlung der Geschichte und die Kinder sind in unseren Albträumen, die uns keine Ruhe mehr geben werden. Russlands Zukunft aber ist in der Vergangenheit. Also nirgends." http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,316782,00.html
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