Wie die Alliierten im Triumphzug nach Paris
Oldtimer-Raid auf Provinzstrassen zur Seine-Metropole
O. I. Die Logen der Messe Basel am Start des 15. Raid Suisse-Paris waren von Privatbankiers und Firmen zur Champagnerbewirtung ihrer Gäste reserviert, doch zahlreich aufmarschiertes Publikum an der Startrampe illustrierte das weite Spektrum des Publikumsinteresses an den 163 historischen Automobilen, die sich auf die fast tausend Kilometer lange Fahrt nach Paris begaben. Schon in den Schluchten des Schweizer Juras und erst recht auf den französischen Landstrassen brandete den Piloten und Beifahrern der Oldtimer Beifall von Paysans und Citoyens entgegen.
Benzingeruch und Motorenmusik
Was im täglichen Verkehr lästiger Lärm und Abgase ist, schien dem winkenden Publikum in den Grande Rues der französischen Dörfer Musik in den Ohren und Benzingeruch in der Nase. Als Teilnehmer am Raid Suisse-Paris musste man sich angesichts des ausnahmslos positiv reagierenden Publikums fühlen wie die Alliierten unterwegs zur Eroberung des Arc de triomphe. Es scheint, als ob durch die zunehmend elektronisch- digitale Entfremdung der Alltagsfahrzeuge die Faszination an der einsehbar logischen Mechanik historischer Fahrzeuge überproportional steigen würde. In der Schweiz sind laut dem Raid-Organisator H. A. Bichsel rund 120 000 Fahrzeuge mit Jahrgang 1975 oder älter immatrikuliert.
In der stattlichen Schweizer Oldtimer-Szene gehört der jeweils Mitte August stattfindende Raid Suisse-Paris zu den Höhepunkten der Saison. Für die dreitägige Fahrt zur Place de l'Etoile wählen Bichsel und sein enthusiastisches Team ausschliesslich verkehrsarme, landschaftlich reizvolle Nebenstrassen aus, für den heurigen Jubiläums- Raid von Basel via Pruntrut, Dijon und Orléans ins Herz der Seine-Metropole. Im Gegensatz zu rennmässigen Rallys, die auf abgesperrten Strecken ausgetragen werden, darf die Spitzengeschwindigkeit keine Rolle spielen, sondern Gleichmässigkeit und Spezialprüfungen entscheiden über die Klassierung.
Das Road-Book mit schematisierten Pfeilen und Fotos von Strassenkreuzungen als Wegweisern, nach denen gefahren werden muss, wird jedes Jahr raffinierter. Auch dieses Jahr waren auf den Beifahrersitzen oft Frauen anzutreffen, welche die Rede widerlegten, dass das weibliche Geschlecht kein Faible fürs Kartenlesen habe. Ehrgeizige Navigatorinnen analysierten abends die eingefangenen Strafpunkte, die zum Beispiel durch Irrfahrten oder aufgrund einer privaten Radarmessung durch die Organisatoren in Abzug gebracht worden waren. Die zusätzlichen Hürden weckten den Ehrgeiz und wurden von Teilnehmern als wichtigster Vorteil gegenüber einer selber geplanten Fahrt genannt, neben der präzisen Organisation und den gediegenen Unterkünften. Ausserdem stand diesmal mit dem Golf-Raid erstmals eine auf grosses Interesse gestossene neue Teilnehmerkategorie offen, neben den Varianten Veteranen, Sport und Touring. Als weiteren Grund zur Teilnahme an einer organisierten Oldtimer-Rally galt die Begleitung durch Werkstattteams, wie etwa jenes der renommierten Adliswiler Spezialwerkstätte Gutknecht, und eine TCS-Patrouille.
Die Faszination an der greifbaren Technik war als gemeinsame Klammer unter den Raid-Teilnehmern zu spüren. Das breite Spektrum der Persönlichkeiten wäre für eine treffliche Charakterisierung von Oldtimer-Fahrern zu weit. Natürlich hätte der von einem jungen Mann neu erworbene Rolls-Royce Phantom 1934 zur Vermutung führen können, Papa habe bezahlt. Dass ein Vater hinter einem Ford Cortina 1968 eines anderen Fahrers stehen könnte, schien dagegen weniger offensichtlich: Der Sohn hatte den Wagen des Vaters zu dessen Andenken liebevoll restauriert. Es waren gerade die jüngeren Teilnehmer am Raid, die mit Wagen wie einem Peugeot 404 von 1964 oder einem Citroën DS 23 Injection (1973) Akzente setzten, die auf französischen Strassen besonders viele kindlich leuchtende Blicke nach sich zogen.
Eigentlich war jeder rüstige Oldtimer sein eigener Star an der Rally, doch erregten vier Wagen aus dem Alfa Romeo Museo in Arese bei Mailand besondere Aufmerksamkeit. Unter dem Titel Automobilismo Storico arbeitet das Museum mit einigen wenigen Organisatoren von Oldtimer- Fahrten zusammen, wie jenen der Mille Miglia oder eben des Raids. Was dieses Jahr aus Arese angefahren wurde, verschlug den wenigen Journalisten, die diese Wagen auch voll fahren durften, schon fast die Sprache - mindestens aber das Gehör der Beifahrer, an deren Ohren die ungedämpften Auspuffrohre ihre Perkussionsmusik entfalteten.
Röhren, knattern, gurgeln, trompeten
Mit seiner Einstellung, unbezahlbare Automobile nicht bloss im Museum stehen zu lassen, sondern periodisch auf die Strasse zu bringen, verfolgt Alfa Romeo eine eindrückliche Strategie, um an die sportlichen Höhepunkte der Vergangenheit zu erinnern. Für Publikum wie Teilnehmer des Raids war es ein einmaliges Erlebnis, etwa den schnittigen Spider 6C 3000 CM vorbeibrausen zu sehen, mit dem der legendäre Juan-Manuel Fangio 1953 den Grand Prix Supercortemaggiore von Meran gewonnen hatte. Oder den feuerroten 1900 Sport Spider von 1954, das einzige noch vorhandene Exemplar des Modells, das einen Sound entfaltete, als galoppierte die Kavallerie vorbei. In Waldabfahrten schienen die knatternden Nachzündungen im Auspuff ein Halali zu veranstalten. Handkehrum trompetete er beim Beschleunigen die Hügel hoch wie ein Elefant. Als Fahrer kam man sich zuweilen wie ein Rodeo- Reiter vor, wobei man zwar nicht abgeworfen wurde, doch das Getriebe bockte, wenn es beim Herunterschalten nicht ordentlich mit Zwischengas versorgt wurde.
Der 750 Competizione von 1955, auch dieser Rennsportwagen ein Unikat, war wie alle Museums-Alfas am Raid rechts gesteuert - als sie gebaut worden waren, gab es auf italienischen Strassen noch keine Mittellinien, und rechts überholen war Usanz. Mit seinen 150 Pferdestärken aus 1500 cm3 schob der leichtfüssige 750 Competizione seine bloss 620 Kilogramm pfeilschnell und grazil durch die lauschigen Kurven der französischen Landschaft, vorbei an Herden mit Kühen der Rasse Limousine, entlang von Pappelalleen und gewellten Kornfeldern. Im ursprünglich als Monoposto gebauten Rennwagen war nun dem Beifahrer ein Plätzchen für die angezogenen Knie eingeräumt, während der Fahrer dem Aggregat erst ab 3500 Umdrehungen so richtig den röhrenden vollen Übermut zu entlocken vermochte. Dass Alfa Romeo auch elegante und schwere Cabriolets hatte bauen können, dokumentierte die Squadra mit dem 6C 2500 Super Sport, dessen Karosserie von Pininfarina massgeschneidert worden war und dessen Armaturen von 1949 eine Augenweide hergaben.