Schröder hat eine Gabe, die sonst nur Werbetexter oder Journalisten auszeichnet: Er vermag griffige Formulierungen zu prägen, denen fast jeder zustimmen kann. ?Wir wollen nicht alles anders machen, aber vieles besser?, versprach der Kanzlerkandidat 1998. Die Wähler fühlten sich nach 16 Jahren Helmut Kohl von frischem Wind umspielt, ohne einen Eissturm der Veränderung fürchten zu müssen. Schröders Spruch war ebenso plastisch wie nichts sagend ? und darum ebenso erfolgreich wie risikolos. Der Stimmführer Kinderschänder wollte Schröder nach Morden an kleinen Mädchen schon mehrmals ?wegschließen ? und zwar für immer!?. Wer könnte dazu schon nein sagen. Schröder bietet den Bürgern ein simples Tauschgeschäft an: Er macht sich zu Volkes Stimme und bekommt dafür die Stimmen des Volkes. Der Ausweichler Als offensichtlich wurde, dass Rot-Grün nicht ? wie versprochen ? die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen drücken könnte, eröffnete Schröder die Jagd auf Drückeberger. Es gebe ?kein Recht auf Faulheit?, wer Stütze vom Staat wolle, müsse auch eine Gegenleistung bringen. Jahrelang hatten Liberale und Konservative genau dies gefordert und sich dafür von Sozialdemokraten und Grünen als herzlos schmähen lassen müssen. Der Ablenker Der Vorstoß hat Methode. Wenns schwierig wird, wenn neue Themen hochkochen, gibt Schröder frühzeitig populistisch die Richtung für eine heiße Debatte vor. Das lenkt nicht nur von anderen Problemen ab, es gibt den sozialdemokratischen Funktionären und Traditionsgruppen auch Zeit, ihre Einstellung zu korrigieren. Der Themenbesetzer ?Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell?, drohte Gerhard Schröder 1997 kriminellen Ausländern. Die schweigende Mehrheit fühlte sich verstanden ? selbst und gerade rechtschaffene ausländische Mitbürger sehen nicht ein, warum Drogenhändler oder Schutzgelderpresser hier bleiben dürfen, in vielen Fällen sogar ihren Lebensunterhalt durch Sozialhilfe finanzieren. Der Union fehlte plötzlich ein Thema, weil der wendige Niedersachse sie rechts überholt hatte. Geändert hat sich seitdem praktisch nichts. Der Anpasser Immer wieder korrigiert der wortgewandte Kanzler seine Positionen. Meinte er 1993 noch, ?das Deutschtum gehört in die Mottenkiste?, klang das 1998 ganz anders: ?Wir sind stolz auf dieses Land, seine Landschaften, seine Kulturen, auf die Kreativität und den Leistungswillen seiner Menschen.? Der flotte Wandel sei den rasanten Zeitläuften geschuldet. ?Man muss nicht Angst haben vor Politikern, die sich in Frage stellen, ihr Denken und Handeln, sondern vor Politikern, die nicht lernfähig sind?, meint Schröder. ?Das sollte man nicht als Prinzipienlosigkeit denunzieren.? ?Die überhastete Währungsunion hat zu einer kränkelnden Frühgeburt geführt" ? Gerhard Schröder, März 1998 ?Hinter dem Euro steht eine der stärksten Wirtschaften der Welt. Das macht ganz klar, dass an der Stabilität dieser Währung überhaupt nicht gezweifelt werden kann" ? Gerhard Schröder, Dezember 2001 Macht kommt von machen ? oder ist es umgekehrt? ?Wir machen es. Basta?, beschied der Kanzler öffentlich die Gewerkschaftsführer, die keine Privatvorsorge neben der Rentenversicherung wollten. Mal kippt er mit einem Machtwort im Alleingang eine Steuervorschrift für Internet-Surfer im Büro, mal verspricht er den Mitarbeitern der Autoindustrie einen Bonus. In der Steigerung heißt das Machtwort ?Chefsache?. Hier ist nicht Reden, sondern Handeln gefordert. Nach dem Amoklauf von Erfurt lud er die Intendanten der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender zur Debatte über Gewalt im Fernsehen. Regieren nach dem Ford-Slogan: Schröder ? der tut was. Green Card und Kernenergie, Kirch-Pleite und Zuwanderung oder die kurzzeitige Rettung des Holzmann-Konzerns vor dem Konkurs im November 1999. Schröder persönlich setzte den Schlussstein auf der Krisen-Baustelle ? und labte sich an den ?Gerhard, Gerhard?-Rufen. Lieblingsrolle Retter In Niedersachsen hatte Schröder kurz vor der Landtagswahl den Stahlkocher Salzgitter AG in staatliche Obhut genommen. Nun schwebte er im Sachsen-Anhalter Wahlkampf im Waggonbauwerk Ammendorf ein, um den vorläufigen Erhalt von 850 Jobs zu feiern. Mehr als Absichtserklärungen hatte er dem Chef des Bombardier-Konzerns aber nicht abringen können. Konsens Runden statt Parlament ?Ich bin für den Konsens zuständig?, verkündet n Weizsäcker und Rita Süssmuth Politiker, die nicht nur beide der oppositionellen CDU entstammen, sie vertreten dort auch notorisch eine abweichende Meinung ? die idealen Kronzeugen für Rot-Grün. Parlamentsersatz ?Das Regieren mit Gremien wie dem Bündnis für Arbeit oder dem Nationalen Ethikrat entmachtet die Institutionen wie Parlament und Fraktionen?, klagt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Die normalen Wege der Legitimationpolitischer Entscheidungen würden umgangen. ?Es nützt nur der Macht und Popularität des Kanzlers.? Der Bundestag werde zum Notar fremder Entscheidungen. Umgehungstaktik Den Nationalen Ethikrat berief Schröder, um seine Haltung zum Import von Stammzellen für die Gentechnik-Forschung durchzusetzen. Denn die etablierte Enquetekommission ?Recht und Ethik der modernen Medizin? beim Bundestag war dagegen. Am Ziel störte auch der Rüffel des Bundespräsidenten nicht mehr: ?Wer die Entscheidungen über das, was gemacht werden soll, der Wissenschaft überlassen will?, hatte Johannes Rau kritisiert, ?verwechselt die Aufgaben von Wissenschaft und Politik in einem demokratischen Rechtsstaat.? Magere Bündnisbilanz Das Bündnis für Arbeit war schon unter Amtsvorgänger Helmut Kohl geplatzt. Schröder belebte den Verhandlungsmarathon zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern neu, doch wieder blieben die Erfolge dürftig. Nach der letzten Sitzung blieb selbst dem Gastgeber nur ein kleinlautes Resü-mee: ?Zunächst mal hat sich das Treffen deshalb gelohnt, weil es möglich geworden ist, die unterschiedlichen Positionen überhaupt mal zu diskutieren.?
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