KAMPAGNENDas große Krippen-SpielVon Markus Brauck Fast überall, wo zur Zeit über Kinderbetreuung, Geschlechterrollen und Mütterlichkeit diskutiert wird, wirkt das "Familiennetzwerk" mit. Erzkonservativ-christlich im Grundton führt es einen ideologischen Kreuzzug an - mitfinanziert von Ex-"Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman. Es gibt diese Momente in ihrer Talkshow, da bleibt auch Sabine Christiansen für einen Moment die Spucke weg. Kürzlich zum Beispiel dümpelte eine ihrer Talkrunden über Kindeswohl und Krippenweh eher träge vor sich hin. Margarethe Schreinemakers machte große Augen, Bischof Walter Mixa große Worte. Als es plötzlich um Schweden ging, das Land der Kinderkrippen-Vollversorgung, sagte die Neo-Katholikin Gabriele Kuby: "Jedes dritte Kind ist psychisch gestört in Schweden." Da musste auch die Moderatorin erst einmal schlucken. Kampagnen: Das große Krippen-SpielFotostrecke starten: Klicken Sie auf ein Bild (3 Bilder) Der Satz war ein Killer. Wer möchte schon seine Kinder dorthin geben, wo sie offenbar nur geschädigt werden? Ob die Zahl überhaupt stimmt oder nicht, konnte in der Talkrunde auf die Schnelle niemand sagen. Sie war in der Welt. Und in etlichen tausend Zuschauerköpfen dürfte sie seither abgespeichert sein, um bei Gelegenheit wieder hervorgekramt zu werden. Gewarnt und mit der obskuren Zahl operiert hatte vorher das "Familiennetzwerk". Die Gruppe hatte den Brief einer schwedischen Autorin an "Mütter in Deutschland" veröffentlicht. "Kleine Kinder, ganztags fremdbetreut, lachen wenig", heißt es darin zum Beispiel. Als die Redaktion des WDR-Talks "Hart aber fair" für die eigene Sendung dem Schweden-Happen hinterher recherchierte, griff sie ins Leere. Studien, die die Zahl belegen, gibt es keine. Die schwedische Autorin könne sich "nicht auf eine unmittelbare wissenschaftliche Quelle stützen", schreibt Kuby auf ihrer eigenen Homepage. Bis zum vergangenen Freitag war der Brief jedoch immer noch auf der Homepage des Netzwerks zu lesen. Um Stellungnahme gebeten, teilte es schließlich mit: "Nach eingehenden eigenen Recherchen kann sich das Familiennetzwerk dieser Aussage nicht mehr anschließen." Und entfernte den Text. Vielleicht war zu dieser schlichten Einsicht vorher auch einfach keine Zeit. Denn seit die Nation am kollektiven Mutterbild schraubt, seit Familienministerin Ursula von der Leyen einen Kulturkampf um Kinder und Krippen losgetreten hat, ist die Organisation in den Medien dauerpräsent. Seine Vertreter und Unterstützer streiten bei Maybrit Illner, Sandra Maischberger, Christiansen und Frank Plasberg. Sie geben Umfragen in Auftrag und veranstalten Kongresse. Sie schreiben Gastkommentare für Zeitungen und überziehen das Land mit einer Welle von Leserbriefen. Die Kampagne des Netzwerks heißt harmlos "Familie ist Zukunft". Doch in Wahrheit führt die Organisation - quasi krippen-krank - einen raffiniert inszenierten Mutterkreuzzug. Hinter dem Netzwerk stehen rund 50 Gruppen und 70 Einzelpersonen, die zumeist einem "Regionalbüro" vorstehen. Der Grundton ist konservativ-christlich. Lebensschützer sind dabei, aber auch Gruppen, die - meist aus religiösen Gründen - die Schulpflicht ablehnen. Auch die Ex-"Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman gehört zum Netzwerk. Sie spendet dafür die Erlöse aus ihrem neuen Buch, einer Sammlung von Leserbriefen ("Liebe Eva Herman!") zu ihrem Anti-Feminismus-Erfolg "Das Eva-Prinzip". Herman sagt, sie bewundere am Familiennetzwerk "den Mut, den man braucht, um gegen die allgemein herrschende Meinung anzukämpfen". Ihre rückwärtsgewandte, angeblich neue Weiblichkeit passt perfekt zum Netzwerk, das letztlich nur eines propagiert: Eine richtige Familie ist, wo Papa das Geld verdient und Mama zu Hause bleibt und die Kinder hütet - zumindest die ersten drei Jahre. Die Kampagne feiert Erfolge auch dort, wo nicht einmal ihr Name fällt. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ("FAS") erschien Anfang April der Appell eines "Krippengipfels", zu dem das Blatt Väter und Mütter geladen haben will. "Liebe Ministerin von der Leyen: Gebt lieber uns das Krippen-Geld!", lautete die Überschrift. Ohne das Familiennetzwerk zu erwähnen, gab das Blatt exakt dessen Position wieder. Und unter den fünf befragten Elternpaaren waren gleich drei Leiter von Regionalbüros des Familiennetzwerks. Eine getarnte Aktion? "FAS"-Ressortleiter Rainer Hank sagt dazu: "Wir sind nicht die geheimen Helfershelfer des Familiennetzwerks." Die Redaktion habe aus großen Leserbriefgruppen und dem eigenen Bekanntenkreis Familien ausgesucht. "Dass mehr als die Hälfte Netzwerker sind, ist purer Zufall. Jedenfalls wurde es von uns nicht gelenkt." Das Konzept der schleichenden Unterwanderung jedenfalls scheint zu funktionieren. Der Journalist Jürgen Liminski, der der katholischen Laienorganisation Opus Dei nahesteht und dessen "Europäisches Institut zur Aufwertung der Erziehungsarbeit" ebenfalls zum Netzwerk gehört, legt eine besondere Messlatte an: "Die Gehässigkeiten nehmen zu", sagt er, "vor allem aus der Ecke, die sich nicht damit abfinden kann, dass der Feminismus gescheitert ist." Und daran zweifelt im Netzwerk niemand. Das Mutterthema ist indes en vogue wie nie. Alice Schwarzers neues Buch "Die Antwort" wird gerade in der "Frankfurter Allgemeinen" vorabgedruckt. "Geo" fragt in der aktuellen Ausgabe "Was ist eine gute Mutter?" Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin schlägt sich mit ihrem eigenen Buch auf die Seite der neuen "Rabenmütter". Die Debatten brechen nicht ab.
Das Familiennetzwerk hat dabei sehr geschickt eine Lücke besetzt, die der Augsburger Bischof Walter Mixa allein nicht zu füllen vermochte. Immer nur Mixas "Gebärmaschinen"-Provokationen sind selbst fürs Fernsehen irgendwann zu öde. Bei Maybrit Illner taucht dann direkt neben Mixa eine vierfache Mutter vom Familiennetzwerk auf. Beatrix Selk-Schnoor zerhackt mit dem Zeigefinger die Studioluft und bringt mit ihren Mutter-Tiraden beinahe die gesamte Runde gegen sich auf. Natürlich hat sie eine vom Netzwerk in Auftrag gegebene Umfrage dabei. Passenderweise sagen darin überwältigend viele Deutsche, sie würden viel lieber zu Hause bleiben mit ihren Kindern, wenn es dafür vom Staat ausreichend Geld gäbe. Aber der Staat lasse die Eltern ja nicht. "Es gibt keine Verpflichtung, Kinder in Krippen zu schicken", greift Ex-Familienministerin Renate Schmidt beruhigend ein. "Doch, doch, Nötigung ist das", quengelt Selk-Schnoor dazwischen. "Wir wollten dem Bischof jemanden an die Seite stellen, der die gleiche Position hat wie er und als kinderreiche Frau etwas näher am Alltag ist", sagt Illners Redaktionsleiter Wolfgang Klein. Der Online-Dienst "sueddeutsche-de" schrieb tags darauf: "Die Litanei wurde zuweilen so penetrant, dass man sich fragen konnte, wie glücklich wohl ihre vier Kinder bei einem solchen Debatten-Stil werden." Solche Häme trifft die Netzwerker kaum. Sie wähnen sich in einer glanzvollen Minderheitsposition und Opferrolle. Bei einem Kongress des Familiennetzwerks in der Universität Frankfurt war das am vorvergangenen Wochenende deutlich zu spüren. 100 Euro Eintritt kostete die Veranstaltung. Dafür traten dann "internationale Experten" auf, die so ziemlich alle das Gleiche sagten. Ein Kleinkind gehört zur Mutter, und zwar ganztags, sonst kann es Schaden nehmen. "Wenn Sie über Mütterlichkeit reden, geraten Sie ja gleich in Nationalismusverdacht", rief Jürgen Liminski, der hier moderierte, in den jubelnden Saal. Später, als jemand überraschenderweise sagte, auch hier wolle ja niemand die Rückkehr der Frauen an den Herd, legte er nach: "Die Verfemung des Herds sollten wir nicht mitmachen, da uns Alfred Biolek jeden Tag vorführt, wie schön es ist, an diesem Gerät zu stehen." Wieder toste der Saal. Unter den Referenten war auch die schwedische Schriftstellerin mit der Statistikschwäche. Statt von Kindertagesstätte könne man auch von Kinderparkplätzen reden, sagte sie. Eva Herman hatte zu ihrem Vortrag einen Gast mitgebracht, den Taxifahrer Rene Scholz. Ihn hatte sie tags zuvor auf der Fahrt zur Uni kennengelernt. Er solle mal aus der Praxis erzählen, was aus den Kindern und Jugendlichen in diesem Land geworden ist. Und Scholz legte los. Er erzählte von zwei jungen Frauen, die in einer 50-Minuten-Fahrt eine Flasche Martini geleert haben, von Pärchen, die sich im Taxi Liebe schwören und nicht einmal den Namen des anderen wüssten. Von Jugendlichen, die ihn einfach duzen. "Das sind die Leute, die wir heute produzieren." Der Saal klatschte erschüttert. Doch wie die Truppe wirklich tickt, versteht man am besten, wenn man sich mit Netzwerk-Initiatorin Maria Steuer unterhält. Auch sie war natürlich schon in einer Talkshow. Bei "Menschen bei Maischberger". Sie sagt, sie habe nichts gegen Eltern, die ihre Kinder in Krippen geben. Sie wolle niemandem vorschreiben, wie er zu leben habe. Klingt liberal. Einerseits. Andererseits sagt sie dann: "Krippenerziehung ist Risikoerziehung." So wie Rauchen auch riskant ist. Wer 25 Jahre lang rauche, der dürfe sich nicht wundern, wenn er Lungenkrebs bekommt. Und wer sein Kind in eine Kinderkrippe steckt? Tja. www-spiegel.de gruß Maxp.
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