Wie Aixtron gerade Gas gibt
HERZOGENRATH. Steigender Aktienkurs, Umsatzrekorde, Hunderte neue Mitarbeiter. Es läuft bei Aixtron. Was ist da los in Herzogenrath?
Der Aktienkurs von Aixtron geht seit Monaten nach oben, die Orderbücher füllen sich immer weiter. Der Spezialanlagenbauer profitiert von Entwicklungssprüngen in der Mikroelektronik, ist Marktführer in wichtigen Bereichen, peilt beim Umsatz die halbe Milliarde Euro an und stellt Hunderte neuer Mitarbeiter ein. Gründe genug, einmal nachzufragen, was da eigentlich los ist in Herzogenrath.
Zahlen. Der Gesamtumsatz hat sich von 2019 bis heute auf rund 500 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Europa, Asien und die USA sind die Hauptabsatzmärkte der Hightech-Schmiede. Unterm Strich stand 2021 ein operativer Gewinn (Ebit) von 99 Millionen Euro ? fast eine Verdreifachung innerhalb eines Jahres. Auch bei Forschung und Entwicklung gibt Aixtron kräftig Gas. Rund 300 Millionen Euro flossen seit 2017 in diesen Bereich. ?Bei unserem Kerngeschäft, den Verbindungshalbleitern, konnten wir unseren Marktanteil in den vergangenen fünf Jahren auf 75 Prozent steigern?, sagt Finanzvorstand Christian Danninger. Davon profitieren auch die Mitarbeiter: Ende 2021 gab es eine Gewinnbeteiligung von 6000 Euro pro Mitarbeiter.
Rückblende. Im Dezember 2016 wurde Aixtron für einen kurzen Moment zum Spielball der Weltpolitik. In Washington senkte der scheidende US-Präsident Barack Obama den Daumen und stoppte die Übernahme der Hightech-Schmiede durch einen chinesischen Konzern ? aus Sicherheitsgründen. Möglich wurde das Veto, weil Aixtron auch einen Ableger im kalifornischen Silicon Valley unterhält und Aixtron mit Obamas ?No? den wichtigen US-Markt verloren hätte. Zur Begründung hieß es aus dem Weißen Haus, auf den Anlagen made by Aixtron würden Chips produziert, die auch in Satelliten und Raketen verbaut werden. Der 670-Millionen-Deal platzte, die Sorgen waren groß und die Zukunftsaussichten düster. Heute, knapp sechs Jahre später, kommentiert Vorstandschef Felix Grawert die damalige Aufregung mit einem zufriedenen Lächeln: ?Unsere Unabhängigkeit ermöglicht es uns, das gesamte Potential unserer Technologien voll auszuschöpfen.?
Multikulti. ?Wir können fast kein Meeting auf Deutsch abhalten?, sagt Grawert. Am Standort Herzogenrath arbeiten Mitarbeiter aus 48 Nationen, 40 Prozent der Belegschaft haben ein ausländischen Pass. ?Die Halbleiterindustrie ist international extrem vernetzt, das spiegelt sich auch in unserer Mitarbeiterschaft wider.? Aus der Ferne betrachtet habe Aachen keine Randlage, sondern liege, im Gegenteil, im Zentrum Europas. Das sei nicht nur ein Standortvorteil, sondern mache es auch leichter, Mitarbeiter aus dem Ausland zu rekrutieren. Die enge Kooperation mit den Hochschulen ist für Aixtron ein weiteres Standortplus. ?Die RWTH ist für die Region der Wirtschaftsfaktor?, sagt der Chef des Unternehmens, das 1983 selbst aus der Aachener Uni hervorgegangen ist. ?Wir sind glücklich hier.?
Innovation. Es gibt da ein besonderes Imageproblem. Denn nirgendwo, wo Aixtron drin ist, steht auch Aixtron drauf (sieht man einmal von den Anlagen ab). Dabei stecken die Ideen der Herzogenrather in einer Vielzahl von Produkten und Innovationen ? angefangen von effizienteren Ladegeräten über besonders brillante Handydisplays, energieeffiziente Rechenzentren bis zur 5G-Mobilfunktechnik und Ladesäulen für E-Autos. In manchen Bereichen ist der Chipanlagenbauer unumstrittener Weltmeister: So werden zum Beispiel ausnahmslos alle Laser für Glasfasernetze, die Licht zum Transport von Daten erzeugen, auf Maschinen von Aixtron hergestellt. Schnelligkeit, Flexibilität und eine gesunde Fehlerkultur nennt Grawert als wichtigste Komponenten der Unternehmensphilosophie: ?Wenn alles immer klappt, dann hat man nicht genug gewagt.?
Leuchtkraft. ?Wir arbeiten an Innovationen, die 2024 unterm Weihnachtsbaum liegen werden?, sagt der Vorstandschef voraus. Micro-LEDs etwa. ?Im Handy und auf der Smartwatch ist die OLED-Technologie heute Standard?, sagt Grawert, aber insbesondere bei diesen Mobilgeräten ist das Display ein echter Knackpunkt: Denn nichts saugt mehr Leistung aus dem Akku als der Bildschirm. Mit den Micro-LEDs soll sich das schon bald ändern: Diese selbstleuchtenden Bildpunkte werden so winzig klein sein, dass auf einem Bildschirm zig Millionen davon Platz finden. ?Das Ergebnis sind schnelle Displays von enormer Leuchtkraft, mit denen das Handy auch am Strand bei praller Sonne problemlos lesbar wird?, verspricht Grawert, und der Akku hält drei, vier Tage lang ohne Aufladen durch. ?Das ist eine völlig neue Gerätekategorie? ? und aus Herzogenrath kommen die Anlagen dafür.
Vorsprung. ?Wir schieben die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter hinaus?, sagt der Vorstandschef. Das nächste heiße Ding heißt GaN ? Leistungshalbleiter aus Galliumnitrid verzeichnen inzwischen ein enormes Wachstum. Weil sie zum Beispiel helfen, den enormen Stromhunger großer Rechenzentren zu verringern. ?Die großen Rechenzentren der Tech-Giganten verbrauchen rund drei Prozent des weltweiten Stroms?, sagt Finanzvorstand Danninger. ?Mit GaN-Halbleitern, die auf unseren Anlagen produziert werden, lassen sich in diesen Serverparks 30, 40 Prozent der Energieverluste einsparen, die bei der Wandlung entstehen.? Auch die Verwendung von Leistungselektronik aus Siliziumkarbid boomt, vor allem die Automobilindustrie setzt im Zuge der Elektrifizierung immer stärker auf diese Bauteile.
Comeback. ?Wir blicken auf zwei Jahrzehnte zurück, in denen die Halbleiterei immer mehr nach Asien und vor allem nach China gewandert ist?, sagt Grawert. Der vor allem durch die Pandemie bedingte Chipmangel hat die Abhängigkeit von Herstellern in Übersee schmerzhaft gezeigt ? fast alle Branchen klagen seit vielen Monaten über fehlenden Bauteile. Aber es verändert sich gerade etwas. ?Die europäische Halbleiterindustrie kommt zurück.? Der US-Chipgigant Intel etwa plant bei Magdeburg eine Giga-Fabrik, den taiwanesischen Chiphersteller TSMC zieht es womöglich nach Dresden. Zwar zählen beide mit ihren klassischen Halbleiterprodukten nicht zu den Aixtron-Kunden, für Grawert sind Großinvestitionen wie diese aber ein ermutigendes Zeichen: ?Es wird wieder mehr geforscht an den Universitäten, mehr junge Leute interessieren sich für diesen Bereich, das ganze technologische Ökosystem in Europa profitiert davon? ? und damit auch Aixtron.
ZITAT Zwei unserer Anlagen sparen am Ende so viel CO2 ein, wie vom Kohlekraftwerk in Weisweiler pro Jahr ausgestoßen wird.
FELIX GRAWERT
Vorstandschef von Aixtron
Spannung. Eine MOCVD abgekürzte Technologie ermöglicht es beispielsweise, ultradünne Schichten von Atomen auf eine Wafer genannte Scheibe aus Materialien wie etwa Silizium oder Saphirglas aufzutragen ? zum Beispiel für die Herstellung von roten, blauen und grünen LEDs. Verbindungshalbleiter finden sich aber auch in Lasern, Transistoren oder Solarzellen und sind klassischen Halbleitern aus Silizium deutlich überlegen. Weil sich Elektronen in ihnen sehr schnell bewegen und sie hohe Frequenzen, zum Beispiel in Handys, besser verarbeiten können. Leistungselektronik ist überall dort gefordert, wo Strom und Spannung umgewandelt werden, in Wechselrichtern von E-Autos zum Beispiel, die aus dem Wechselstrom aus der Steckdose (speicherbaren) Gleichstrom für die Autobatterie machen. Und dann kommt fast immer Aixtron ins Spiel.
Zuwachs. Aixtron zählt heute mehr als 800 Beschäftigte, darunter rund 500 am Standort Herzogenrath. ?Die Fluktuation liegt unter zwei Prozent?, sagt der Aixtron-CEO. Und ein Ende des Wachstums ist nicht erkennbar: ?Von 2021 bis Ende dieses Jahres werden wir rund 230 neue Mitarbeiter einstellen?, prognostiziert Christian Danninger ? den größten Teil davon in Deutschland. ?Und im kommenden Jahr noch einmal die gleiche Größenordnung.? Und die sind tatsächlich zu bekommen? Bei Aixtron herrscht trotz des vielfach leergefegten Arbeitsmarktes für Fachkräfte relative Gelassenheit. Zwar sind allein in Herzogenrath aktuell rund 90 Stellen unbesetzt ? etwa für Softwareentwickler, Qualitätsexperten, Einkäufer. ?Aber wir schießen beim Recruiting aus allen Rohren?, sagt Finanzchef Danninger. In den Sozialen Netzwerken, im Radio, in Zeitungen, auf Plakaten und im Kino ? überall lockt Aixtron den Nachwuchs. Dieser komme gerne, denn die faszinierenden Inhalte, die Arbeit an der vordersten Front des technischen Fortschritts und das kollegiale Betriebsklima sprächen klar für das Unternehmen. In immer mehr Bewerbungsgesprächen spielt dabei ein Thema eine immer größere Rolle:
Nachhaltigkeit. Was viele andere Unternehmen gerne möchten, ist bei Aixtron seit 2019 Realität ? nämlich klimaneutral zu produzieren. ?Wir haben das aus Überzeugung gemacht, noch bevor der große Trend begann?, sagt CEO Grawert. Also alles auf Grün? Nein, noch nicht ganz, schränkt Danninger ein und sagt, man sei ?nettoklimaneutral?. Es gibt also nach wie vor wenige Bereiche, in denen CO2 anfällt ? Flüge zu Kunden in aller Welt zum Beispiel. ?Aber das kompensieren wir.? Schon 2017 gelang es, den Energieverbrauch um rund 80 Prozent zu reduzieren ? ein Kraftakt. ?Wir schaffen es vor allem, Wärmeenergie zu speichern und später ein zweites oder drittes Mal zu nutzen?, sagt Grawert. Heute kommt Aixtron ohne Gas aus und stillt seinen Strombedarf zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen. Aber einen noch viel größeren Beitrag zum Klimaschutz leistet das, was am Ende auf den Anlagen von Aixtron hergestellt wird ? immer leistungsfähigere und energieeffizientere Chips. ?Zwei unserer Anlagen sparen am Ende so viel CO2 ein, wie vom Kohlekraftwerk in Weisweiler pro Jahr ausgestoßen wird?, sagt Grawert. Das Engagement führt denn auch zu einem ?
Spitzenplatz. Mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes kann als ökologisch nachhaltig gelten ? so, wie es die Taxonomieregeln der EU vorschreiben, die zu einer Verringerung von Treibhausgasen führen sollen. Grawert: ?In ein paar Jahren liegen wir vielleicht bei 70 oder 80 Prozent.? Im Ranking der nachhaltigsten Unternehmen in Deutschland, das die ?Wirtschaftswoche? jüngst vorlegte, landete Aixtron denn auch auf Platz zwei von 4000 Firmen.
Wachstum. Micro-LEDs, Leistungselektronik, Optoelektronik, Laser: ?Wir sind heute viel breiter aufgestellt als in der Vergangenheit?, sagt CFO Christian Danninger. Das sorgt für ein kontinuierliches Wachstum ? und zufriedene Mienen bei Investoren und Aktionären der im MDAX und TecDax gelisteten Europäischen Aktiengesellschaft (SE). ?Wir arbeiten ganz eng mit großen Kunden zusammen?, sagt Felix Grawert ? von der Unterhaltungselektronik über die Automobilindustrie bis zu den globalen Tech-Riesen. ?Das Silicon Valley hängt an unseren Anlagen ? wir machen das möglich, was da an Ideen entwickelt wird.? Ein Beispiel: Das Auto der Zukunft, das den Fahrer am Gesicht erkennt, seine Umgebung mit Lasern auch in 100 Metern erfasst und irgendwann auch das Steuer übernimmt. ?So etwas bringt unseren Mitarbeitern Spaß?, sagt der Aixtron-Chef.
Gibt es so etwas wie ein Erfolgsrezept? Felix Grawert sagt schlicht und selbstbewusst: ?Wir tun die richtigen Dinge.?
Gruß baggo-mh
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