FAZ.NET - ständig aktualisierte Nachrichten. Analysen, Dossiers, Audios und Videos AktuellFinanzenDevisen & Rohstoffe Energie & Rohstoffe Ölpreis steigt auf fast 130 Dollar
20. Mai 2008 Der Höhenflug des Ölpreises geht weiter: Am Mittwoch kletterte der Ölpreis für den Juni-Terminkontrakt der Sorte WTI auf das neue Rekordhoch von 129,46 Dollar je Barrel (159 Liter); auch in London erreichte der Preis für Rohöl (Sorte Brent) mit 127,90 Dollar ein historisches Hoch. Immer mehr institutionelle Investoren an den globalen Finanzmärkten passen ihre Marktpositionen mittlerweile an einen dauerhaft hohen Ölpreis an.
Mit einem Preisabschwung unter 100 Dollar zu rechnen, sei "unrealistisch", warnte der Chef für die Aktienanlage, Dominic Rossi, bei dem britischen Fondsmanager Threadneedle am Dienstag. "Es wird Zeit, dass Investoren sich mit dem aktuell hohen Preisniveau anfreunden und ihre Portfolios entsprechend ausrichten."
Immer neue kurzfristige Argumente dienen zum Kauf von Kontrakten
Der Ölpreis kletterte auf einen neuen Rekord, obwohl der saudische König Abdullah Präsident George Bush Ende vergangener Woche versprochen hatte, im Juni die Ölproduktion des Königreiches um 3,3 Prozent auf täglich 9,45 Millionen Barrel zu erhöhen. Der Ölpreis hatte auf diese Nachricht kaum reagiert, zumal der Präsident des Ölkartells Opec, Chakib Khelil, am Montag betont hatte, die Mitglieder dieses Kartells würden sich nicht vor ihrem für September anberaumten Treffen zusammenfinden. Die Welt habe genug Öl. Der Preis werde durch den niedrigen Dollar, geopolitische Spannungen und Spekulanten in die Höhe getrieben.
Täglich nimmt der Markt andere kurzfristige Argumente zum Anlass, den Preis in die Höhe zu treiben: Mal wird ein schwacher Wechselkurs des Dollar als Begründung genannt, mal befürchtete Lieferschwierigkeiten der Ölproduzenten im Iran oder Nigeria, Hafenstreiks in Skandinavien oder Marseille. Letztlich aber sind es vermutlich nicht kurzfristige Faktoren, die den Ölpreis nach oben reiben, sondern der auf fünf Jahre, langfristig in die Zukunft gerichtete Terminpreis, der immer stärker steigt.
Sämtliche Prognosen einer schwächeren Ölnachfrage aufgrund einer Rezession in den Vereinigten Staaten von Amerika oder gar einer globalen Konjunkturflaute werden daher am Ölmarkt ignoriert. "Die zyklisch bedingte Schwäche des Marktes wird weit überkompensiert durch eine grundlegende, strukturelle Neubewertung von Öl mit Blick auf den langfristigen Nachfrageüberhang", warnt Goldman Sachs. Nicht nur die amerikanische Investmentbank, auch andere Marktteilnehmer wie Credit Suisse schrauben daher ihre Prognosen für den Ölpreis sukzessive in die Höhe.
Bleibt er längere Zeit auf hohem Niveau?
Credit Suisse hat die Vorhersage für den Ölpreis für die zweite Jahreshälfte von 91 auf 120 Dollar je Barrel angehoben. Langfristig werde der Preis zwischen 90 und 150 Dollar pendeln, meinen die Fachleute der Schweizer Bank. Die Analysten von Goldman Sachs stellen noch aggressivere Prognosen. Die Bank hat ihre Vorhersage für die zweite Jahreshälfte bereits von 107 auf 141 Dollar je Barrel WTI-Öl angehoben.
Wie bei vielen anderen Rohstoffen rächt sich jetzt, dass der Ölpreis über Jahrzehnte zu niedrig war, um notwendige Investitionen in Kapazitätserweiterungen zu erlauben. Zudem wurde Investitionskapital nicht früh genug in die Explorationsländer geschleust. Langfristig aber kann eine Steigerung der weltweiten Ölförderung von jährlich etwa 1 Prozent kein globales Wirtschaftswachstum von mehr als 3 Prozent im Jahr stützen. Daher hinkt der Markt jetzt dem Nachfrageschub aus den Schwellenländern hinterher.
Es wird Jahre dauern, bis die Welt mit neuen Investitionen in die Ölförderung, mit Kernenergie und alternativen Energien ein neues Gleichgewicht zwischen der Energieproduktion und dem Energieverbrauch gefunden haben wird. Goldman Sachs erwartet daher, dass der langfristige, auf einen fünfjährigen Zeithorizont ausgerichtete Terminpreis für Öl auf knapp 150 Dollar im kommenden Jahr steigen wird, um diesen Anpassungsprozess am Markt einzuleiten. Es ist dieser langfristig ausgerichtete Terminpreis, der den Preis am Spotmarkt nach oben zieht. Diese Konstellation zeigt, dass die Welt derzeit einen langfristig nachhaltigen Preisanstieg erlebt und dass es sich dabei nicht um einen kurzfristigen Exzess handelt, den Spekulanten ausgelöst haben.
?Der höhere Ölpreis hat Auswirkungen auf die geographische wie auch Sektorenausrichtung eines Aktienportfolios", sagt Rossi, der Brasilien und Russland als Gewinner sieht, vor allem aber in Aktien des Ölservice-Bereiches investiert, ferner in Aktien der Baubranche wie Zement- und Stahlproduzenten. Diese Titel dürften von den Infrastrukturausgaben der Regierungen, die über hohe Öleinkünfte verfügen, profitieren, meint er. Credit Suisse empfiehlt Unternehmen, die in der Ölfördertechnologie tätig sind.
Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net. ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt.
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