SPIEGEL ONLINE - 04. Juni 2007, 14:21 URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,486423,00.html G-8-PROTEST-CAMP
"We fight - wir kämpfen"
Von Ingo Arzt, Rostock
Veranstalter der Rostocker Demo haben sich für die Krawalle des schwarzen Blocks entschuldigt.
Doch in den Zeltlagern der Globalisierungskritiker geht die Distanz zwischen friedlichem Protest und Gewalt verloren, hier mischen sich Friedensaktivisten mit militanten Autonomen. Eine Nacht im Camp.
Rostock - Ausgelassene Klänge einer Samba-Band begrüßen die Besucher und Bewohner des Protest-Camps am Fischereihafen in Rostock. Eine selbstgezimmerte Holzschranke markiert den Eingang des Lagers, in dem 6000 Aktivisten ihre Zelte aufgeschlagen haben. Wer nicht willkommen ist, zeigt ein handgeschriebenes Schild: "No Nazis, no Cops." Und noch ein bisschen größer: "No Media". Der Tag ist noch jung, die Stimmung ist friedlich, irgendwo zwischen Pfadfinderlager und Rockfestival.
Es ist der frühe Morgen vor einer Nacht, in der statt fröhlichen südamerikanischen Tönen auch ganz andere Musik zu hören ist. Musik, die einer Stimmung Ausdruck verleiht, welche es, fragt man die Camp-Organisatoren, hier eigentlich gar nicht geben soll. Eine improvisierte Zeltbühne, Auftritt einer Combo aus dem Hause "HipHop Partisan" Berlin. "Gepanzerte Bullen, wir machen sie platt wie Stullen", rappt der Sänger unter sternenklarem Himmel. Rund 300 Fans jubeln ihm zu, die erhobenen Arme wippen im Beat hin und her.
"Eh, ihr seid viel zu friedlich", heizt der Mann auf den Brettern die Menge mit heiserer Stimme an. Nicht alle sind euphorisch, viele genießen einfach den Rhythmus der Revolution am Lagerfeuer vor der Bühne oder warten auf die Wurst vom Grill - diszipliniert in der Schlange. Hinter ihnen singt "Dr. Dressler": "Randale, Blockade, G-8 geht baden" und: "Egal, wo sie einfliegen, wir werden sie besiegen."
Gewaltsamer Protest - auch eine "Aktionsform"
(...gekürzt...)
Für die meisten gilt der oft beschworene Konsens der friedlichen Blockaden des Gipfels - auch nach den schweren Ausschreitungen von Rostock.
Für die meisten, aber eben nicht für alle.
Jedem seine "Aktionsform" - auf diese verkrampfte Sprachregelung hatte sich das breite Protest-Bündnis bei seiner Vorbereitung geeinigt. Es war der angestrengte Versuch, vom linksradikalen Autonomen bis zum christlichen Friedensaktivisten auch ja alle Gipfelgegner hinter einem Banner versammeln zu können. Schwer tat man sich dagegen mit Begriffen wie "friedlicher Protest" oder einem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit. Man weiß ja nicht, wie man auf die "Polizei-Repressionen" reagieren muss. Oder was der eigene Anarcho-Haufen so macht. "Aktionsform", das Wort kaschierte bis zuletzt wunderbar die hässliche Frage nach Gewalt, gelöst hat es sie nicht. Man war überzeugt, die Militanten im großen Protesteintopf schon im Zaum halten zu können.
Delegierten-Sitzung am Abend im Camp: Jede Gruppe hat hier eine Art Abgeordneten, 150 mögen es sein, gemeinsam diskutieren sie in einem großen, blauen Zirkuszelt auf Bierbänken und mit Stroh bedecktem Boden über die Organisation des Camps oder den Umgang mit Medien - und über die Gewaltfrage. Es ist ein offenes Plenum, in dem jeder seine Meinung äußert, kein Parlament, in dem für alle verbindlich Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden. Alles läuft sehr diszipliniert und sachlich ab, niemand fällt dem anderen ins Wort; wer etwas gut findet, benutzt die am Eingang des Camps auf einem Transparent erläuterte Zeichensprache: Beide Arme nach oben und mit den Händen wackeln. Klatschen und Johlen ist nicht vorgesehen.
Der Versammlungsleiter in der Mitte der Manege versichert noch einmal, dass die Polizei in der Nacht zuvor entgegen anders lautender Gerüchte nie vorhatte, das Camp zu stürmen. Und er appelliert - wohl an Anwesende - niemand solle das Camp als Rückzugsgebiet benutzen, falls es Ärger mit der uniformierten Staatsmacht gibt. Übersetzt geht es um die alte Taktik der Autonomen: Unter friedliche Demonstranten mischen, Polizisten angreifen, wieder in der Menge untertauchen, in diesem Fall im Camp. Sichtbar angesprochen fühlt sich im Zirkuszelt zunächst niemand.
Steinewerfen als Zeichen der Solidarität?
Der Moderator, ein Endzwanziger mit Dreitagebart, versucht weiter zu beschwichtigen: Es sei sehr unwahrscheinlich, dass überhaupt ein so großes Zeltlager gestürmt werde, und wenn, müsse die Polizei so viele Kräfte zusammenziehen, dass wohl noch genug Zeit bliebe, erst einmal Verhandlungen zu führen. In diesem Fall, so ist es abgesprochen, gibt es einen Alarm, der alle Delegierten zusammenruft. Wenn Verhandlungen scheitern, dann folgt der zweite Alarm: Angriff der Polizei. Und dann?
INTERAKTIVE KARTE G- 8- Gipfel: Die Sicherheitszone um Heiligendamm (.....siehe im Originalartikel)
"We fight" - "wir kämpfen" - sagt ein Delegierter ruhig, als gehe es um die Frage, wie viel Dixi-Klos nötig sind. Arme gehen nach oben, Hände wackeln - Zustimmung. Ein anderer Delegierter widerspricht. Seine Gruppe wolle bei einer Polizeiaktion im "Barrio" verharren, ihrem Teil des Camps. Außerdem, man will friedlich blockieren, keine Gewalt. Wieder gehen Arme nach oben, wackeln Hände. Es sind mehr Hände als zuvor. Doch den Überblick zu bewahren ist schwierig, die Grenzen sind fließend, die Distanz zwischen friedlichem Protest und anderen "Aktionsformen" geht verloren.
Konsens gibt es daher nicht, nicht in der Vorbereitungsphase der Proteste, nicht in dieser Nacht im Delegiertenzelt. Oder gibt es etwa einen Punkt, an dem es okay ist, Steine und Flaschen auf Sicherheitskräfte zu werfen?
Ein Aktivist aus dem Ausland meldet sich zu Wort, sein Englisch ist eingefärbt mit einem starken Akzent. In seiner Heimat, sagt er, sei es bei Demonstrationen üblich, sich mit denen zu "solidarisieren", die von der Polizei festgenommen werden. Dann heiße es, zu Steinen zu greifen und gegen die Polizei zurückzuschlagen, sagt er. Zum ersten mal in dieser Nacht gibt es im Zelt Applaus - entgegen der vereinbarten stillen Zeichensprache. Die Gruppe ist nicht in der Mehrheit - vielleicht ein Viertel der Anwesenden - aber sie ist laut. Der Widerspruch ist es in dieser Nacht nicht.
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