Montag, 20. Oktober 2003
Droht 1929er Crash?
von Jochen Steffens
Ich habe das gesamte Wochenende damit verbracht, Linien zu ziehen und Charts zu analysieren. Zeitweise hätte ich bereits mit geschlossenen Augen charttechnische Linien in imaginäre Kursverläufe einzeichnen können. Ich hatte es ein wenig übertrieben. Aber gut, es gab einen wirklich wichtigen Grund: Mir war aufgefallen, dass die amerikanischen Indizes sogenannte " Broading Tops" generieren. Das ist eine seltene charttechnische Formation, die sich insbesondere nach langen Bullenmärkten ausbildet und meistens einen " ausgedehnten mittelfristigen Rückgang" einleitet, so die Theorie.
Doch es gab etwas, dass mich besonders beunruhigte. Diese Broading Tops waren damals besonders häufig in vielen aktiven und populären Aktien des Jahres 1929 kurz vor dem Crash aufgetreten. Wissen sie in welchem Monaten? September / Oktober 1929. Damals startete diese Topformation im September. Ende September kam es zu einem ersten tiefen Abrutschen mit einem tieferen Tief! Genau das selbe passierte nahezu " zeitgleich" mit den amerikanischen Indizes in diesem September. Mitte Oktober wurden dann neue Hochs ausgebildet (!) ähnlich wie gerade. Was folgte ist Geschichte: der größte Crash aller Zeiten.
Ich entdeckte, dass man zum Beispiel den Chart von Air Reduction Co. AN von 1929 auf die aktuellen Charts legen kann, sie ähneln sich in vielen kleinen Details. Air Reduction fiel im Crash Monat Oktober bis Mitte November senkrecht von 224 auf 76 Dollar und generierte zuvor eine perfektes Broading Top. (Der Chart von Air Reduction galt lange als Musterbeispiel für Broading Tops)
Vielleicht verstehen Sie nun, warum ich mich ein ganzes Wochenende mit Charts rumgeärgert habe. Ich brauchte erst einmal Vergleichcharts und musste dann noch einige Chart der amerikanischen Indizes überprüfen. Für die Charttechniker unter Ihnen: Ich fand in vielen amerikanischen Charts bearishe Divergenzen. (Bearishe Divergenzen treten auf, wenn Indikatoren sich zum Kurs entgegengesetzt verhalten, sie weisen damit darauf hin, dass mit dem aktuellen Trend etwas " nicht stimmt" .) Doch das nur nebenbei.
Was mich jedoch wesentlich mehr beunruhigte ist, dass die damalige Situation in einigen fundamentalen Aspekten mit der heutigen vergleichbar ist. Damals, wie heute, waren die amerikanischen Anleger extrem bullish. Zudem gab es damals ebenfalls extrem viele kreditfinanzierte Aktienkäufe. Auf die daraus resultierenden Gefahren hatte ich bereits hingewiesen. Auch war die Wirtschafts-/Geldpolitik damals aus den Fugen geraten. Eine solche Tendenz kann man auch heute unterstellen, wenn auch unter völlig anderen Vorraussetzungen. Zu guter Letzt: Im Prinzip war die Rallye bis zum Oktober 1929 ebenfalls eine Art " liquiditätsgetriebene" Rallye. Die Banken scheuten sich nicht, immer mehr Kredite (allerdings zu höheren Zinsen) unkontrolliert zu vergeben.
Nach diesen Jahren 1929 und 1933/34 verlor diese Chartformation, das Broading Top" wieder etwas an Bedeutung. Das hatte einen Grund: Wann gab es jemals wieder einen so übertriebenen kreditfinanzierten Markt? Wann gab es jemals wieder ein solches Auseinanderklaffen von Anlegeverhalten und Realität? Anfang 2000 waren die Kurse zwar wesentlich überhitzter, damals schien aber wenigstens die Wirtschaft noch relativ stabil.
Die wichtige Frage: Beweist diese Vergleichbarkeit der Chart und die Vergleichbarkeit von ausgesuchten wirtschaftlichen Prozessen, dass sich die Geschichte genauso wiederholt? Ehrlich, ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich glaube allerdings nicht, dass es zu einem vergleichbar " heftigen" Zusammenbruch kommen wird, also dass es einen Börsencrash wie 1929 geben wird. Damals leiteten zunächst Zwangsverkäufe der auf Kredit gekauften Aktien die ersten Kursstürze ein, das kann im Moment nicht passieren. Die Panik kam erst später. Aber trotzdem könnte diese Formation einen mittelfristigen (ein-zweijährigen) Abwärtstrend einleiten. Wir haben im Investor`s Daily vermehrt darauf hingewiesen, dass in Amerika einige Spekulationsblasen existieren, die das Potential haben, die Aktienmärkte mit sich zu reißen, sofern sie platzen. Aber, und das sollten Sie nicht aus den Augen verlieren, wir haben ganz andere Zeiten als im Jahr 1929.
Ich will Sie also nicht erschrecken. Doch ich will Sie dringendst zur Vorsicht mahnen. Dort braut sich etwas zusammen, dass zumindest das Potential hat, verheerende Auswirkungen zu generieren. Noch ist die aktuelle Rally intakt. Noch steht der Dow und der Nasdaq nahe seiner Jahreshochs. Noch sind weitere Kurssteigerungen möglich.
Erst wenn nun zügig die letzten Tiefs von Ende September unterschritten werden, wird es extrem bearish. Die wichtigen Marken sind: Im Dow die 9230 Punkte, im Nasdaq100 die 1300 Punkte und im Dax wären das wohl die 3200 Punkte, die ich früher schon einmal genannt hatte.
Ich arbeite seit einigen Jahren mit einer selbst entwickelten charttechnischen Analysemethode, die überaus verlässlich nicht nur Kursziele, sondern auch den Zeitpunkt, wann eine bestimmte Aktie oder ein Indizes dieses Kursniveau erreichen wird, berechnen kann. Dabei werden bestimmte Punkte (Targets) errechnet, die eine hohe Anziehung auf die Kurse haben.
Diese Methode ist sehr aufwendig. Ich habe diese spezielle Analysemethode auf mehrere Indizes angewandt und auch hier zeigen sich gefährliche Anzeichen. Nach dieser Methode könnten die Indizes noch einmal kurz ansteigen und dann erst wegbrechen. Ich habe Ihnen einmal den Nasdaq100 Chart beigelegt, der die (mögliche) Broading-Formation darstellt. Dazu habe ich einen weiteren " möglichen" Kursverlauf eingezeichnet, der aus dieser Methode entstanden ist.
Wichtig ist dabei, dass die 1300er Marke nachhaltig bricht. Sollte das geschehen, wird auch das 3. Target als Kursziel aktiviert. Mit dem Bruch der unteren Linie, wäre das endgültige mittelfristige Ende der Rally eingeleitet. Bleiben die Kurse oberhalb dieser Marke kann die Rallye noch weiter gehen.
Warten wir ab ...
Und hier noch eine Original Zeitungsmeldung kurz vor dem Crash 1929
Sonntag, 13. Oktober 1929
STOCK PRICES WILL STAY AT HIGH LEVEL FOR YEARS TO COME, SAYS OHIO ECONOMIST
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