Bürokratie Reifenwechsel nur noch mit Meisterbrief Ein Rechtsgutachten stuft die Montage von Reifen als "gefahrgeneigte Tätigkeit" ein. Rund 10.000 Betriebe sind davon betroffen.
Berlin - Der Titel des Gutachtens klingt harmlos, doch sein Inhalt ist brisant. Denn geht es nach dem Rechtsgutachten "Reifenmontage durch Reifenhandelsbetriebe" dann sind nur Reifen- und Vulkaniseurmeister qualifiziert genug, Radmuttern richtig anzuziehen. Nach dieser Rechtsmeinung könnten dann Tankstellen oder Reifenhändler, die keinen entsprechenden Meisterbrief vorweisen können, Reifen nicht mehr montieren.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schlägt Alarm: "Nach groben Schätzungen wären damit circa 10 000 Betrieben eine wichtige Einnahmequelle entzogen", heißt es in einer Stellungnahme zu dem Gutachten. Das anhaltende Tankstellensterben dürfte sich damit beschleunigen. Zum 1. Juli 2006 gab es noch 15 111 Stationen, 213 weniger als vor einem Jahr.
Auch in der Politik sorgt das Gutachten für Aufsehen. "Diese Rechtsauffassung könnte für viele kleine Betriebe existenzgefährdend sein", sorgt sich FDP-Partei und Fraktionsvize Rainer Brüderle. Kein Mensch habe dafür Verständnis, wenn jetzt nur noch wenige Meister in Deutschland Reifen wechseln dürften. Schließlich habe fast jeder Autofahrer schon einmal selbst einen Reifen gewechselt. "Im Sinne der Verbraucher und vieler Betriebe kann man die Ordnungsämter nur auffordern, dieses merkwürdige Gutachten zu ignorieren."
Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Handwerksordnung 2004 liberalisiert. In 53 von 94 Handwerksberufen wurde die Meisterpflicht abgeschafft. Einfache Tätigkeiten dürfen seitdem auch von Nicht-Handwerkern ausgeübt werden. Nur in "gefahrgeneigten" Handwerksberufen blieb der Meisterzwang bestehen.
Das Gutachten, das von einem Spitzenbeamten im bayerischen Wirtschaftsministerium für den Bundesverband der Reifenhändler erstellt wurde, kommt zu dem Schluß, Reifenmontage sei keine "einfache Tätigkeit", sondern müsse Meistern vorbehalten werden. "Angesichts der Auswirkungen unsachgemäßer Ausführung auf die Fahrsicherheit des Kraftfahrzeuges und damit auf entstehende Risiken für Leben und Gesundheit des Fahrers, der Insassen und einer Vielzahl von anderen Verkehrsteilnehmern ist die Montage von Reifen eine in hohem Maße "gefahrgeneigte Tätigkeit", argumentiert der Gutachter.
Für FDP-Vize Brüderle unverständlich: "Solche abwegigen Auslegungen der Handwerksordnung schaden auch dem Handwerk selbst." Bayerische Spitzenbeamte seien offensichtlich beruflich nicht ausgelastet. "Anders ist das Zustandekommen dieses Gutachtens nicht zu erklären." svb
Artikel erschienen am Mo, 31. Juli 2006
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