GESAMT-ROUNDUP: Aus für sieben Altmeiler scheint besiegelt
16:38 27.05.11
BERLIN (dpa-AFX) - Den sieben ältesten Atomkraftwerken in Deutschland droht die Stilllegung. Vor dem Koalitionsausschuss am Sonntag im Kanzleramt beschlossen die Umweltminister von Bund und Ländern am Freitag in Wernigerode (Sachsen-Anhalt), dass die vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler keinen Strom mehr produzieren dürfen. Zur Zukunft des Atomkraftwerks Krümmel gab es keine Einigung. In einer Protokoll-Notiz sprechen sich 9 der 16 Länder dafür aus, dieses AKW, das wegen zahlreicher Pannen schon länger stillsteht, nie wieder hochzufahren. In Berlin drängt die FDP unterdessen darauf, im Zuge des Atomausstiegs den Konzernen nicht mit einer Abschaffung der Brennelementesteuer entgegenzukommen.
Wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) mitteilte, konnten sich die Ressortchefs nicht auf ein konkretes Datum verständigen, bis wann der letzte Meiler abgeschaltet werden muss. Laut Röttgen waren die Jahre 2017 und 2022 im Gespräch. Die Entscheidung über die sieben Altmeiler ist für Röttgen gefallen - bei einem Besuch in Salzgitter sagte er der dpa: "Alle Meiler, die im Moratorium sind, gehen dauerhaft vom Netz."
RASCHER AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN GEFORDERT
Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) begrüßte das absehbare Aus für sieben Atomkraftwerke. Er gehe davon aus, dass im Südwesten die Meiler Neckarwestheim I und Philippsburg I nie wieder ans Netz gehen, sagte sein Sprecher. Ferner wären betroffen: Isar I (Bayern), Biblis A und B (Hessen), Unterweser (Niedersachsen) und Brunsbüttel (Schleswig-Holstein).
Die Umweltminister von Bund und Ländern forderten angesichts des wegen der Katastrophe im japanischen Fukushima angepeilten Atomausstiegs einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Anteil am Strom solle bis 2020 auf 40 Prozent steigen, sagte Röttgen. Bislang war 35 Prozent als Ziel genannt worden - Röttgen selbst hat dieses Ziel im Entwurf für das neue Erneuerbare-Energien -Gesetz festgeschrieben. Die Opposition kritisiert Röttgen dafür, dass er das Ziel in dem Entwurf trotz Atomausstiegs nicht angehoben hat.
Hessens Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) sagte, sie verspreche sich vom Atomausstieg einen Schub für Investitionen. Der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel (Grüne), betonte, die Minister hätten sich für einen gesetzlich verankerten Ausstieg ohne jede Hintertür ausgesprochen.
ZUKUNFT DER BRENNELEMENTESTEUER IST UNKLAR
Für den Fall, dass es im Winter wegen der AKW-Abschaltung zu Problemen kommt, forderte die Bundesnetzagentur, vom Netz gegangene Anlagen als Notfallreserve vorzuhalten. Andernfalls sei nicht auszuschließen, dass die Netzbetreiber einzelne Großverbraucher vom Netz nehmen müssten, sagte Präsident Matthias Kurth in Bonn.
Noch unklar ist die Zukunft der Brennelementesteuer, sie könnte nun aber nach dpa-Informationen doch bleiben. Teile der Union hatten das Aus erwogen, damit die Atomkonzerne mehr Luft haben, um in erneuerbare Energien zu investieren. FDP-Chef Philipp Rösler stemmt sich dagegen. Die Union müsse sagen, wie sie das gegenfinanzieren wolle, sagte der Wirtschaftsminister der "Bild"-Zeitung. "Die FDP ist jedenfalls dagegen", machte Rösler klar. "Wir sollten die Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt so gering wie möglich halten."
Am Sonntag wollen die Spitzen der Koalition über den Atomausstieg und die Zukunft der Steuer sprechen, die bei der erstmaligen Benutzung neuer Brennelemente für die AKW-Betreiber fällig wird. Sie sollte dem Bund bis 2016 jährlich bis zu 2,3 Milliarden Euro bringen. Wenn aber im Zuge der Reaktorkatastrophe von Fukushima bis zu acht Meiler stillgelegt werden, würden sich die Einnahmen stark mindern.
MEHRHEIT HÄLT ATOMKURS FÜR NICHT GLAUBWÜRDIG
Die SPD lehnt die Koalitionspläne für eine Energiewende in der jetzigen Form strikt ab. "Wir sind für einen breiten Energiekonsens, aber nicht um jeden Preis", sagte Parteichef Sigmar Gabriel am Freitag in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei aber offensichtlich überhaupt nicht an einer Verständigung mit der Opposition interessiert. Als Bedingung für eine Zustimmung seiner Partei nannte Gabriel den dauerhaften Atomausstieg bis spätestens 2020 sowie die endgültige Stilllegung aller Altmeiler. Zudem müssten die Endlagerfrage geklärt und die Atomsteuer erhalten werden.
Nach dem neuen ZDF-"Politbarometer" plädieren 50 Prozent dafür, die deutschen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten. Nur 13 Prozent wollen an der von Schwarz-Gelb im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung bis 2035 festhalten. 68 Prozent der Bürger halten die Atomkehrtwende von Schwarz-Gelb für nicht glaubwürdig.
Die Konzernbetriebsräte der Kernkraftbetreiber kritisierten Kanzlerin Merkel wegen des geplanten Atomausstiegs. Es gebe keinen Anlass, Hals über Kopf aus der Kernenergie auszusteigen, erklärten die Arbeitnehmervertreter der Energiekonzerne EnBW (Profil), Eon (Profil), RWE (Profil) und Vattenfall in einer gemeinsamen Mitteilung./ir/tb/rgo/DP/zb
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