SPIEGEL
"Respekt!" für Köhler
Von "Köhler hatte keinen wirklichen Mangel an Beweisen" bis "verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig". Die Meinungen der Kommentatoren zum Thema Neuwahlen gehen auseinander. Der Bundespräsident, der "zum Wohle des Volkes" entschieden habe, kommt trotzdem gut weg.
"Leipziger Volkszeitung"
Köhler hat angemessen reagiert auf das paradoxe Resultat der von Schröder angerührten Polit-Soße: Gerade weil der ratlose Kanzler zur Überraschung von Feind und Freund die Vertrauensfrage in den Bundestag einbrachte, zerstörte er das bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene Vertrauen in der Koalition. Entfremdung auf Bestellung. Aber die gegenseitigen rotgrünen Stänkereien und Beziehungszickigkeiten der vergangenen Wochen wirkten nicht mehr gespielt. Auch die Verweigerung von Neuwahlen wäre rechtlich gut vertretbar gewesen, zumal Schröder ohne seine übersteigerte Abgangs- Eitelkeit sein Scheitern auch durch einfachen Rücktritt hätte eingestehen können. Aber politisch drohte eine Art von Chaos, Desorientierung und Instabilität, die Deutschland auch im Ausland in Misskredit gebracht hätte.
"Bild-Zeitung"
Der Bundespräsident hat gesprochen und Klarheit geschaffen: Jetzt hat Deutschland die Wahl! Und Schröder, Fischer, Merkel, Stoiber und Westerwelle haben die Pflicht, den Bürgern die Wahrheit über ihre Politik zu sagen. Damit die Neuwahl des Bundestags zum Aufbruchssignal für das ganze Land wird. Jetzt beginnt das Kräftemessen der Parteien, der Wettbewerb um die besten Lösungen für die großen Probleme dieses Landes. Es wird spannend, spannender als viele noch vor wenigen Wochen dachten. Denn Rot-Rot-Grün und Schwarz- Gelb liegen in den Umfragen fast gleich auf. Die neue Regierung wird hoffentlich die großen Probleme unseres Landes mit neuer Mehrheit und neuem Schwung anpacken. Horst Köhler hat sich mit seiner mutigen Entscheidung um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.
"Neue Osnabrücker Zeitung"
Gewiss sind die jetzt verkündeten Neuwahlen verfassungsrechtlich problematisch. Doch darüber können die Richter in Karlsruhe besser befinden als Köhler. Da bereits Klagen angekündigt sind, ist für ein entsprechendes Verfahren gesorgt. Niemand sollte erwarten, dort würde die jüngste Entscheidung einfach abgenickt. Man denke als warnendes Beispiel nur an das von allen großen Parteien unterstützte und trotzdem in Karlsruhe gescheiterte NPD-Verbotsverfahren. Doch gleichgültig, wie das Gericht letztlich urteilt: Der Bundespräsident muss nicht befürchten, im Falle eines negativen Ausgangs an Renommee zu verlieren. Denn es ist besser, er hat im Zweifel zum Wohle des Volkes entschieden, als juristisch in vorauseilender Zurückhaltung den Weg zu Neuwahlen versperrt. Vorrangig ist, endlich politische und wirtschaftliche Aufbruchstimmung zu erzeugen.
"Sächsische Zeitung"
Politisch ist seine Entscheidung völlig in Ordnung. Denn alle Parteien haben sich für Neuwahlen ausgesprochen. Doch verfassungsrechtlich ist Köhlers Entscheidung äußerst fragwürdig. Die Vertrauensfrage, die Kanzler Gerhard Schröder im Bundestag gestellt hat, war ein abgekartetes Spiel und entspricht in dieser Form nicht dem Geist der Verfassung. Wie die Karlsruher Richter darüber entscheiden werden, ist deshalb völlig offen. Und hierin besteht auch Köhlers großes Risiko: Wenn die Klage mehrerer Abgeordneter gegen die Neuwahl Erfolg haben sollte, wäre der Bundespräsident bis auf die Knochen blamiert. Das Ansehen des höchsten Amtes im Staate würde dadurch schwer beschädigt - und Köhler müsste sogar einen Rücktritt ernsthaft in Erwägung ziehen.
sehr gut die
"Aachener Zeitung"
Horst Köhler hatte also keinen wirklichen Mangel an Beweisen, um seine Entscheidung zu begründen. Die ausführliche Recherche und gründliche Prüfung sprechen eindrucksvoll für die Seriosität des Bundespräsidenten. Es war geradezu sensationell in diesem hektischen und geschwätzigen Medienzirkus, dass bis zuletzt nichts an die Öffentlichkeit drang. Das war gestern eindeutig die Stunde des Präsidenten, der klar, unmissverständlich und ohne jedes Zögern agierte. Er hat Argumente gesammelt, Gespräche geführt, Einwände nicht außer Acht gelassen und auch die politische Dimension eindeutig betont. Respekt!
"Hannoversche Allgemeine Zeitung"
In Wirklichkeit deckt sich Köhlers Lageeinschätzung mit der des sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Ebenso wie Gerhard Schröder sieht Horst Köhler weiterhin einen enormen Reformbedarf im Land. Und ebenso wie Gerhard Schröder ist er der Meinung, dass Deutschland in dieser ernsten Situation eine Regierung braucht, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann. Auch verfassungsrechtlich ziehen damit Präsident und Kanzler am gleichen Strang: Je dramatischer die Lage ist, umso höher dürfen die Ansprüche sein, die ein Kanzler an die Verlässlichkeit seiner Regierungsfraktionen stellen darf. Diese Botschaft soll auch die Richter in Karlsruhe beeindrucken.
MfG kiiwii
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