Es dauerte weniger als ein Jahr: Jetzt hat ein türkisches Gericht die Website des ersten offiziellen Atheismus-Verbands des Landes blockiert. Die Vereinigung ist die erste ihrer Art in einem mehrheitlich muslimischen Land. Mit Anfeindungen hatte sie von Anfang an zu kämpfen. Internetzensur: Türkei blockiert Webseite der ersten türkischen Atheisten-Vereinigung Deutsch Türkische Nachrichten | 06.03.15, 00:07
Es dauerte weniger als ein Jahr: Jetzt hat ein türkisches Gericht die Website des ersten offiziellen Atheismus-Verbands des Landes blockiert. Die Vereinigung ist die erste ihrer Art in einem mehrheitlich muslimischen Land. Mit Anfeindungen hatte sie von Anfang an zu kämpfen. Themen: Ateizm Derne?ine, Atheismus, Internet, Meinungsfreiheit, Religion, Türkei, Zensur Seit 4. März können türkische Internetuser nicht mehr auf www.ateizmdernegi.org zugreifen. (Foto: Flickr/ You are not safe anymore by Constantin Litvak CC BY 2.0)
Seit 4. März können türkische Internetuser nicht mehr auf www.ateizmdernegi.org zugreifen. (Foto: Flickr/ You are not safe anymore by Constantin Litvak CC BY 2.0)
Gegründet wurde der Atheismus-Verband (Ateizm Derne?ine) am 16. April 2014 in Kad?köy. Das zweite Amtsgericht in Gölba??, in der Provinz Ankara, hat die Internetseite nach Angaben des Verbands nun blockiert. Seit 4. März können türkische Internetuser nicht mehr auf www.ateizmdernegi.org zugreifen, ohne dabei einige Tricks anzuwenden.
In seinem Urteil führt das Gericht Artikel 216 des türkischen Strafgesetzbuches an, so die türkische Zeitung Hürriyet. Dieser stellt die Verunglimpfung aufgrund der Religion unter Strafe, wenn dadurch die öffentliche Ordnung bedroht wird. Für die Anstiftung zu Hass, Feindschaft oder Demütigung sieht der Artikel Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren vor. Dieser wurde übrigens auch im Fall des türkischen Star-Pianisten Faz?l Say angeführt (mehr hier).
In einer Erklärung verurteilt der Verband die Sperrung durch das Gericht. Einen Auszug zitiert CNN Türk:
?Vor drei Monaten hat es die Europäische Weltraumorganisation geschafft, dass die Sonde Philae auf dem einen Kilometer breiten Kometen 67P landet, der eine Geschwindigkeit von 135 Kilometer pro Stunde hat und das an einem Ort 500.000.000 Kilometer weit weg, nach einer 3907 Tage langen Reise. Derweil sind die türkischen Gerichte nach wie vor emsig damit beschäftigt, Webseiten zu blockieren, indem sie Gesetze mit vagen Formulierungen heranziehen und versuchen, dass ein bestimmter Glaube alle anderen dominiert.?
Der Atheismus-Verband bezeichnet das Gerichtsurteil als ein ?historisches Beispiel für die Akkumulation von Legislative, Exekutive und Judikative in einer Hand?. Für die Verfasser der Erklärung steht fest, dass die Türkei sich von einer modernen Gesellschaft entfernt und zwar in dem Maße, wie sich die Justiz von der Vernunft entferne.
Der Verband hatte erst vor kurzem bekannt gegeben, dass er von der Europäischen Union offiziell anerkannt und von Universitäten und Think Tanks eingeladen worden sei, bei ihren Veranstaltungen zu sprechen. Vizepräsidentin Morgan Elizabeth Romano mahnte ebenfalls erst kürzlich an, dass Artikel 216 eine ernsthafte Gefahr für die Meinungsfreiheit in der Türkei darstelle, so das Blatt weiter.
In einem Interview mit der Zeitung Agos im vergangenen Jahr wünschten sich die beiden Verbandsgründer Tolga ?nci und Ahmet Balyemez einen Ort für Atheisten, der ihnen Unterstützung bei den damit auftretenden Problemen bieten könnte. Das Anliegen kam nicht von Ungefähr. Nur drei Wochen nach der Gründung musste der Verband einen Panik-Knopf, der direkt mit der Polizei verbunden ist, installieren, weil Morddrohungen eingegangen waren.
In der Vergangenheit haben die türkische Regierung und die Gerichte den Zugang zu einer ganzen Reihe von beliebten Websites wie YouTube und Twitter blockiert. Letzteres hat zumindest der neue türkische EU-Minister Volkar Bozk?r Ende 2014 als schweren Fehler bezeichnet (mehr hier). Die Türkei hatte den Kurznachrichtendienst Twitter am 20. März vergangenen Jahres nur Stunden nach einer Ankündigung Erdo?ans blockiert. Der damalige Premier sagte, es sei ihm egal, was die internationale Gemeinschaft über ihn denke (mehr hier). Einen Hehl daraus, was er vom Internet und insbesondere den Sozialen Medien halte, machte Erdo?an nie. In den darauffolgenden Wochen hagelte es internationale Kritik. Erst am 3. April wurde die Twitter-Blockade aufgehoben. Das türkische Verfassungsgericht hatte sich in den Fall eingeschaltet und das Verbot als eine Verletzung der Meinungsfreiheit bezeichnet (mehr hier).
Mehr als 66.000 Websites sind in der Türkei nach wie vor gesperrt.
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