(...) Der Vorsitzende der SPD ab 1946 in Westdeutschland, der späteren Bundesrepublik Deutschland, Dr. Kurt Schumacher, hatte seine Partei immer wieder nachhaltig davor gewarnt, für die Kommunisten den Blutspender abzugeben. Nun, ein halbes Jahrhundert später, sind zumindestens Teile der SPD drauf und dran, die SED-Nachfolgerin PDS als Blutspender für den Aufbau linker Koalitionen oder anderer Allianzen und gar für noch weitergehende Schritte gewinnen zu wollen. In zehn Jahren, oder gar noch früher, könnte es in der Parteienlandschaft Deutschlands diese Veränderung geben: Die SPD und PDS fusionieren, vielleicht zu einer "Sozialistischen Volkspartei". Eine kleine Minderheit von PDS-Mitgliedern, zum Beispiel die "Kommunistische Plattform", geht in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). (...)
Lächelnde Genossen mit Pokergesichtern - Auf dem Weg zu einer neuen sozialistischen Einheitspartei?
von Helmut Bärwald
"Gysi & Lafontaine wagen gemeinsam Schritt nach vorn. Ex-SPD-Chef: Große linke Volkspartei - Ex-PDS-Chef: Kraft links der SPD". Mit dieser Überschrift versieht die PDS-Zeitung "Neues Deutschland" auf der Titelseite einen auf Seite 2 fortgesetzten Bericht über die groß aufgezogene Vorstellung des rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse im März 2001 im Hamburger Hoffmann und Campe Verlag erschienene Buch von Gregor Gysi "Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn". Laudator für das Buch und dessen Autor war der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Gleich zu Beginn der Buchvorstellung offenbarte der SPD-Genosse: "Da ich sicher war, daß die PDS unter der Führung von Bisky und Gysi mehr und mehr eine sozialdemokratische Partei würde, strebte ich als SPD-Vorsitzender langfristig einen Zusammenschluß beider Parteien an." Dem PDS-Genossen Gysi bescheinigte Lafontaine zugleich, "zu der im Zeitalter des Neoliberalismus rarer gewordenen Sorte der Linken in Deutschland" zu gehören.
Die PDS-Zeitung "Neues Deutschland" illustriert ihren Bericht über die Gysi/Lafontaine-Schau mit dem Foto dieser vielsagend zufrieden lächelnden Genossen. Das Bild erinnert an ein anderes Foto, aufgenommen am 9. September 1987. Darauf sind drei lächelnde Genossen zu sehen. In die Kamera blickt ein fröhlich dreinschauender Gerhard Schröder; sich tief in die Augen blicken und lächeln Oskar Lafontaine und der Boß der SED und "deren" Staates. Erich Honecker, der damals auf Einladung einer von der CDU geführten Bundesregierung den freien Teil Deutschlands heimsuchte.
Für Kenner der SPD-Szene kommen Äußerungen Lafontaines wie bei der Vorstellung des Gysi-Buches keinesfalls überraschend.
Lafontaine: Keine "zu starke Abgrenzung" In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL hatte Lafontaine gesagt daß er "von Anfang an eine zu starke Ab- und Ausgrenzung" der PDS "für falsch gehalten" hat. Im März 1999, damals noch Vorsitzender der SPD, hatte Lafontaine herbe Kritik an der zurückhaltenden Haltung seiner Partei gegenüber der PDS geübt und diese Reserviertheit als das "übliche Geschrei" abgetan.
Lafontaine hat, wie etliche andere Politiker und Mandatsträger der alten Bundesrepublik Deutschland, auch gegenüber der PDS--Vorgängerin, gegenüber der SED und "ihrem" Staat, höchst durchlässige "Grenzen" gehabt.
In den sechziger Jahren erregte der damalige Vorsitzende der Jungsozialisten im Saarland, Oskar Lafontaine, zumindestens bei einigen Mitgliedern des SPD-Bundesvorstandes noch Anstoß wegen seiner engen Aktionseinheitskontakte mit Linksextremisten hüben im freien Teil Deutschlands und drüben im SED-Staat.
Im März 1982 empfing der Generalsekretär der SED und Vorsitzende des Staatsrates der "DDR", Erich Honecker, den Vorsitzenden des SPD-Landesverbandes Saar und Oberbürgermeister von Saarbrücken, Lafontaine, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden des SPD-Landesverbandes Saar, Norbert Engel zu einem Gespräch. Lafontaine und sein Begleiter waren auf Einladung eines der wichtigsten "Westarbeits"-Apparate des SED-Staates, des "Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft" (IPW) in die "DDR" gereist, wo sie außer Ost-Berlin Leipzig, Dresden, Weimar und Erfurt besuchten. Dort kamen sie unter anderem mit den 1. Sekretären der SED-Bezirksleitungen Horst Schumann, Hans Modrow und Gerhard Müller zusammen. Am IPW hielt Lafontaine einen Vortrag.
Im Juli 1982 kam eine dreißigköpfige Delegation der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) des SED-Staates auf Einladung des saarländischen SPD-Landesvorsitzenden Lafontaine und der Jungsozialisten im Saarland nach Saarbrücken.
Im November 1985 reiste Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Saar und Mitglied des Parteivorstandes der SPD, wieder einmal in die "DDR" und nach Ost-Berlin. Dort wurde er unter anderem von Erich Honecker empfangen, dem Lafontaine ausdrücklich die "Grüße von Vertretern der Öffentlichkeit des Saarlandes" überbrachte. Im Haus des Zentralkomitees der SED fand des weiteren ein Gespräch Lafontaines mit dem Politbüro-Mitglied Hermann Axen statt.
Das war die dritte Begegnung Lafontaines mit Honecker seit 1982. In Ost-Berlin äußerte Lafontaine, wenn man längerfristig einen normalen Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der "DDR" wolle, müsse die Bundesrepublik Deutschland "irgendwann" eine eigene -Staatsbürgerschaft anerkennen. In einer Regierungserklärung vor dem saarländischen Landtag sagte Lafontaine, die Reaktion auf seine Feststellung, "wenn man tatsächlich einen normalen Reiseverkehr wolle, dann wird man irgendwann in der Frage der Staatsbürgerschaft so entscheiden müssen, daß man eben die Staatsbürgerschaft anerkennt," habe gezeigt, daß in der Politik gegenüber der "DDR" eine sachliche, von Polemik freie Diskussion immer noch schwer zu führen sei.
Im Dezember 1985 reiste Gerhard Schröder, stellvertretender Landesvorsitzender der SPD in Niedersachsen, durch die "DDR" und wurde in Ost-Berlin unter anderem von Erich Honecker empfangen. Schröder bezeichnete sein zweistündiges Gespräch mit Honecker auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin als "sehr nützlich" und durch "eine sehr offene und angenehme Atmosphäre" gekennzeichnet. Schröder betonte bei dieser Gelegenheit seine Übereinstimmung mit Lafontaine, auch in der Frage einer "DDR"-Staatsbürgerschaft. Schröder: Die "DDR" sei ein Staat, sie habe ein Territorium, auf dem Territorium wohnen Menschen, also habe sie auch ein Staatsvolk, und als Folge dessen habe sie auch eine Staatsbürgerschaft. Dies sei in der Bundesrepublik Deutschland zu respektieren. Eine solche Haltung ermögliche auch eine positive Entwicklung der Beziehungen zur "DDR".
Im Mai 1986 fuhren Johannes Rau und Oskar Lafontaine, Beide Mitglieder des Parteivorstandes der SPD, nach Ost-Berlin und wurden im Palais Unter den Linden (dem Gästehaus der "DDR"-Regierung) von Honecker empfangen.
Im Februar 1987 führte eine Delegation des Zentralrates der FDJ unter Leitung des 1. Sekretärs des ZR der FDJ, Eberhard Aurich, Mitglied des ZK der SED, in Bonn Gespräche unter anderem mit dem Bundesvorstand der Jungsozialisten in der SPD, mit dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Hans-Jochen Vogel, dem SPD-Präsidiumsmitglied und Schatzmeister der SPD, Hans-Ulrich Klose und mit Oskar Lafontaine.
Im März 1987 besuchte der saarländische Ministerpräsidenten Lafontaine, Vorsitzender des Landesverbandes Saar der SPD und Mitglied des SPD-Parteivorstandes, Honecker in Ost-Berlin. Lafontaine überbrachte diesem herzliche Grüße des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt.
Im Juni 1987 besuchte Joachim Herrmann, Mitglied des SED-Politbüros und Sekretär des ZK der SED, das Saarland. Dort führte er unter anderem Gespräche mit Lafontaine.
Im Oktober 1987 wurden am Rande des "DDR"-Staatsaktes zum 750-jährigen Bestehen Berlins die SPD-Politiker Lafontaine, Klaus von Dohnanyi, und Klaus Wedemeier (Bremen) von Honecker zu einem Gespräch empfangen. Lafontaine überbrachte bei dieser Gelegenheit die Grüße des SPD-Vorsitzenden und Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-Jochen Vogel, und des Ehrenvorsitzenden der SPD, Willy Brandt.
Im August 1988 sprach Honecker im Jagdschloß Hubertusstock am Werbellinsee mit Lafontaine. Journalisten sagte Lafontaine nach dem Gespräch mit Honecker, daß er glaube, daß die Bundesregierung nicht noch ein Jahr länger warten sollte, um hinsichtlich der bekannten Fragen von Elbgrenze, Staatsbürgerschaft der DDR und Erfassungsstelle in Salzgitter zu Lösungen zu kommen, die weitere Fortschritte in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der "DDR" befördern könnten.
Im Juni 1989 reiste eine hochrangige SED-Delegation unter Leitung von Egon Krenz, Mitglied des SED-Politbüros und stellvertretender Staatsratsvorsitzender, in das Saarland. Dort führten die Genossen aus dem SED-Staat gleich mehrere Gespräche mit Lafontaine.
Im September 1989 verkündete Detlef Alberts, SPD, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, Mitglied des SPD-Parteirates und der Programmkommission der SPD, Berater der SPD-Grundwertekommission, seit 1995 Vorsitzender der Bremer SPD, auf einer Pressekonferenz in Bonn, die Aktionseinheit von SPD-Mitgliedern und Kommunisten könnte "in nächster Zeit erhebliche Fortschritte" machen. Alberts bezog sich in diesem Zusammenhang auf die "atemberaubende Entwicklung" in der Sowjetunion und forderte von den Sozialdemokraten in der Bundesrepublik Deutschland, nunmehr auch ihre Positionen "neu zu bestimmen" und nicht mehr auf "alte Konserven", zum Beispiel der Abgrenzung gegenüber Kommunisten zurückzugreifen.
Auf dem jüngsten Bundesparteitag der PDS im Oktober 2000 in Cottbus wurden sehr deutliche Zeichen der Bereitschaft zum stetigen Ausbau der Aktionseinheit mit der SPD und zur Bildung von Koalitionen oder Allianzen anderer Art mit dieser Partei gesetzt. Die PDS-Zeitung "Neues Deutschland" schrieb nach einem Treffen der Vorsitzenden von SPD und PDS, Gerhard Schröder und (damals) Lothar Bisky: Beide Parteien kommen sich näher. Der stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende Diether Dehm, ehemals hoher Funktionär der SPD, schrieb im Oktober 2000 an seine ehemalige Mitstreiterin in der SPD und jetzige Sprecherin des "Forums Demokratische Linke 21" in der SPD, Andrea Nahles. Dehm kritisiert in diesem Brief heftig die "Phantasielosigkeit von Hardlinern", die die Spekulationen der SPD-Linken Nahles, in etwa zehn Jahren mit der PDS fusionieren zu wollen, zurückgewiesen hatten. Der Ex-SPD- und nun PDS-Funktionär fragt: PDS + SPD -warum nicht?
Für die PDS ist das Thema nicht neu. Zwischen Ende 1989 und Anfang 1991 hatte es intensive Gespräche des damaligen PDS-Vorsitzenden Gysi und anderer Spitzenfunktionäre mit der Führung der damals noch existierenden KPdSU gegeben. In diesen "Beratungsgesprächen" standen vor allem auch Strategie und Taktik der Bündnispolitik der PDS im Vordergrund. Im Mai 1990 absolvierte Gysi zum Beispiel eine intensive Konsultation mit dem damaligen Chef der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der KPdSU, Valentin Falin, einem der erfahrensten und gewieftesten "Westarbeiter" seiner Partei. Falin legte den deutschen Genossen auf die Schaffung eines breiten Konsenses mit allen "Linkskräften" in Deutschland fest. Der jetzige Ehrenvorsitzende der PDS und Europaabgeordnete Hans Modrow hatte im März 1990 ein ausführliches Gespräch mit Gorbatschow geführt. Dieser ermahnte die deutschen Genossen, ihre Bestrebungen zur Förderung, zum Ausbau der Zusammenarbeit mit allen "Linkskräften", insbesondere mit der SPD zu verstärken, behutsam aber zielstrebig zu entwickeln. Ein unbekannt gebliebener Mitarbeiter der Internationalen Abteilung der KPdSU bestätigte in einem anderen Gespräch, daß die KPdSU fest damit rechne, daß die PDS und SPD "in weiter Ferne" zusammengehen. Das sei schon deswegen unausbleibbar, weil es sehr viele Gemeinsamkeiten gebe, und sich die PDS im Prinzip bereits in eine sozialdemokratische Partei verwandelt habe.
Wie die SPD-Linke Andrea Nahles sprach auch der PDS-Mann Gregor Gysi etliche Tage nach der Vorstellung seines Buches von einer Zehn-Jahres-Frist und schloß eine Fusion seiner Partei mit der SPD "in den nächsten zehn Jahren" - aber eben nicht grundsätzlich - aus.
Der Vorsitzende der SPD ab 1946 in Westdeutschland, der späteren Bundesrepublik Deutschland, Dr. Kurt Schumacher, hatte seine Partei immer wieder nachhaltig davor gewarnt, für die Kommunisten den Blutspender abzugeben. Nun, ein halbes Jahrhundert später, sind zumindestens Teile der SPD drauf und dran, die SED-Nachfolgerin PDS als Blutspender für den Aufbau linker Koalitionen oder anderer Allianzen und gar für noch weitergehende Schritte gewinnen zu wollen. In zehn Jahren, oder gar noch früher, könnte es in der Parteienlandschaft Deutschlands diese Veränderung geben: Die SPD und PDS fusionieren, vielleicht zu einer "Sozialistischen Volkspartei". Eine kleine Minderheit von PDS-Mitgliedern, zum Beispiel die "Kommunistische Plattform", geht in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP).
Das just in eine neue Runde gehende politische Pokerspiel könnte gar eine europäische Dimension bekommen. Der französische Marxist und Soziologe, Aktivist der französischen 68er-Bewegung, Professor am College de France und Autor etlicher soziologischer Standardwerke, Pierre Bourdieu, auch mit guten Verbindungen zur PDS, soll nach Informationen aus Frankreich recht enge Kontakte zu Lafontaine haben. Beide sollen die Gründung einer "Sozialistischen Volkspartei" (auf europäischer Ebene?) diskutiert haben. Bourdieu entwarf 2000 die "Charta 2000", mit der die "Generalstände der europäischen sozialen Bewegungen" einberufen werden sollen. Überdies bastelt Bourdieu an der Schaffung einer "Internationale" linker Intellektueller.
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gruß proxi
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