Samstag, 14. Juni 2014 Große Cashberge machen umtriebigDeutsche Firmen nicht nur auf Brautschau
"Cash ist King" lautete die Devise nach der Finanzkrise. Die Idee dahinter: von den Banken unabhängig sein. Die Strategie trug Früchte. Die Unternehmen können nun aus dem Vollen schöpfen. Wer nichts tut, weckt nur gefährliche Begehrlichkeiten bei anderen.
Deutsche Unternehmen sitzen zum Teil auf riesigen Bargeldbeständen. Nach der Finanzkrise hatten sie die Devise "Cash ist King" ausgerufen, um sich so unabhängiger von den Banken zu machen. Diese Strategie ist aufgegangen: Ende 2013 horteten die Industriekonzerne im Dax nach einer Umfrage des "Wall Street Journal" Deutschland Barmittel von fast 95 Milliarden Euro - laut Commerzbank, die das Geschehen langfristig verfolgt, ist das im Schnitt der höchste Stand seit dem Jahr 2000.
Doch nicht erst seit Mario Draghis letzter Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank stellt sich zunehmend die Sinnfrage. Angesichts historisch niedriger Zinsen fragen sich private Sparer und Finanzchefs großer Konzerne gleichermaßen: Was tun mit dem Geld? Noch behalten viele Firmen ihre konservative Finanzpolitik bei und versuchen, möglichst viel Geld im Unternehmen zu halten.
Dies kann auf Dauer jedoch kritische Aktionäre auf den Plan rufen, glaubt Thomas Dorbert, Partner im Bereich Corporate Finance bei der Beratergesellschaft KPMG. "Wenn ein Vorstand versucht, den Cash im Unternehmen zu halten, stellt sich für Aktionäre zu Recht die Frage, was mit den Mitteln passiert. Ein Unternehmen ist ja keine Bank." Die Gelegenheit zu Shoppen ist günstig
Die Unternehmen müssen daher eine Strategie entwickeln, um die freien Mittel abseits des täglichen Geschäfts sinnvoll zu investieren. Eine Möglichkeit sind Zukäufe. Da trifft es sich gut, dass die Rahmenbedingungen dafür derzeit günstig sind: Neben hohen Barmittelbeständen der Unternehmen erleichtern niedrige Finanzierungskosten mögliche Übernahmen. Zudem sind die Aktienmärkte auf Rekordniveau, was zum einen die positive Grundstimmung unterstützt, zum anderen aber auch eigene Aktien wertvoller macht, wenn sie als Teil der Finanzierung eingesetzt werden sollen. Dazu kommt eine weiter sinkende Verschuldung: Laut einer KPMG-Studie dürfte die Verschuldungsquote der deutschen Unternehmen in diesem Jahr um 23 Prozent sinken.
Damit erhöht sich der Spielraum der Unternehmen, bei passender Kaufgelegenheit weitere Mittel aufnehmen zu können. Bereits im vergangenen Jahr stieg der Appetit der Konzerne auf Übernahmen, was sich nach Meinung von Dorbert fortsetzen dürfte. "Die hohe Liquidität wird auch den M&A-Markt antreiben." Erste Aktivitäten seien bereits zu sehen. "Die Kaufpreise steigen wieder, auch treten Verkäufer von Assets wieder auf den Markt. Und die Bewertung deutscher Unternehmen ist noch nicht überzogen." Dies wird sich seiner Meinung nach quer durch alle Branchen ziehen. Allerdings: Unternehmen im MDax oder Dax dürften nicht die primären Übernameziele sein. VW setzt Scania-Übernahme durch
Die finanziellen Muskeln kann man dennoch in jedem Fall schon einmal spielen lassen. Der Krösus unter den Dax-Unternehmen - zumindest, was die Liquidität angeht - der Autobauer Volkswagen, setzt in diesem Jahr die schon länger erwogene Komplettübernahme des schwedischen Lkw-Herstellers Scania für rund 6,7 Milliarden Euro durch.
Andere, wie Daimler oder BMW, investieren Milliarden in neue Standorte und Technologien. Bei den Energieversorgern ist der hohe Barmittelbestand allerdings eher der Not geschuldet: RWE und Eon suchen noch nach dem Geschäftsmodell und den Anlageschwerpunkten der Zukunft.
Wie für die Versorger ist auch für manch anderes Unternehmen ein Zukauf sogar Pflicht, um die eigenen Wachstumsgrenzen zu durchstoßen und noch profitabler zu werden. Um ihre operative Marge auf dem jetzigen Niveau halten oder steigern zu können, werden einige Firmen zukaufen müssen, glaubt Markus Wallner, Aktien-Stratege bei der Commerzbank.
In diese Kategorie fällt zum Beispiel Henkel: Während der Konsumgüterkonzern in den Schwellenländern weiter ordentlich zulegen kann, fällt es ihm schwer, in den so genannten reifen Märkte zu wachsen.
Hinzu kommt, dass Henkel gerade bei Wasch- und Reinigungsmitteln sowie bei Kosmetik und Körperpflege in einem umkämpften Markt kaum Preiserhöhungen durchzusetzen kann. Henkel will daher die für 2016 angepeilte Umsatzmarke von 20 Milliarden Euro durch gezielte Zukäufe erreichen.
Nach langem Suchen wurden die Düsseldorfer zuletzt gleich doppelt fündig: Insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro legte das Unternehmen für US-Haarpflegemarken und einen französischen Waschmittelhersteller hin.
Auch der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat dieses Jahr gleich mehrfach zugeschlagen. Nachdem sich die Leverkusener lange Zeit mit Zukäufen zurückhielten, machten sie Anfang des Jahres die Übernahme des norwegischen Krebsspezialisten Algeta perfekt. Und vor einigen Wochen tütete das Unternehmen den zweitgrößten Zukauf der Geschichte nach dem Berliner Pharmakonzern Schering ein: Für rund 10,4 Milliarden Euro kauft Bayer das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten des US-Konzerns Merck & Co.
Doch Unternehmen dürften nicht um des Kaufens willen Übernahmen tätigen, warnt KPMG-Experte Dorbert. Die Konzerne sollten keine erzwungenen Strategien entwickeln und Unternehmen kaufen, die strategisch nicht passen. "Das funktioniert nicht." Dividenden-Segen der Dax-Unternehmen
Dann sei es sinnvoller, die Mittel an die Aktionäre zurückzugeben, etwa durch höhere Dividenden. Dividendentitel werden daher in naher Zukunft für Anleger interessant, ist sich Dorbert sicher. "Viele Anleger schauen bei dem hohen Kursniveau zurzeit vermehrt auf dauerhafte Einkünfte, statt auf weitere Kursgewinne zu hoffen. Unternehmen mit einer vernünftigen Dividendenrendite und einer stabilen Dividendenpolitik dürften deshalb tendenziell attraktiver für Investoren werden."
Auch hier geht Henkel mit gutem Beispiel voran: Die für ihre konservative Dividendenpolitik bekannten und dafür oft gescholtenen Düsseldorfer erhöhten jüngst ihre Ausschüttungsquote. Bis zu 35 Prozent ihres Jahresüberschusses will Henkel künftig den Aktionären zugutekommen lassen. Die lapidare Begründung dafür: "Weil wir das können."
Henkel ist damit nicht allein. Die Dax-Unternehmen haben im vergangenen Jahr rund 26,9 Milliarden Euro an Dividenden ausgeschüttet. Das war zwar etwas weniger als im Vorjahr, als die Rekordsumme von 27,6 Milliarden gezahlt wurde. Daran waren vor allem die beiden großen Energieversorger Eon und RWE schuld, deren Ergebnisse unter der Energiewende leiden. Insgesamt 18 der 30 Unternehmen zahlten ihren Aktionären in diesem Jahr jedoch mehr Dividende als 2013. Nur fünf Unternehmen haben ihre Dividendenausschüttung gekürzt - 2013 waren es laut Ernst & Young noch sieben gewesen. Nichtstun ist keine Option
Auch Aktienrückkäufe sind eine Möglichkeit, Geld an die Aktionäre zurückzugeben, doch hängt dies eher von der individuellen Situation der Unternehmen ab. "Wir erwarten, dass Liquidität eher für höhere Dividenden genutzt wird, weniger für Aktienrückkäufe", sagt Commerzbank-Experte Wallner.
Der schlechteste Rat bei hohen Cashbergen sei jedoch das Nichtstun. Denn volle Kassen wecken Begehrlichkeiten bei anderen. Etwa bei Firmenjägern: Hohe Eigenkapitalrenditen erhöhen die Attraktivität deutscher Unternehmen als Übernahmeziele, glaubt Wallner. Davon kann der Baukonzern Hochtief ein Lied singen: Vor rund vier Jahren lockte die solide Bilanz der Essener den spanischen Konkurrenten ACS auf den Plan.
Quelle: n-tv.de
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