Die häufigste Interpretation sieht aus wie folgt: Ein Kurs nahe dem oberen oder unteren Band wird als Signal für eine kurzfristige Bewegung zum anderen Band gedeutet. Bildet sich jedoch ein Plateau an einem der beiden Bänder und wiederholt sich dieses, ist eine Trendwende zu erwarten. Das Zusammenlaufen des oberen und unteren Bandes in Richtung des gleitenden Durchschnitts impliziert eine größere Kursbewegung, wobei die Richtung nicht bestimmt werden kann. Bricht der Kurs jedoch aus dem Kanal aus, wird die Fortsetzung dieser Bewegung angenommen. John Bollinger sagt jedoch, dass die Bänder selbst nur Aufschluss darüber geben, ob ein Titel aktuell relativ günstig oder relativ teuer gehandelt wird. Um gültige Trading-Signale zu generieren, sind auch die ebenfalls von Bollinger entwickelten Parameter %b und Bandwidth (Bandbreite) zu beachten. Da diese zusätzlichen Parameter jedoch in Standard-Anwendungen (Börse-Software oder Internetseiten mit Chartingfunktionen) sehr selten verfügbar sind, werden Bollinger-Bänder zumeist falsch interpretiert, weil bedeutende Informationen fehlen. In der Praxis werden Bollinger-Bänder häufig herangezogen, um Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen zu treffen. So ist es z.B. ziemlich einfach, anhand einer längerfristigen Entwicklung den Kursverlauf auf außerordentliche Schwankungen zu überprüfen (trendfolgende Ausbruchssysteme). Überschreitet der Kurs das obere Band, werden steigende Kurse erwartet. Diese sogenannte Long-Position wird wieder aufgelöst (geschlossen), wenn der Kurs entweder wieder unter das obere Band fällt, der Kurs unter das mittlere Band fällt oder wenn der Kurs unter das untere Band fällt. Bei einem umgekehrten Verlauf werden folglich fallende Kurse erwartet. Jedoch sind die Bollinger-Bänder in ihrem theoretischen Ansatz nicht dazu konstruiert, um Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen zu treffen. Sie sollen lediglich dazu dienen, festzustellen, ob ein Kurs über- bzw. unterbewertet ist. Die Bänder können keine, wie von einigen Befürwortern angenommen, zuverlässigen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit treffen, dass der Kurs innerhalb eines bestimmten Abstands zum gleitenden Durchschnitt liegen wird. So wäre die Annahme, dass der Kurs in 95 % der Fälle innerhalb der Bollinger-Bänder liegt, ebenso falsch wie die Annahme, dass der Kurs dem gleitenden Durchschnitt folgt. Dies liegt in erster Linie daran, dass der gleitende Durchschnitt tatsächlich nicht den Anforderungen an einen Erwartungswert genügt und die Annahme der Normalverteilung für Kursbewegungen an der Börse nicht zutreffend ist. Nach bisherigem Kenntnisstand folgen die Börsenbewegungen keiner bekannten Verteilungsfunktion (Benoît Mandelbrot beobachtete in seinen Arbeiten eine Potenzgesetzverteilung, die sich allerdings der linearen Analyse entzieht). Weiterhin setzen die Bollinger-Bänder voraus, dass die Standardabweichung bekannt ist, was hier nicht der Fall ist. Die oben beschriebene Standardabweichung ist eine unsichere Schätzung der wahren Abweichung. Dennoch hat sich diese Analysemethode in der Praxis als verlässliches Mittel zur Visualisierung von Preisvolatilitäten erwiesen. Bollinger wies selbst darauf hin, dass der Berührung des Kurses mit dem oberen oder unteren Band keine besondere Bedeutung beigemessen werden sollte, und dass zusätzliche Faktoren zur Investitionsentscheidung herangezogen werden sollten. Interessanterweise hat die massenhaft fehlerhafte Interpretation der Bollinger-Bänder, basierend auf nicht korrekten statistischen Annahmen, dazu geführt, dass einige Händler diese Bewegungen als alleiniges Handelssignal betrachten. Insofern kann hier von selbsterfüllender Prophezeiung gesprochen werden.
|