Wahllose Geldverteilung
Das Gießkannenprinzip der Entwicklungshilfe verschlingt Milliarden - und begünstigt die Falschen
von Uwe Wagschal
Deutschland ist weltweit der viertgrößte Geber in der Entwicklungshilfe. Mit einem Anteil von rund 10,5 Prozent an der gesamten Weltentwicklungshilfe ist Deutschland überdurchschnittlich engagiert. Fraglich ist allerdings, ob dieses Geld sinnvoll eingesetzt wird.
Mit Hilfe des neuen Bertelsmann-Transformationsindexes 2006 lässt sich zeigen, dass Berlin sich bisher nicht an den selbstgesteckten Entwicklungszielen Demokratie, Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und der Herausbildung effizienter politischer Strukturen ausrichtet. Die neue Bundesregierung sollte das bisherige System der Mittelvergabe überdenken und in Zukunft diese an nachprüfbaren Kriterien des "guten Regierens" ausrichten.
Zahlreiche Beispiele werfen Schatten auf die deutsche Entwicklungshilfe, die ihr Füllhorn großzügig in aller Welt ausschüttet. So regiert in Swasiland seit 1986 in einer absolutistischen Monarchie König Mswati III., der durch üppigen Lebenswandel und 13 Ehefrauen Bekanntheit erlangte, die er jeweils mit einer Luxuskarosse ausstattete, obgleich sein Land eines der ärmsten der Welt ist. Politische Parteien sind dort verboten. Die deutschen Transfers seit 1993 belaufen sich auf über 20 Millionen Euro.
Um andere Größenordnungen geht es in China. Das Reich der Mitte ist einer der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt. Längst kaufen chinesische Firmen deutsche Stahlwerke. Mit fast 90 Satellitenstarts lässt sich die Volksrepublik schwerlich als technologisch rückständiges Land bezeichnen. In China findet die höchste Zahl an Hinrichtungen weltweit statt, demokratische Fortschritte kommen nur mühsam voran. China ist der drittgrößte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe und hat allein 2003 über 223 Millionen Euro erhalten.
Nach Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI gehört der Iran, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, zu den Ländern, die mit rund vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes am meisten für Militär ausgeben. Menschenrechte werden massiv verletzt, die demokratischen Fortschritte sind minimal, und in der Vergangenheit wurde die Förderung terroristischer Anschläge nachgewiesen. Zudem erzielt der Iran Milliardenerlöse durch den Verkauf von Erdöl. Trotz allem zählt die Islamische Republik Iran ebenfalls zu den Großempfängern deutscher Entwicklungshilfe. Zwischen 1993 und 2003 flossen 820 Millionen Euro in die persischen Kassen.
Gemessen an den vollmundigen Zielen der deutschen Entwicklungshilfe wie Frieden, Demokratie, Menschenrechte, Förderung von wirtschaftlichem Wachstum und Reformprozessen, sprechen diese Beispiele Hohn. Selbst ihr Hauptziel, die Armutsbekämpfung, wird trotz massiver Gelder und wiederholter Schuldenerlasse nicht gelöst. Schlimmer noch: Oft wirkt die Hilfe kontraproduktiv: So verdrängen hochsubventionierte europäische Lebensmittellieferungen die heimische Landwirtschaftsproduktion in Afrika, wohlgemeinte Kleiderspenden ruinieren die lokale Textilproduktion. Die Einrichtung von Zeltlagern wirkt mitunter wie ein Magnet - und zerstört dabei Dorf- und Familienstrukturen.
Der führende deutsche Experte der Entwicklungspolitik, der Duisburger Professor Franz Nuscheler, sprach schon vor Jahrzehnten vom süßen Gift der Entwicklungshilfe. Eine Evaluation der jährlichen Milliardentransfers an den selbstformulierten Zielen der Politik ermöglicht der jetzt veröffentlichte Bertelsmann-Transformationsindex 2006 (BTI), der aus einem Status- und einen Managementindex besteht. Für 119 Transitionsländer erfasst der Status-Index die Entwicklung hin zu Demokratie und Marktwirtschaft. Der Management-Index beurteilt dagegen die Qualität der politischen Führung sowie Reformprozesse.
Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Demokratiequalität und den deutschen Hilfsleistungen ist ernüchternd: Es spielt keine Rolle für die Höhe der Pro-Kopf-Leistungen, ob ein Land demokratisch ist oder nicht. Der statistische Zusammenhang zwischen dem Status-Index und der Entwicklungshilfe liegt nahe null. Demokratisierungsanstrengungen werden - entgegen allen Sonntagsreden - von der deutschen Politik in keiner Weise honoriert. Beispielsweise erhält im Durchschnitt jeder Einwohner Nicaraguas 21 Euro aus Deutschland, womit dieses Land die Empfängerliste deutlich anführt. Allerdings ist die demokratische Qualität bescheiden. Zahlreiche Länder bewegen sich fernab von demokratischen Standards und erhalten dennoch viel Hilfe aus Deutschland, die Elfenbeinküste etwa, Laos, Kamerun, Eritrea oder der Jemen. Auf der anderen Seite werden Demokratisierer benachteiligt, wie etwa Mauritius, Jamaika oder Thailand, die auf der Empfänger-Rangliste relativ weit unten stehen.
Das zweite Messinstrument, der Management-Index, gibt an, ob beziehungsweise wie konsequent Regierungen den Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie eingeschlagen haben. Doch auch hier Fehlanzeige: Statistisch ist kein Zusammenhang zwischen Geldströmen und Reformmanagement der Entwicklungsländer nachzuweisen.
Länder mit einem guten Reformmanagement, wie etwa Mauritius, Südafrika, Jamaika oder der Niger, werden nicht belohnt. Reformfeindliche Länder hingegen wie Kirgisien, Aserbaidschan, der Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Guinea, Nepal oder Simbabwe werden von Deutschland quasi prämiert.
Gerade das zentrale Hindernis für eine fruchtbare Entwicklung, die Korruption, scheint die Zahlungen nicht zu beeinflussen. Fast alle Länder, die weit überdurchschnittlich bedacht werden - etwa Nicaragua, Sambia, Kamerun, Albanien, Serbien und Montenegro -, sind Transparency International zufolge hoch korrupt.
Das Hauptziel der Entwicklungshilfe, die Armutsbekämpfung, wurde in den vergangenen Dekaden mit der Politik des Ablasshandels durch Entwicklungshilfe nicht erreicht. Mehr als Finanztransfers wären indes offenere Märkte in den reichen Ländern hilfreich. Dies erfordert Reformen bei den Geberländern. Dagegen ist jedoch der Widerstand groß. So würde etwa die Landwirtschaftslobby in der EU Front machen. Aber auch Globalisierungskritiker von Attac bekämpfen vehement eine solche Agrarmarktöffnung.
Deutschland ist mit seiner wahllosen Mittelverteilung in guter Gesellschaft. In der Summe verhalten sich alle Geberländer so. Eine Kopplung der Hilfe an Demokratiebemühungen und Reformleistung findet nicht statt. Die Verteilung der Milliardenbudgets anhand von Zielkriterien, die sich an "Good Governance" und Marktwirtschaft orientieren, würde das bisherige Gießkannensystem verbessern und wäre im Interesse Deutschlands und der Gebernationen: Demokratien führen untereinander keinen Krieg, der Frieden würde die politische Stabilität weltweit erhöhen. Zudem erzielen Transitionsländer, die auf Marktwirtschaft setzen, langfristig mehr Wachstum und entkommen eher der Armutsfalle. Eine Knüpfung an Erfolgs- und Leistungskriterien würde dem System der Entwicklungshilfe deshalb mehr Effizienz verleihen.
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