Internet-Banking: Kompliziert und riskant AgV warnt vor Abwärtsspirale beim Verbraucherschutz
Die Möglichkeiten des Internet-Banking werden weithin überschätzt, der organisatorische Aufwand wird falsch eingeschätzt und vor allem werden die Folgen für das Kunde-Bank-Verhältnis unterschätzt. Der gesetzliche Verbraucherschutz vor den neuartigen Risiken bei Online-Finanzgeschäften ist unzureichend. Die aktuellen Pläne der Europäischen Union gefährden sogar tendenziell den gesamten Verbraucherschutz mit seinen Warnfunktionen bei Krediten und Anlagen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studien, die im Auftrag der AgV (Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände) vom Hamburger Institut Für Finanzdienstleistungen (IFF) erstellt wurden.
"Internet-Banking ist unsicherer und umständlicher als nötig und hält nur selten, was es verspricht. Ein modernes und verbraucherfreundliches Bankgeschäft muß anders aussehen. Offenbar haben Rationalisierungseffekte und vermeintliche Wettbewerbsvorteile Vorrang vor der Orientierung an den Kundenbedürfnissen nach Information und nach Sicherheit." Dieses Fazit zog AgV-Geschäftsführerin Anne-Lore Köhne bei der Vorstellung der Studien in Bonn. "Risiken des Bankverkehrs werden durch die neuen Techniken mehr und mehr auf die Kunden verlagert. Deshalb müssen die Banken für einen höchstmöglichen Sicherheitsstandard sorgen. Dazu gehört der neue HBCI-Standard, der rasch flächendeckend eingeführt werden muß".
Die Verbraucherschützer haben in einer empirischen Erhebung 23 Banken untersuchen lassen, die den Vertriebsweg Internet nutzen. Außerdem wurden in einem juristischen Gutachten die geplanten Rahmenbedingungen für Finanzgeschäfte auf elektronischem Weg analysiert. "Die Filialbanken, die zusätzlich Internet-Banking anbieten, gehen bei allen relevanten Geschäftsvorgängen, wie Vertragsanbahnung und -abschluß oder Kontoführung, konventionell und regelkonform vor. Näher getestet wurden daher vor allem die Direktbanken", erklärte Prof. Udo Reifner, Direktor des IFF, die Vorgehensweise beim Bankentest. (zum Statement)
Die wichtigsten Ergebnisse im einzelnen:
Der Vertragsabschluß ist bei fast allen Banken kompliziert, langwierig, unübersichtlich und für den Kunden intransparent.
Die Kontofreischaltung erforderte 2 bis 6 Wochen, so daß ein Kontowechsel ohne kostenintensive Überlappung von Alt- und Neukonto nicht möglich ist. Wer wechseln will, muß also meist doppelt zahlen.
Die Geschäftsbedingungen und die Preise wurden in den meisten Fällen nicht vollständig bereitgehalten. Bei fast allen getesteten Banken war es möglich, an Vertragsunterlagen zu gelangen, ohne auf weitergehende Informationen hingewiesen zu werden. Eine positive Ausnahme macht hier die Bank 24, die belegt, daß ein elektronischer Ersatz für das persönliche Gespräch am Schalter durchaus möglich wäre.
Das Beratungsangebot über Telefon- oder E-Mail-Hotlines ist kein vollwertiger Ersatz für den Bankschalter. Die Mitarbeiter waren in den meisten Fällen nicht qualifiziert, weitergehende inhaltliche Fragen zu beantworten. Teilweise antworteten ohnehin nur freundliche Telefonvermittler.
Die Produktpalette im Internet-Banking ist deutlich eingeschränkt. Verbraucherkredite gehören häufig nicht zum Angebot, obwohl sie ausdrücklich beworben werden. Auch bei der Geldanlage stellen viele Institute nur eine begrenzte Auswahl von Produkten zur Verfügung.
Mit Ausnahme von 1822 direkt kamen zwar alle untersuchten Institute im Untersuchungszeitraum ihrer gesetzlichen Informationspflicht bei Eröffnung eines Wertpapierdepots nach, indem sie umfangreiche Unterlagen zusandten. Daß der Durchschnittskunde diese Informationen aber ohne Hilfe eines Beraters auf seine Situation beziehen kann, ist wenig wahrscheinlich.
Wertpapierorders sind bei Anbietern wie Advance Bank und Allgemeine Deutsche Direktbank nur telefonisch möglich. Damit besteht beim Online-Banking u. U. sogar ein Mehraufwand und ein Zeitnachteil gegenüber dem Filial-Banking.
Der HBCI-Standard, der viele Standardisierungs- und Sicherheitsprobleme lösen kann, wird bislang von keiner Direktbank genutzt.
Juristisch soll Internet-Banking demnächst durch die Fernabsatzrichtlinie der EU geregelt werden. "Wie unzureichend der bislang vorgelegte Entwurf ist, zeigt sich schon daran, daß er nicht einmal den Begriff ?Online-Banking? kennt, dafür aber so unvergleichbare Vertriebskanäle wie Telefon-Banking und Internet-Banking über einen Kamm schert," kommentiert AgV-Geschäftsführerin Köhne. Somit ist bei der EU-Fernabsatzrichtlinie ausgerechnet das am interessantesten, was nicht in ihr steht - und hier zuvorderst der vollständige Ersatz der eigenhändigen Unterschrift durch eine elektronische Signatur. "Es entspricht der europäischen Rechtstradition und ist tief im Bewußtsein der Konsumenten verankert, daß mit der eigenhändigen Unterschrift eine besondere Bindung und Bedeutung verbunden ist. Die Unterzeichnung stellt eine letzte, zum nochmaligen Überdenken zwingende Schwelle vor einer Vertragsentscheidung dar. Wird sie durch ein elektronisches Pendant ersetzt, ist künftig per Mausklick z. B. auch ein Kreditengagement möglich, das in einer lebenslangen Überschuldung mündet", warnt Professor Reifner.
"Beim elektronischen Handel droht uns eine Abwärtsspirale in Sachen Verbraucherschutz", so die Einschätzung der AgV-Geschäftsführerin, die gleichzeitig Präsidentin des Europäischen Verbraucherverbandes BEUC ist. Denn nach den bisherigen Plänen der EU dürfen die einzelnen Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Regelungen nicht über die Festlegungen der Richtlinie hinausgehen. Für das deutsche Recht heißt dies z. B., daß die Schriftform, die beim Verbraucherkreditvertrag derzeit noch zwingend erforderlich ist, künftig wegfallen kann. "Damit entfällt auch die Warnfunktion und der Schutz der Verbraucher vor übereilten Vertragsabschlüssen", so Köhne. Zudem - dies soll in der Richtlinie zum Elektronischen Geschäftsverkehr geregelt werden - soll bei einem Online-Vertrag das nationale Recht des Herkunftslandes des Anbieters und nicht das Recht des Wohnsitzes des Verbrauchers gelten. So besteht die Gefahr, daß Online-Anbieter sich bevorzugt in Ländern mit niedrigen Schutzstandards niederlassen. "Dadurch entsteht Druck auf Staaten mit einem besseren Verbraucherschutzniveau, ihre Regelungen aufzuweichen. Die Bundesregierung muß sich in Brüssel dafür einsetzen, daß diese fatale Entwicklung verhindert wird", verlangte die AgV-Geschäftsführerin.
*) Getestet wurden: 1822 direkt, Advance Bank, Allgemeine Deutsche Direktbank, Bank 24, Bank GiroTel, Comdirekt Bank, Direkt Anlage Bank, Deutsche Postbank und Quelle-Bank.
Die Postbank bietet als Filialbank die Möglichkeit, Verträge auch über ein Online-Verfahren abzuschließen, und wurde deshalb mit einbezogen.Hinweis auf die aktuellen Untersuchungen, die im Auftrag der AgV erstellt wurden:"Banken und Internet - Das Online-Angebot von Banken aus der Perspektive des Verbraucherschutzes", erstellt von Stefanie Jack, Rotraud Gitter, Hamburg, Mai 1999. Preis: 50 DM (inkl. MWSt, Porto und Versand).
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