Prozess-Auftakt im Fall von Oberglatt
Am ersten von drei Prozesstagen hat der Halter jener Pitbulls, die in Oberglatt einen sechsjährigen Knaben zu Tode gebissen hatten, einen schlechten Eindruck hinterlassen. Er war aber weitgehend geständig. Seine Ex-Freundin brach während der Verhandlung zusammen.
-yr. Als am 1. Dezember letzten Jahres ein sechsjähriger Knabe in Oberglatt auf dem Weg in den Kindergarten von drei entlaufenen jungen Pitbulls zu Tode gebissen wurde, hinterliess dies in der Öffentlichkeit tiefe Spuren. In diesem Zusammenhang haben sich am Montagnachmittag drei Angeklagte vor dem Bezirksgericht Dielsdorf, das aus Platzgründen in Zürich tagte, wegen fahrlässiger Tötung verantworten müssen.
Beim Hauptangeklagten handelt es sich um den Hundehalter, einen 42-jährigen, in der Schweiz aufgewachsenen Italiener. Ebenfalls angeklagt sind dessen damalige Freundin sowie der Inhaber der Wohnung, aus der die Kampfhunde entwichen waren. Im polizeilich gesicherten Gerichtssaal begegneten die drei Angeklagten erstmals den Eltern des zu Tode gebissenen Knaben.
14 Katzen in Wohnung zurückgelassen
Der hauptangeklagte Hundehalter schien wenig motiviert zu sein, etwas gegen sein schlechtes Image zu tun. Das lag nicht nur an seiner äusserlichen Erscheinung, die von einem langen dunklen Pelzmantel geprägt war. Mehrheitlich gab er auf die Fragen des Gerichtspräsidenten schnoddrige Antworten und strich immer wieder lässig mit einer Hand durch seine graumelierten Locken. Vom Hauptangeklagten war während der mehrstündigen Verhandlung weder ein Wort der Entschuldigung zu hören noch Reue oder Einsicht zu spüren. Schuld waren in erster Linie die andern. So etwa 1997, als bei der Zwangsräumung seiner Wohnung 14 ausgehungerte Katzen gefunden worden waren. Die Behörden hätten ihn dazu gezwungen, die Tiere in dieser erbärmlichen Situation zurückzulassen, rechtfertigte sich der Hauptangeklagte.
Aufgewachsen war er an verschiedenen Orten in der Zürcher Agglomeration. Weil sich seine Eltern zu wenig um ihn kümmerten, kam er früh in ein Heim. Die Lehre als Automechaniker musste er bald abbrechen, angeblich wegen einer Falschanschuldigung seines Lehrmeisters. Es folgten verschiedene Anstellungen als Hilfsarbeiter, ehe der Hauptangeklagte arbeitslos wurde. Dies bewog ihn, 1999 zu seinen Eltern nach Italien zu ziehen, wo er als Badmeister und Nachtportier arbeitete, sich aber auch ein Strafverfahren wegen Zuhälterei einhandelte. 2004 kehrte er in die Schweiz zurück, musste ein Jahr später erneut seine Wohnung räumen und zog von da an mit einem Wohnmobil durch die Gegend.
Fünf Hunde in 1 1/2-Zimmer-Wohnung
Die drei Pitbulls, die bei ihrem Angriff den sechsjährigen Knaben über Minuten hinweg förmlich zerfetzten, stammen vermutlich aus einem Inzucht-Wurf mit fünf Jungen. Sie wuchsen bei der Mutter des Hauptangeklagten in Italien ohne Aussenkontakt auf. Wenige Tage vor dem tödlichen Vorfall hatte der Hauptangeklagte die fünf Jungen mit einem Auto in die Schweiz geholt. Das Auto hatte er von einem fernen Bekannten geliehen, der sich für den Kauf eines Hundes interessierte. Dabei handelt es sich um den 39-jährigen Mitangeklagten, in dessen 1 1/2-Zimmer-Wohnung in Oberglatt die drei Angeklagten und die Pitbulls vor der Tat nächtigten.
Weil am Morgen die Wohnung voller Hundekot und Urin war, wurden die fünf jungen Pitbulls auf die Terrasse in einen behelfsmässigen Verschlag gesperrt. Es gelang ihnen, aus diesem Provisorium auszubrechen. Zwei Kampfhunde konnten von der damaligen Freundin des Hauptangeklagten eingefangen werden, drei reagierten mit einer Hetzjagd auf den sechsjährigen Knaben.
Hauptangeklagter reagiert unwirsch
Auf die Frage von Gerichtspräsident Harry Kalt, ob er den in der Anklageschrift erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Tötung anerkenne, reagierte der Hauptangeklagte unwirsch. Ein Kind sei ums Leben gekommen, sagte er, also müsse es wohl so gewesen sein. Dies interpretierte das Gericht als Geständnis.
Die äusserst detaillierten Schilderungen in der Anklageschrift stammen von einer Nachbarin, die den Todeskampf des Sechsjährigen aus wenigen Metern beobachtet hatte. Sie selber war kurz zuvor vom Rudel angefallen worden. Vermutlich überlebte sie, weil sie vor lauter Angst komplett regungslos stehenblieb und dabei nicht vergass, ihren vierjährigen Sohn an sich zu pressen. Die Pitbulls liessen erst von den beiden ab, als das spätere Opfer hinzukam und vergeblich versuchte, in Richtung Kindergarten davonzurennen.
Wohnungsinhaber nicht geständig
Aufgrund der Bilder des toten Knaben, die ihm gezeigt worden waren, könne er verstehen, dass jemand bis ans Lebensende posttraumatische Störungen habe, wenn er den Angriff der Kampfhunde habe mit ansehen müssen. Dies sagte der mitangeklagte Wohnungsinhaber an der gestrigen Hauptverhandlung. Er bedauere den Vorfall sehr. Aber er wisse nicht, was er hätte tun müssen, um den Tod des sechsjährigen Knaben zu verhindern. Der Wohnungsinhaber bestritt, bereits im Besitz eines der Kampfhunde gewesen zu sein. Eine Anzahlung in Höhe von 700 Franken habe er in erster Linie geleistet, um seine ungebetenen Gäste aus der Wohnung zu kriegen.
Nicht mehr zur Sache aussagen konnte die damalige Freundin, die in der Pause einen Zusammenbruch erlitt. Zuvor hatte die Drogenprostituierte und zweifache Mutter gesagt, sie habe Kokain und Heroin konsumiert, um den Prozess besser überstehen zu können.