SPIEGEL ONLINE - 24. August 2005, 17:36 URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,371235,00.html CDU Nitzsche hält an rechter Parole fest
Von Severin Weiland Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche wirbt mit einem Slogan, den das mit den Nazis kollaborierende Vichy-Regime und die NPD benutzten. Nun musste er sich öffentlich erklären - und hält dennoch am Motto und seinen Wahlplakaten fest. | DDPCDU-Abgeordneter Nitzsche: Unruhefaktor | Berlin - Über so viel öffentliche Aufmerksamkeit dürfte sich Henry Nitzsche freuen. Sein umstrittenes Wahlkampfmotto "Arbeit, Familie, Vaterland" erhielt unversehens einen bundespolitischen Verteidiger - den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. "Wir sind eine Partei, für die das Thema Vaterlandsliebe etwas Selbstverständliches ist", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post".
Die Debatte über Nitzsches Wahlkampfmotto sei typisch deutsch. "Ich glaube, in keinem anderen Land wird mit diesen drei Begriffen eine Diskussion darüber stattfinden, ob das zulässig ist." Man dürfe sich aber bestimmte Begriffe nicht abnehmen lassen, urteilt Koch.
Seit Tagen wird Nitzsche, Vater von vier Kindern und 46-Jähriger CDU-Abgeordneter aus Sachsen, wegen seines Wahl-Mottos angegriffen. Er selbst hält daran unverdrossen fest. Auf seiner Homepage findet sich nicht nur sein Motto, sondern auch in diesen Tagen eine Äußerung, die der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in der "Leipziger Volkszeitung" machte: "Was ist daran schlecht? Wer die Verwendung des Wortes Vaterland kritisiert, den kann ich nur bedauern. Hier kommt eine gewisse Deformation des Denkens zum Ausdruck, die den nationalsozialistischen Missbrauch solcher Worte signalisiert. Aber wir müssen uns doch nicht über Generationen hinweg diesen Missbrauch vorhalten lassen", so der CDU-Politiker.
Biedenkopf und Koch offenbaren damit eine merkwürdig ahistorische Sichtweise - schließlich wurde der Slogan ab 1940, nach der Niederlage Frankreichs gegen Hitler-Deutschland, durch das Regime unter Marschall Pétain gebraucht. Die autoritäre, antidemokratische Regierung, die sich im Kurort Vichy im unbesetzten Teil Frankreichs niederließ, hatte den Dreiklang bewusst gewählt - als Antithese zum Motto der französischen Republik "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" und damit zu den Werten der französischen Revolution von 1789. "Die konservativ-autoritäre Politik der nationalen Revolution drückte sich unter anderem in scharfer Pressezensur, Unterdrückung der Opposition und einem Führerkult um Staatschef Pétain aus", heißt es etwa in der Darstellung des renommierten "Deutschen Historischen Museums".
NPD nutzte Slogan
Vichys Slogan war seit jeher Bestandteil der Propaganda der neuen Rechten - bis hinein ins rechtsextreme Lager. So verwendete ihn die NPD offiziell im Herbst 2004 auf ihrem Bundesparteitag - nachdem sie in Sachsen mit über neun Prozent in den Landtag eingezogen war.
Nitzsche, der im sächsischen Wahlkreis Kamenz-Hoyerswerda-Großenhain sein Mandat 2002 gegen den SPD-Herausforderer mit 37,6 Prozent gewann, gilt seit langem in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als Repräsentant des rechten Flügels. Bundesweit in die Schlagzeilen geriet er mitten im Streit über den damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der eine mit antisemitischen Klischees durchsetzte Rede gehalten hatte und daraufhin aus Fraktion und Partei ausgeschlossen wurde. Nitzsches Äußerung, eher werde einem Muslim "die Hand abfaulen", als dass er CDU wähle, wurde zwar scharf kritisiert, unter anderem von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel - doch ein Rausschmiss verworfen.
Nitzsche habe sich von seinen abfälligen Äußerungen über türkische Mitbürger distanziert, auch liege "ein anderer Sachverhalt" als bei den Äußerungen Hohmanns vor, "wenn auch ein außerordentlich unangenehmer, insbesondere gegenüber unseren türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern", so Merkel damals. Und: Hinter Nitzsches Aussage stehe "politische Dummheit", aber "kein Gedankenbild und kein inhaltliches Konstrukt, das mit der Demokratie in Deutschland nicht vereinbar ist, so wie das Herr Hohmann gemacht hat".
Mitten im Wahlkampf kann die Union keine neue Aufregung über Nitzsche gebrauchen. In der sächsischen CDU gab es dennoch nur wenige, die Nitzsche öffentlich abgeraten hatten, das Motto weiter zu benutzen. Es dürfe für einen Politiker eigentlich kein Problem sein, einen Slogan zurückzuziehen, wenn dieser von einem Großteil der Bevölkerung falsch verstanden werden könne oder wenn mit ihm unrühmliche politische Ereignisse verbunden seien, erklärte jüngst der frühere Bürgerrechtler, meinte etwa der frühere CDU-Innenminister Sachsens, Heinz Eggert. Ähnlich äußerte sich auch die CDU-Landtagsabgeordnete und Ausländerbeauftragte, Friederike de Haas. Seit der Ursprung des Spruchs bekannt sei, sei es "nicht schlau und wenig sensibel", daran festzuhalten.
In der sächsischen CDU bemühte man sich, die Debatte zu beenden, die immer mehr bundespolitische Bedeutung erhielt. In Nitzsches Büro stand das Telefon heute nicht mehr still - laufend riefen Journalisten an und fragten nach einer Stellungnahme. Der CDU-Parlamentarier hatte noch heute in der "Sächsischen Zeitung" angekündigt, das Motto auch plakatieren zu lassen.
Auf seiner Homepage hatte er sich ohnehin seit Tagen gegen Kritiker vorsorglich gewappnet. Dort zitiert er, direkt unter den Interview-Äußerungen Biedenkopfs, das Parteistatut, wonach die CDU, "das öffentliche Leben im Dienst des deutschen Volkes und des deutschen Vaterlandes aus christlicher Verantwortung und nach dem christlichen Sittengesetz auf der Grundlage der persönlichen Freiheit demokratisch gestalten" wolle.
Am Nachmittag sah sich Nitzsche aber gezwungen, auf die zunehmende Kritik mit einer langen Erklärung zu reagieren. Er habe "keine Kenntnis von der vormaligen Verwendung dieses Slogans" gehabt, schreibt darin der CDU-Parlamentarier. "Mit dieser Erklärung will ich die Bedenken entkräften und deutlich machen, dass es mir um die demokratische Auslegung der Begriffe Arbeit, Familie und Vaterland geht", heißt es in dem Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt.
| DPANPD-Parteitag im Herbst 2004: Vichy-Slogan als Motto | Das Motto zu streichen, daran denkt der CDU-Abgeordnete aber dann doch nicht. Er habe sich "nach reiflicher Überlegung gegen das Zurückziehen" seiner Plakate entschieden, heißt es in seiner Erklärung weiter. Er befürchte, "dass dieses signalisieren würde, dass Demokraten diese Begriffe nicht verwenden dürfen". Das halte er für falsch. "Wir dürfen die Themen Arbeit, Familie und Vaterland nicht den Extremisten überlassen", so Nitzsche.
In der sächsischen CDU hofft man nun, die Debatte überstanden zu haben. Nitzsche habe klargemacht, dass ihm der historische Bezug zu Vichy nicht bewusst gewesen sei, so CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Es geht ihm darum, die an sich unproblematischen Begriffe nicht der Deutungshoheit der Rechten zu überlassen". Der Generalsekretär, der dem liberalen Flügel angehört, setzt nun darauf, dass nach der Aufregung "wir wieder mit unseren Konzepten in den demokratischen Wettstreit treten können".
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