Deutsche Aktienanleger entdecken wieder die Gesetze der Schwerkraft
Es gab eine Zeit, da schienen den Aktionären, besonders der jungen Generation, die massiv in Aktien der New Economy investierten, die Erfahrungen der Schwerkraft älterer Börsianer besonders aus der Old Economy, nicht mehr zu gelten. Besonders als dann noch Viagra entdeckt wurde, wurden Leute mit Ideen wie « what comes up has to come down » belächelt. Ich will hier gar nicht von meiner Person reden, die spätestens seit 1997 ständig wiederholte und dies seit über einem Jahr in dieser Kolumne, dass wir uns weltweit, aber besonders an den Wachstumsmärkten, in einem Salami-Crash befinden. Ich wusste übrigens damals natürlich nicht, dass die Salami auch noch von BSE befallen sein würde und daher besondere Probleme schafft. Ich denke vor allen Dingen, dass ein Mann, der zu den brilliantesten und erfolgreichsten Anlegern unserer Generation gehört, Warren Buffet, dessen Ideen von gesundem Menschenverstand bestimmt sind und darin bestanden, sogenannte « value investments », die aber vom Markt unterbewertet sind, zu kaufen. Als die Aktien seiner Gesellschaft Berkshire Hathaway im Jahr 1999 unter die Räder kamen, wurde er zum Teil von der spezialisierten Presse, aber auch von sogenannten immer und ewig optimistischen Börsengurus mit Häme überschüttet. Diese sprachgewandten Börsengurus sollen sich einmal vor Augen halten, wie es um die Performance ihrer eigenen Fonds steht und sie mit dem Kurs der Berkshire Hathaway vergleichen, die in einer Zeit, wo der Nasdaq rund 60% fiel, um 75% zulegen konnte. Der mittlerweile 70 Jahre alte Warren Buffet (Sie sehen auch im Alter ist man noch in der Lage gute Investmententscheidungen zu treffen) weigert sich auch weiterhin, Beteiligungen an Technologie-Unternehmen zu kaufen. « Wir haben das 21. Jahrhundert mit Beteiligungen an so fortschrittlichen Industriezweigen wie der Fertigung von Steinen, Teppichen, Isolationsstoffen und Farbe begonnen. »
Es ist dennoch überraschend, mit welcher Dynamik auch die Standardwerte unter Druck geraten. Überall schreiben Experten, die Gefahr einer Stagflation ist Hirngespinst, keine Rezession ist in Sicht, und die Inflation ist überhaupt kein Thema. Ich kann mich nur über diesen intellektuellen Unsinn wundern. Noch in dieser Woche sagte Bundeskanzler Schröder : « Deutschland befindet sich auf einem robusten Wachstumspfad. Ich sehe keinen Anlass, unsere Wachstumsprognose zurückzunehmen. » Wenn dem so ist, dann müssen die Verfasser einer Studie des früheren Marktforschungsinstituts für die Automobilindustrie (Marketing Systems) ihren Verstand verloren haben, denn sie warnten, dass die Zahl der Neuzulassungen in Deutschland in diesem Jahr um 100.000 Einheiten niedriger ausfalle als im Vorjahr, und damals brach die Zulassungszahl um 11% ein. Sie gaben dafür folgende Gründe an : revidierte Vorhersagen für das Wirtschaftswachstum, äusserst angespannte wirtschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten und Japan, Verschärfung der Krise in der Landwirtschaft etc. In Deutschland käme noch besonders hinzu, dass die neuen Fahrzeugmodelle nicht den erwarteten Zuspruch finden, und ein Stau auf dem durch junge Fahrzeuge geprägten Gebrauchtswagenmarkt. Ausserdem kämen noch erhöhte Versicherungsbeiträge und Kraftfahrzeugsteuern hinzu und ... Benzinkosten.
Was wir jetzt erleben, ist der x-te Börsencrash in der Geschichte. Den Crash von 1987 hatte ich hautnah miterlebt, und es war so, dass er relativ schnell zu Ende ging. Damals war nicht der Crash als solcher anormal, sondern wie heute die enormen Übertreibungen in den 9 Monaten davor. Dem Crash von 1987 folgte keine Rezession, sondern das Wachstum stieg 1988 an. 1994 hatten wir den grössten Bond-Crash in der Geschichte, nachdem während einer langen Periode die Federal Reserve die Zinsen bei 3% gehalten hatte, und es für die Spekulanten und Spieler ein Leichtes war, sich am kurzen Ende zu verschulden und in langfristige Bonds zu investieren. Aber auch 1994 folgte keine Rezession oder gar Inflation. Was den heutigen Crash so schlimm erscheinen lässt, ist nicht die Höhe des Einbruchs (über 60% Nasdaq, über 80% Neuer Markt), sondern seine Stetigkeit. Er wirkt wie eine chinesische Wasserfolter, bei der die Opfer die Wassertropfen am Anfang überhaupt nicht spüren, aber am Ende in den Wahnsinn getrieben werden. Was heute die Korrektur so schmerzlich werden lässt, ist die vorausgegangene Übertreibung in der New Economy. Man muss es sich erneut vor Augen halten, und ich habe dies öfters wiederholt : Im März letzten Jahres betrug die Börsenkapitalisierung von Wachstumswerten wie Boeing, General Motors, Phillip Morris, soviel wie die Marktbewertung eines einzigen Unternehmens der New Economy, Yahoo, (rund 100 Milliarden Dollar). Heute ist die Marktbewertung von Yahoo unter 10 Milliarden Dollar gefallen, während die der Standardwerte weit über 100 Milliarden liegt. Aber dieser kollektive Wahnsinn erfasst auch eine Börse wie die japanische, die seit 1990 in einer Baisse ist. Vor einem Jahr war die Börsenkapitalisierung von grossen Unternehmen wie Nissan Motor, Komatsu, Mitsubishi Heavy, soviel wert wie das « Luftblasen-Unternehmen » der New Economy, Hikari Tsushin. Heute repräsentiert letzteres gerade mal 10% der drei etablierten Werte. Und die Aktionäre haben mitgemacht, sie haben sich von den Marketing Abteilungen der Banken und Broker (früher hiessen sie noch Analysten) verführen lassen. Ich wiederhole, im letzten Jahr wurden für an Wall Street gehandelte Papiere 33.169 Empfehlungen ausgegeben, davon 125 (0,38%) Verkaufsempfehlungen, denen 36,5% « strong buy » und 37,5% « buy » entgegenstanden. Die Kunst der Analysten bestand lediglich darin, Unterschiede zwischen « buy », « strong buy », « urgent buy », « brutal buy », « must own », « strong outperform » etc. herauszukristallisieren.
Ich bleibe bei meiner Meinung von Anfang März, als ich in Artikeln für z.B. Börse Online ankündigte, dass der Salami-Crash bald zu Ende sein wird und es an der Zeit ist, Aktien zu sammeln. In meinem Interview vom 9. Februar in der Financial Times Deutschland (« Anleihen und Cash für unsichere Zeiten ») sagte ich allerdings, ich würde mir Aktien des Dax erst unter 6.000 und des Dow Jones unter 8.000 anschauen, nicht vorher. Beim Dax sind wir jetzt soweit und beim Dow Jones müssen wir noch etwas Geduld haben. Insofern Sie also meinen Ratschlägen von einer Übergewichtung von Anleihen und Cash gefolgt waren, empfehle ich jetzt den Cash und die Bondsquote langsam herunterzufahren und den Anteil der Aktien im Portefeuille zu erhöhen. Es hat überhaupt nur einen Sinn, auf einen Crash zu warten, wenn beim Eintritt desselben auch der Mut besteht, die Aktien, die man gerne hat, zum Spottpreis zu erwerben.
Die grossen Gewinner in einem Börsencrash sind die Leerverkäufer von Aktien. Sie wurden übrigens früher die Fixer genannt, und als ich 1962 bei einer Frankfurter Bank meine Lehrjahre begann, hatten wir die Kuba-Krise, und ein Börsianer gab mir folgenden Spruch mit auf meine Laufbahn : « Der Fixer ist bei Gott beliebt, weil er nichts hat und dennoch gibt ! »
Roland Leuschel 16.03.2001 Quelle: nachrichten.boerse.de
Na dann . . . !!!
keeper
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