Silicon-Valley-Investor: Es gibt gute Gründe, vorerst cool zu bleiben Von Otmar Weber, Menlo Park aus ftd vom 23.08.00 Jetzt oder nie? Sie liegen schon eine ganze Weile in Lauerstellung, und da ist auch schon Alan Greenspans Trillerpfeife. Alles roger, keine weiteren Zinserhöhungen - US-Notenbankchef Alan Greenspan "hat fertig" für dieses Jahr. Sie können endlich zuschlagen.
Aber, halt! Es gibt Gründe, vorerst cool zu bleiben. Natürlich klettert der Markt traditionsgemäß am Ende eines Zinserhöhungszyklus, aber Hightech-Anleger werden meiner Ansicht nach vor dem nächsten großen Bullenmarkt genügend Zeit haben, hervorragende Werte auszuwählen.
Der Grund liegt auf Hand: Wall Street weiß noch nicht, wie hoch der Schaden ist, der der Wirtschaft durch die sechs Zinserhöhungen seit Juni 1999 zugefügt wurde. Zinserhöhungen haben Langfristwirkung: Momentan knabbert der Markt noch an den doch relativ leicht verdaulichen Leitzinserhöhungen um 25 Basispunkte von Juni und August 1999.
Gerade bei Hightech-Aktien hat der Markt noch wenig Gefühl, wohin die Reise geht. Viele der Top-Werte wie Sun Microsystems, Intel, Applied Materials oder Altera sind wieder auf oder nahe an ihren alten Jahreshochs. Getrieben von Momentum-Anlegern, die die vor fünf Wochen nach unten geredeten Halbleitertitel wieder zünftig nach oben zocken - nachdem der gleiche Analyst, der behauptet hatte, der Halbleiterzyklus hätte seine Spitze erreicht, sich in seiner Einschätzung um 180 Grad gedreht hat.
Wie sensitiv der Markt reagiert und auf welch unsicheren Füßen die Halbleiter-Rally steht, ist schon daran zu erkennen, dass am Montag Gewinnmitnahmen auf breiter Front bei den "Semi" erfolgten: Texas Instruments, Altera und Conexant Systems fallen um vier Prozent.
Die größeren Zinsbrocken haben die Wirtschaft noch nicht mit voller Wucht getroffen. Weitere Opfer und Nachbeben sind zu erwarten. In der Regel dauert es fünf oder sechs Quartale - bei manchen Firmen sogar acht -, bis die Zinsveränderungen der Notenbank als Gewinnreduzierung sichtbar werden. Die Zinsanhebungen im November 1999, im Februar und März 2000 und die aggressive Erhöhung im Mai schweben noch über der US-Wirtschaft, deren Auswirkungen an den Technologiefirmen nicht vorbeigehen werden.
Die Fed hielt diese Maßnahme für absolut notwendig, um der Inflation, die nach einer so komplexen Expansion - die US-Wirtschaft wächst seit einem Rekordzeitraum von 113 Monaten - entstehen kann, das Wasser abzugraben. Böse Zungen behaupten zudem, Greenspan habe es auf den Aktienmarkt abgesehen, der - wenn man so will - den stärksten Inflationseffekt zeigt.
Seit Oktober 1998 hat sich die Nasdaq von 1771 Zählern auf das in diesem Jahr bereits reduzierte Niveau von 3950 Punkten mehr als verdoppelt. Die Erträge konnten bei diesem Tempo nicht Schritt halten, Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) von 100 und mehr für prognostizierte 2001- Ergebnisse sind keine Seltenheit.
Wer heute in Titel wie den Fiber-Channel-Switch-Anbieter Brocade Communications investiert, muss sich auf ein KGV für 2001 von 238 gefasst machen. Selbst "alteingesessene" Internet-Titel wie Ebay (erwartetes KGV 2001: 155) oder Yahoo (KGV 2001: 224) notieren immer noch "inflationär". Die Prognose der Bären ist dementsprechend finster. Sie rechnen mit einer Verlangsamung der Wirtschaft, deren Anzeichen schon erkennbar sind, bis ins vierte Quartal 2001.
Der Index, der den Bau von Eigenheimen widerspiegelt, fällt im Juli zum dritten Mal hintereinander. Für Aktien bedeutet das, dass die Verlangsamung der Wirtschaft erst noch eingepreist werden muss.
Zwölf Monate, nachdem die Fed ein Ende der Zinssteigerungen ankündigen wird, geht der Run auf Aktien wieder los, prognostiziert der Direktor des Wirtschafts-Forschungsinstitut H&C Wainright - bis dahin können Sie sich seiner Ansicht nach getrost zurücklehnen. Möglich wäre auch, dass die Nasdaq noch eine weitere kräftige Korrektur fabriziert, wenn die Unternehmensgewinne nicht mehr wie gewohnt wachsen. Das könnte für so manche hoch bewertete Aktie ein Schlag in die Magengrube sein.
Nein, warten Sie, springen sie noch nicht aus dem Fenster. Sie sollten nur rechtzeitig Ihre Strategie überdenken. Bisher war der Markt, nachdem der Zinserhöhungs-Spuk vorbei war, immer in der Lage, verlorenen Boden wieder gut zu machen. Lassen Sie sich von einer "Befreiungsrally", die von einer Fed-Entscheidung, die Zinsen nicht zu erhöhen, ausgelöst werden könnte, nicht beeindrucken.
Die Chancen, dass sie schnell wieder verebbt, sind hoch. Sorgen Sie stattdessen vor und verkaufen Sie "in die Stärke hinein": Nehmen Sie Gewinne mit bei Aktien mit hohen Bewertungen (KGV für 2001 höher als 120) oder ohne Ertragsaussichten im kommenden Jahr. Setzen Sie enge Stoppkurse, damit Sie nicht von Kursrückgängen überrascht werden, und vor allem: Lassen Sie es nicht zu, dass aus Ihren Gewinnen von 20 Prozent oder mehr plötzlich Verluste entstehen.
Sinkende Kurse bringen mit dieser Strategie keinen Verdruss. Im Gegenteil, wenn es dann wieder aufwärts geht, kommt die richtige Stimmung auf: Historisch gesehen brachte der US-Aktienmarkt überdurchschnittliche Renditen im Jahr nach Beendigung der Zinserhöhungen - auch dann, wenn die Fed die Zinsen nicht zurücknahm. Dieser Marktmechanismus lässt sich bis 1950 zurückverfolgen. Technologieaktien werden die Ersten sein, die den Markt wieder nach oben hieven.
buona notte preisfuchs
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