Grand Prix 2007: Die Rückkehr der Melodie13. Mai 12:08
| Marija Serifovic siegt mit einem Schmachtfetzen für Serbien. | Foto: AP |
| Dass man ohne Pyrotechnik oder halbnackte Tänzerinnen den Eurovision Song Contest gewinnen kann, bewies eine junge Serbin. Matthias Breitinger hat für das West-Debakel mehr als nur eine Erklärung. Immerhin: Eine schlichte, aber wuchtige Ballade, ohne nacktes Bein oder aufwändige Pyrotechnik, hat sich am Samstagabend nach einigen Jahren großen Brimboriums beim Eurovision Song Contest 2007 durchgesetzt. Nicht nur bei den Fans des noch heute gern als Grand Prix betitelten Wettbewerbs, sondern auch bei so manchem nach Helsinki gereisten Journalisten dürfte Zufriedenheit herrschen: Endlich hat sich mal wieder ein Lied durchgesetzt, nicht eine Show – noch dazu mal nicht in Englisch. Die Freude über den überfälligen Sieg einer Ballade beim Eurovision Song Contest ist indes getrübt, zumindest in vielen westeuropäischen Ländern. Die finden sich nämlich im Ranking, wenn überhaupt, nur weit hinten wieder. Auch der deutsche Kandidat Roger Cicero konnte in seinem schneeweißen Anzug mit passendem Hut swingen, so viel er wollte – sein Bekenntnis zur Frauen-Herrschaft, so stimmlich sicher und souverän der 36-Jährige es auch präsentierte, landete schließlich nur auf Platz 19, trotz je sieben Punkten aus Österreich und der Schweiz, aber keinen Punkten aus Osteuropa. «Enttäuscht» zeigte sich der Sänger nach dem Ende des Finales in der ARD: «Dass es doch so extrem ausgeht, damit hätte ich persönlich jetzt doch nicht ganz gerechnet.» Trauer und Ärger im Westen | Roger Ciceros Swing war nicht gefragt. | Foto: AP |
| Doch mit Rang 19 zählte die vielleicht etwas zu biedere deutsche Swing-Nummer neben Gastgeber Finnland (17. Platz) noch zu den Bestplatzierten aus dem alten Europa, von der Türkei und Griechenland einmal abgesehen. Entsprechend tief sitzt die Enttäuschung bei vielen Westlern, ihr Ruf nach Veränderungen im Abstimmungs-Reglement hallte schon kurz nach Ende des Abends in die dunkle finnische Nacht von Helsinki. Sehr schnell war das alte Argument der bösen Nachbarschafts-Votings wieder zur Hand. Das ist angesichts von Höchstpunkten von Weißrussland an Russland, von Mazedonien an Serbien oder von Moldawien an Rumänien sicherlich nicht von der Hand zu weisen – was aber eben auch daran liegt, dass etwa ein rumänischer Künstler angesichts der Größe seines Heimatmarkts natürlich auch im benachbarten Moldawien auf Bühnen spielt und CDs verkauft. Zu den Bruder-Staaten gesellen sich beim ESC seit vielen Jahren die Emigranten-Votings: Auch Deutschland vergab seine zwölf Punkte wieder einmal an die Türkei, was angesichts der von einem Sven-Ottke-Double im Zirkusdirektor-Jackett vorgetragenen mittelmäßigen Justin-Timberlake-Nummer doch ein wenig überrascht. Doch aller Klagen über Nachbar-Votings zum Trotz: Die siegende Serbin bekam von 37 der 42 Teilnehmerländer Punkte, neun Mal hagelte es die Höchstwertung: «Serbia, twelve points!» | Zirkus oder Harem? Türkischer Sänger Kenan Dogulu | Foto: AP |
| Dass Nationen wie Frankreich, Irland und Großbritannien, die die letzten Plätze unter sich ausmachten, so grandios abschmierten, haben die Teilnehmer zudem auch sich selbst zuzuschreiben. Die irische Folk-Gruppe Dervish wirkte auf der Bühne wie Musiker aus der Fußgängerzone, und Sängerin Cathy Jordan blickte dermaßen hilflos in die Kamera, dass höchstens mit Mitleidspunkten zu rechnen war. Die Show der französischen Rockgruppe Les Fatals Picards war zu chaotisch, der glatzköpfige Sänger im rosa Blazer wohl ein wenig zu tuntig. Und über den peinlichen Auftritt der britischen Trashpop-Gruppe Scooch, die in Stewardessen-Outfit zum «Eurovision Flight» einluden, breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Ungarischer Blues kam an Dabei bewies die Ungarin Magdi Ruzsa, dass es zu einer guten Platzierung beim Grand Prix gar nicht vieles bedarf, noch nicht einmal Glitzerfummel oder irrer Showeffekte. Die 21-Jährige trat ganz unprätentiös in Jeans und ärmellosem weißem Top auf und wartete mit einer kräftigen Stimme und einem für den Wettbewerb ungewöhnlichen Blues auf, den das TV-Publikum schließlich auf Platz 9 wählte. | Sänger Ola Salo (r.) von der schwedischen Band The Ark mit Glitter-Lätzchen | Foto: AP |
| Doch darüber hinaus war der Eurovision Song Contest auch in diesem Jahr kein Hort des Innovativen: Schweden schickte die Band The Ark, die 70er-Glam-Rock à la T. Rex und The Sweet bot und bei der sich der Zuschauer vor allem über das Pailletten-Lätzchen des Sängers wunderte, lettische Operntenöre in Jackett, Jeans und Zylinder knödelten mit Rosen in der Hand einen italienischen Schlager, der schon beim Grand Prix 1985 altbacken geklungen hätte, und Spanien hat das Ende des Boyband-Zeitalters noch nicht mitbekommen und wurde dafür mit Rang 20 abgestraft, zumal die vier Jungs in weißen Hosen und Shirts den einen oder anderen Ton nicht trafen. Was durchaus nicht zum Misserfolg beitragen muss, wenn die Nachbarländer weghören oder dennoch anrufen: Trotz einer ganzen Reihe schiefer Töne schaffte es der Weißrusse Koldun mit seiner bei der James-Bond-Titelmelodie abgekupferten Popnummer «Work your magic» auf Rang sechs, knapp vor dem Griechen Sarbel, der sich offenbar auch mehr auf sein Hüftschütteln als auf saubere Töne konzentrierte. Nicht der einzige, der für seine Show belohnt wurde: Grand-Prix-Newcomer Georgien landete dank Säbeltanz mit einer musikalisch an Björk erinnernden Gesangsdarbietung im Mittelfeld. Opernlady mit LED Wer nach dem Sieg der finnischen Grusel-Hardrocker Lordi 2006 nun einen Rock-Trend vermutet hätte, lag falsch: Einige gitarrenlastige Songs waren im Halbfinale schon ausgeschieden, die übrigen blieben am Samstagabend auf der Strecke: Hanna aus Finnland dürfte vor allem mit ihrem Grufti-Outfit abgeschreckt haben, die moldawische Rockerbraut Natalia Barbu bot im Netzhemd vor allem deutliche Einblicke – die Hose hätte kaum tiefer sitzen können. Ansonsten dürfte dem Zuschauer nur wenig vom ersten Grand Prix in Finnland in Erinnerung bleiben. Doch: ein roter Baum, an den sich Klopapierreste verirrt haben (Armenien), eine slowenische Diva aus dem «Phantom der Oper», die sich mit Leuchtdioden in der Handfläche das eigene Gesicht anstrahlte, und eine Bosnierin als Tannenbaum. | Bosnierin Marija Sestic im Tannenbaum-Outfit | Foto: AP |
| Apropos Tannenbaum: Der Weihnachtsmann durfte bei der Show nicht fehlen – der wohnt bekanntermaßen in Lappland, zumindest für die Finnen. Er läutete für das sympathische Moderatoren-Duo das 15-minütige Televoting ein. Auch sonst boten die finnischen Gastgeber eine unterhaltsame Show, eingeleitet mit einem Bombastauftritt von Vorjahressieger Lordi. Dass sie nicht die einzigen Rocker Finnlands sind, zeigte der Pausenact während der Stimmauszählung: Zu den Klängen der heimischen Cello-Rockgruppe Apocalyptica tanzte das Nationalballett und zeigten sich Zirkusartisten am Trapez. Ergebnis des Eurovision Song Contest 2007 | Platz | Land | Lied | Punkte | 1 | Serbien | Molitva (Marija Serifovic) | 268 | 2 | Ukraine | Dancing Lasha Tumbai (Verka Serduchka) | 235 | 3 | Russland | Song #1 (Serebro) | 207 | 4 | Türkei | Shake It Up Shekerim (Kenan Dogulu) | 163 | 5 | Bulgarien | Water (Elitsa Todorova & Stoyan Yankoulov) | 157 | 6 | Weißrussland | Work Your Magic (Koldun) | 145 | 7 | Griechenland | Yassou Maria (Sarbel) | 139 | 8 | Armenien | Anytime You Need (Hayko) | 138 | 9 | Ungarn | Unsubstantial Blues (Magdi Ruzsa) | 128 | 10 | Moldawien | Fight (Natalia Barbu) | 109 | 11 | Bosnien-Herzegowina | Rijeka bez imena (Marija Sestic) | 106 | 12 | Georgien | Visionary Dream (Sopho) | 97 | 13 | Rumänien | Liubi, liubi, I Love You (Todomondo) | 84 | 14 | Mazedonien | Mojot svet (Karolina) | 73 | 15 | Slowenien | Cvet z juga (Alenka Gotar) | 66 | 16 | Lettland | Questa notte (Bonaparti.lv) | 54 | 17 | Finnland | Leave Me Alone (Hanna Pakarinen) | 53 | 18 | Schweden | The Worrying Kind (The Ark) | 51 | 19 | Deutschland | Frauen regier'n die Welt (Roger Cicero) | 49 | 20 | Spanien | I Love You Mi Vida (D'Nash) | 43 | 21 | Litauen | Love Or Leave (The 4Fun) | 28 | 22 | Frankreich | L'amour à la française (Les Fatals Picards) | 19 | 23 | Großbritannien | Flying The Flag (Scooch) | 19 | 24 | Irland | They Can't Stop The Spring (Dervish) | 5 | Quelle: www.eurovision.tv |
Die Show vor 9000 Fans in der Hartwall Areena und 100 Millionen Fernsehzuschauern in aller Welt muss nun das serbische Fernsehen, das bei seiner ersten eigenständigen Grand-Prix-Teilnahme nach der Abtrennung Montenegros gleich einen Sieg eingefahren hat, erst einmal toppen. Siegerin Marija Serifovic lud auf ihrer Pressekonferenz im Anschluss an den Triumph Europa nach Belgrad ein – und nutzte die Chance, um daran zu erinnern, wie sie gewonnen hatte: mit starker Stimme und ohne Firlefanz. «Ich hoffe, der nächste Grand Prix in Belgrad wird ein Lieder-Wettbewerb», sagte die 22-Jährige. «Ich mag es, Musik zu hören, nicht sie anzuschauen.» Und gerade den westeuropäischen Ländern, die mit Ausnahme der Big Four – Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien – nun alle ins Halbfinale müssen, riet sie: «Schreibt und singt einfach gute Songs.» Wenn es nur so einfach wäre. Doch so eindeutig war der Sieg von Marija Serifovic mit ihrem schwermütigen Balkan-Schmachtfetzen «Molitva» (Gebet) nicht. Bis zum Schluss lieferte sich die unscheinbare Serbin mit der Nana-Mouskouri-Gedächtnisbrille ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der skurrilen ukrainischen Kunstfigur Verka Serduchka, die wie ein Duracell-Häschen auf Speed mit riesigem Glitzerstern auf dem Kopf eine Gute-Laune-Nonsens-Polka mit den tiefschürfenden deutschen Worten «Sieben sieben ai lju lju, sieben, sieben, eins, zwei» präsentierte. Ebenfalls hart im Rennen um die europäische Musikkrone: das russische Mädchentrio Serebro, das in Schuluniformen eine Popnummer aus Britney Spears und Sugababes zum Besten gab. |