Neue Steuer schadet Aktienkultur
Die Koalition hat Details zur geplanten unbegrenzten Steuerpflicht für Kursgewinne genannt. Anlegerschützer fürchten Schäden für die Aktienkultur. Der Plan widerspreche dem Ziel der Riester-Rente, das Wertpapiersparen fürs Alter zu fördern. Aktien würden gegenüber Lebensversicherungen und selbst genutzten Immobilien benachteiligt.
HANDELSBLATT, 16.10.2002
nac/uhl/tmo DÜSSELDORF/BERLIN/ FRANKFURT/M. Anlegervertreter und Finanzexperten haben die Pläne für eine unbefristete Spekulationssteuer kritisiert. ?Wie kann man zuerst mit der Riester-Rente versuchen, die Leute zur eigenständigen Altersvorsorge über Wertpapiere zu erziehen, und sie dann mit einer solchen Steuer bestrafen?? fragte Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Die Pläne seien ein harter Schlag für die ohnehin fragile deutsche Aktienkultur, der zudem zum ungünstigsten Zeitpunkt komme. ?Das Vertrauen der Anleger ist auf dem Tiefpunkt.? Ähnlich äußerten sich der Bundesverband deutscher Banken und das Deutsche Aktieninstitut.
Chefvolkswirt Ulrich Berz von Union Investment, dem drittgrößten deutschen Fondshaus, rechnet mit Ausnahmeregeln für fondsgebundene Riester-Produkte. ?Sonst kann man das Riester-Projekt gleich streichen.? Noch ist unklar, ob für Investmentfonds ? wie bislang ? Ausnahmen gelten. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte gestern, solche Einzelheiten würden bis zur Kabinettsentscheidung geklärt. Diese erfolgt voraussichtlich am 20. November.
Die generelle Steuerpflicht für Wertpapierverkäufe soll rückwirkend eingeführt werden. Das stellte gestern die parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) klar. Wer zum Beispiel vor 30 Jahren Aktien gekauft habe und diese nach Inkraften der Neuregelung verkaufe, müsse den Veräußerungsgewinn mit seinem individuellen Steuersatz voll versteuern. Hocker hält diese Rückwirkung für verfassungsrechtlich bedenklich. Man müsse abwarten, wie über diese Problematik bei der Steuerpflicht für so genannte ?wesentliche Beteiligungen? entschieden werde. Bislang waren Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren steuerfrei, wenn zwischen Kauf und Verkauf mindestens zwölf Monate lagen. Laut Hendricks sollen die Banken künftig wie bei Kapitalerträgen über jeden Wertpapierverkauf ihrer Kunden Kontrollmitteilungen ans Finanzamt schicken. Verluste aus Wertpapiergeschäften könnten verrechnet werden ? aber nur mit realisierten Kursgewinnen, nicht etwa mit anderen Einkunftsarten wie Arbeitseinkommen oder Mieteinnahmen.
Union-Chefvolkswirt Berz bemängelt die ungleiche Besteuerung von Aktienanlage und anderen Formen der Altersvorsorge. ?Gewinne aus Lebensversicherungen und selbst genutzten Immobilien bleiben steuerfrei, Aktien sind dadurch benachteiligt.? Für nicht selbst genutzte Immobilien will Rot-Grün dagegen wie bei Aktien eine unbefristete Steuerpflicht einführen. Großer Gewinner ist nach bisherigem Stand die Lebensversicherung, deren Erträge weiterhin nach zwölf Jahren steuerfrei sind. Analyst Carsten Zielke (WestLB) bezeichnete die Steuerpläne als ?gute Nachricht für Lebensversicherer?, die denn auch zu den Tagesgewinnern an der Börse zählten. Indirekt profitieren auch so genannte Finanzinnovationen. Das sind Anlageprodukte mit Kapitalgarantie, deren Besteuerung künftig mit Aktienprodukten gleichgestellt wird.
Der deutsche Aktienmarkt insgesamt dürfte indes unter den Regierungsplänen leiden, schätzt Deutsche- Bank-Experte Bernd Meyer: ?Die höhere Steuerlast könnte zu einer niedrigeren Bewertung führen.?
HANDELSBLATT, Mittwoch, 16. Oktober 2002, 06:02 Uhr
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