Vielen wird es schlechter gehen
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich ohne Not in die Ecke manövriert. Er hat ein Versprechen gegeben, das sich nicht einhalten lässt. Niemandem solle es nach der Flut materiell schlechter gehen als vorher, hat der Kanzler erklärt und erweckte in Dresden, Grimma und Bitterfeld die Hoffnung auf allumfassende Hilfen. In ein paar Jahren könnte es jedoch so aussehen: Viele Privatleute haben ihre Häuser wieder aufgebaut, viele Betriebe das Gröbste überstanden. Doch man wird nicht lange suchen müssen, um Gegenbeispiele zu finden: Leute, die früher ein Reihenhaus bewohnten und nun im Plattenbau leben, einst selbstständige Handwerker, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten.
Nicht wenigen Leuten vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt wird es auf die Dauer schlechter gehen als vorher. Denn die Schäden der Flut sind zu groß. Schon jetzt klafft eine Finanzlücke zwischen dem staatlichen Hilfsprogramm und den Kosten, die Versicherungen und die EU-Kommission voraussehen. Während Rot-Grün 10 Milliarden Euro aufbringt, sollen die Gesamtschäden 15 Milliarden betragen. Niemand erweckt zurzeit den Anschein, diese Lücke schließen zu wollen - nicht einmal die Union, die Schröders misslungenes Versprechen zu Recht kritisiert. Und die Chancen, demnächst noch mehr Geld für die Opfer der Flut einzusammeln, dürften sinken. Die Solidarität derjenigen, die die Ereignisse nur am Bildschirm verfolgt haben, hat Grenzen. Was jetzt gerade noch akzeptabel erscheint, ist in Kürze nicht mehr möglich - andere Sorgen werden dominieren.
Hinzu kommen ganz alltägliche Probleme. Mancher Betrieb bleibt geschlossen, weil die Hausbank alte Kredite nicht annulliert, die der Meister nun nicht mehr bezahlen kann. Große Teile der privaten Verpflichtungen abzudecken, ist die öffentliche Hand aber wegen Geldmangels gar nicht in der Lage.
Schröders Äußerung erinnert fatal an die Ansage, die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2002 auf 3,5 Millionen zu reduzieren - oder auch an das Kohlsche Diktum von den "blühenden Landschaften". Jeder lacht, wenn die Sprache darauf kommt. Dass er einen Fehler gemacht hat, ist dem Kanzler inzwischen klar geworden. Während seiner gestrigen Regierungserklärung räumte er ein, dass es zu "Härten" kommen könne. Trotz dieser verspäteten Einschränkung wird Schröder an seiner ursprünglichen Aussage gemessen werden. Sein Glück, dass sich erst nach dem Wahltag erweisen wird, wie falsch sie ist.
taz Nr. 6840 vom 30.8.2002, Seite 1, 85 Zeilen (Kommentar), HANNES KOCH, Leitartikel
Da sag' ich nur: "taz muss sein!"
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