Turbulenzen in Schröders Kabinett: Wer geht? Wer bleibt? Wer kommt? Der Kanzler setzte ein munteres Minister-Raten in Gang. Im SPD-Parteivorstand hatte sich der Scherz schnell herumgesprochen, auch der Kanzler kennt ihn: Clinton, Putin und Schröder tauschen beim Gipfeltreffen ihre Sorgen aus. Putin stöhnt auf: Ich habe 14 Leibwächter. Einer will mich erschießen, ich weiß nur nicht, welcher. Clintons Problem: Ich habe 14 Praktikantinnen. Eine ist HIV-positiv, ich weiß nur nicht, welche. Schließlich Schröder: Ich habe 14 Minister. Einer von ihnen ist richtig gut, ich weiß nur nicht, welcher.
Was in der Parteispitze seit längerem schon milden Spott auslöst, bewegte nun auch die Republik: Die Leistungsträger des Schröder-Kabinetts sind offenkundig an einer Hand abzuzählen.
Gerade mal vier Namen fielen dem Kanzler ein, als er vergangenen Montag im ZDF zu den Spitzenkräften seines Kabinetts befragt wurde: Kassenwart Hans Eichel und Sicherheitsexperte Otto Schily - und weil es in der Quotenwelt der Sozialdemokraten gerecht zugehen muss auch noch Bildungsfrau Edelgard Bulmahn und Entwicklungshelferin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Das zu erwartende Ergebnis: Die nicht genannten SPD-Minister fühlten sich zutiefst düpiert. Als Untote stehen sie nun in der Parteienlandschaft, sie sollen einen Wahlkampf führen, obwohl es für sie offenbar nichts mehr zu gewinnen gibt.
Dabei hatte sich Schröder, trotz Umfragetief und Stimmungsloch, strikt Kontinuität verordnet. Eine Kabinettsumbildung gilt intern als ausgeschlossen, eine neue Kerntruppe, vergleichbar dem Unions-Kompetenzteam, sollte bewusst nicht präsentiert werden.
Noch am gleichen Abend, bei einer Parteikonferenz im Berliner Willy-Brandt-Haus, bemühte sich der Kabinettschef um die gekränkten Seelen. Als Ersten nahm er den verdatterten Arbeitsminister Walter Riester zur Seite: "Walter, nimm das nicht so ernst, das ging nicht gegen dich."
"Ein kapitaler Fehler", grollte unterdessen auch ein Berater von Herta Däubler-Gmelin. Die streitbare und fachlich unumstrittene Justizministerin habe ein Recht auf Klarheit, meinten viele in der SPD-Spitze, schließlich auch Schröder. Bei Innenminister Otto Schily gehe alles rechtsstaatlich zu, so der Kanzler auf der internen Parteisitzung, "da passt Herta schon auf, und das ist auch gut so".
Auch andere mussten angesichts der bedrohlichen Debatte schnell belobigt werden - selbst Pechvogel Rudolf Scharping. Er habe sich gerade in Kabul aufgehalten, so Schröder, und dort gesehen, wie schwierig der Auftrag der Bundeswehr zu erfüllen sei. Und dann die Enthüllung: "Der Rudolf macht einen guten Job."
Verursacht hatte das Tohuwabohu ausgerechnet Edmund Stoiber. Mit Lothar Späth als Kandidaten für ein künftiges Superministerium, das Wirtschaft und Arbeit zusammenfassen soll, setzte er den Kanzler unter Druck: Der wollte den Vorwurf, auf seiner Regierungsbank seien vor allem Nieten versammelt, nicht akzeptieren und zählte folglich seine Aktivposten auf.
Nach der vorschnellen Bekanntgabe dann die Demutsgeste für die Nichtgenannten, die Vergessenen und die absichtsvoll Verschwiegenen. "Wenn ich einige erwähne, ist das nicht gegen die anderen gerichtet", schwor der Kanzler. Er könne nicht in "einsdreißig immer alle Minister nennen".
Dabei steht längst fest: Würde Schröder am 22. September tatsächlich noch einmal die Oberhand behalten, werden etliche Kabinettskollegen dem Team nicht mehr angehören. So könnte für den unauffälligen Ost-Beauftragten der Regierung, Staatsminister Rolf Schwanitz (SPD-Spott "Schwantnix"), der Banker und Finanzexperte Edgar Most ins Kabinett einziehen. Der 62-jährige Thüringer gilt unter Ost-Kennern als Fachmann. Von 1974 bis 1990 arbeitete er bei der Staatsbank der DDR - zuletzt als Vizepräsident - und wurde nach der Wende Direktor der Deutschen Bank und Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbands.
Ende März lud ihn der Kanzler zum anderthalbstündigen Privatissimum in Sachen Aufbau Ost - "ein tolles Gespräch", wie sich Most erinnert. Der Kanzler war beeindruckt: So einen könne er gebrauchen, erklärte er im kleinen Kreis. Auch Most kann sich einen Wechsel vorstellen: "Wenn ich dazu beitragen kann, dass der Osten vorankommt - warum nicht?"
So gut wie sicher scheint das Ende von Scharping. Derzeit gilt der Chef des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose, als Alternativbesetzung.
Sorgen muss sich desgleichen Walter Riester machen, der sich aus Schröders Sicht im Gestrüpp der Sozialpolitik verfangen und einen Neuanfang bei der Bundesanstalt für Arbeit erst nach mehrmaliger Ermahnung in Angriff genommen hat.
Des Kanzlers Überlegungen kreisen um den IG-Chemie-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt und den VW-Personalvorstand Peter Hartz. Der leitet derzeit die Kommission zum Umbau der Nürnberger Bundesanstalt und hat sich zudem mit zahlreichen Tarif-Innovationen als Arbeitsmarkt-Reformer profiliert.
Einstweilen müssen die Neuen im Verborgenen wirken: Mosts Ratschläge lässt sich der Kanzler fürs Erste per Fax kommen.
Der Spiegel
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