Während Apple schwächelt, entwickelt sich der koreanische Konzern zum Vorherrscher der Elektronikbranche. Das Unternehmen kämpft mit harten Bandagen, wie Recherchen in Seoul zeigen. Die Fassade hat Symbolcharakter. Von außen ist kein Einblick möglich in das Innere der glitzernden Wolkenkratzer. Die drei Bürotürme des Samsung-Hauptquartiers in Seoul reflektieren den Sonnenschein wie überdimensionale Spiegel. Der Konzern ist das glänzende Prunkstück der gesamten koreanischen Wirtschaft, vielleicht sogar des gesamten Kontinents, aber für Außenstehende absolut undurchsichtig. Samsung schirmt sein Innenleben ab wie die Schweizergarde den Vatikan. Kein Blick fällt hinein, der nicht autorisiert ist, keine Information soll herausschlüpfen, die nicht auf Herz und Nieren geprüft wurde. Die Strategie war lange Teil des Erfolgsrezepts eines Unternehmens, das so viel für das Image Koreas getan hat wie kein anderes. Doch der Preis dafür ist hoch. Das glänzende Bild bekommt Kratzer: Vor der Konzernzentrale protestieren regelmäßig Familienangehörige verstorbener Arbeiter, die über schlechte Arbeitsbedingungen in der Produktion klagen und dem Konzern die Schuld am Tod ihrer Verwandten geben. Zusätzlich ist der interne Druck auf die Mitarbeiter immens, maximale Leistung zu bringen. Ehemalige Angestellte sprechen gegenüber Technology Review von einer Art „Gehirnwäsche“ am Beginn des Arbeitsverhältnisses. Immer wieder werden zudem Vorwürfe erhoben, seine Führungsschicht sei so eng mit der Machtelite des Landes verwoben, die Machtfülle des Konzerns so groß, dass er nahezu unkontrollierbar sei. Und zu guter Letzt will der Verdacht nicht weichen, dass der kometenhafte Aufstieg von Samsung nur möglich gewesen sei, weil die Koreaner die guten Ideen anderer gnadenlos kopieren. Was ist Wahrheit, was lediglich Vorurteil, geboren aus der Angst des Westens vor den Asiaten? Worin also besteht die Methode Samsung? Die nackten Zahlen sprechen dafür, dass sie funktioniert: 56,3 Millionen Mobiltelefone verkaufte Samsung Electronics allein im dritten Quartal 2012. Marktanteil: 31,3 Prozent. Sony Ericsson, Nokia, Google oder LG laufen alle deutlich hinterher. Auch Apple erreicht mit seinen iPhones nicht annähernd diese Größenordnung. In der jährlich vom Marktforschungsinstitut Interbrand veröffentlichten Liste der wertvollsten Marken der Welt belegte die Elektroniksparte des Samsung-Konzerns 2012 erstmals einen Platz in den Top Ten. 32,9 Milliarden US-Dollar ist Samsung Electronics demnach wert – satte 40 Prozent mehr als im Jahr davor. 2011 setzte Samsung Electronics 148,8 Milliarden Dollar um. Bis 2020 sollen es 400 Milliarden Dollar Umsatz jährlich sein. Bis dahin will das Unternehmen sich von Platz neun der Rangliste auf einen Platz in den Top fünf vorgearbeitet haben. „Wir schlagen uns ganz ordentlich zurzeit“, sagt Jeong Jun-ho, als er seinen alten Hyundai aus der Tiefgarage der Samsung-Zentrale steuert. Er ist Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung und macht sich auf den Weg ins Zentrum der Samsung-Forschung nach Suwon. Dort liegt die Digital City, 37 Kilometer südlich der Firmenzentrale in Gangnam. Und dort begann 1969 die Erfolgsgeschichte von Samsung Electronics. 36 Angestellte entwickelten die ersten Schwarz-Weiß-Fernseher und Telefone für den koreanischen Markt. Heute arbeiten knapp 30000 von weltweit 200000 Mitarbeitern in Digital City. Das Gelände ist so groß wie 250 Fußballfelder. 600 firmeneigene Busse pendeln täglich auf Dutzenden Routen zwischen den anliegenden Wohngebieten, der Firmenzentrale im Stadtzentrum und Digital City hin und her. An der Eingangspforte prüft ein Scanner das Kennzeichen des weißen Hyundai. Mitarbeiter plus Gast sind angemeldet. Durchfahrt genehmigt. Fotos verboten. „Das könnte die Sicherheitsleute alarmieren“, sagt Jeong. Offizielle Stellungnahmen sind Jeong nicht erlaubt. Alles, was er sagt, ist als rein privat einzustufen. Vor der Schranke leuchtete der Schriftzug „Digital City“ noch in vielversprechenden bunten Buchstaben. Hinter der Schranke ist zumindest vordergründig nichts mehr von dem Glitzer übrig. Wer sich ein elektronisches Disneyland für Erwachsene oder eine Stadt der Zukunft mit ferngesteuerten Autos und LED-Alleen erhofft, der wird enttäuscht. Dies hier könnte auch ein Werksgelände von Siemens oder Bosch sein. Kein Glanz, kein Glamour, kaum Elektronik. Selbst das Museum, in dem Samsung die Resultate seiner Innovationskraft präsentiert, ist in einem schlichten Flachbau untergebracht. Ein junger Mann namens Jayden führt Besucher vorbei an Fernsehern aus Großmutters Zeiten und den neuesten technischen Errungenschaften aus Digital City. Dazu rasselt er Daten und Zahlen wortgewandt und rasend schnell herunter. Vor dem Smart-TV beispielsweise kann man mit den Armen fuchtelnd aus drei Metern Entfernung das Display bedienen. Marketingexperte Jeong sucht derweil in seinem Samsung Galaxy nach Neuigkeiten. Dann sagt er: „Wir haben so viele Innovationen. Wir müssen mehr Gelegenheiten finden, das auch zu vermitteln.“ Aber das ist natürlich nur seine private Meinung. Jenseits des Museums ist Digital City vor allem eine Kleinstadt mit großzügiger Verkehrsplanung. Es gibt vierspurige Straßen mit Fahrradwegen, Ampelkreuzungen, Fußgängerüberwegen und Bushaltestellen. Die Parkplätze sind voll. Die höchsten Gebäude sind der Forschung und dem Marketing vorbehalten. Ein neuer Klotz befindet sich gerade noch im Bau. Hier werden in Kürze 8000 zusätzliche Mitarbeiter einziehen. Das Gelände bietet darüber hinaus alles, was als Voraussetzung für eine gesunde Work-Life-Balance gilt. Es gibt eine großzügige Parkanlage mit Wiesen, Bäumen und Bänken. Auf einem Fußballplatz kicken an diesem Vormittag zwei Abteilungen gegeneinander. Es gibt Basketballplätze, ein Baseballfeld und drei Fitnessclubs. Den Angestellten stehen an elf Stationen Fahrräder in Pink und Gelb zur Verfügung, um ein bisschen zu radeln in der Mittagspause oder nach Feierabend. In einem Auditorium gibt es wöchentlich Konzerte oder Aufführungen. Für die individuelle Abendgestaltung bietet Samsung Koch- oder Kendokurse, Judo oder Yoga an. In verschiedenen Restaurants kann man Freunde treffen. Den Mitarbeitern hier soll es an nichts fehlen, wenn sie im Kampf mit dem großen Rivalen Apple forschen, entwickeln und vermarkten. Kein Zweifel: Samsung investiert in sein Personal. Wer es nicht an eine der drei Elite-Universitäten Seoul, Koryo oder Yonsei geschafft hat, hat schon bei der Bewerbung schlechte Karten. Die Personalabteilung bedient sich am liebsten bei den Absolventen der Top drei der Hochschulen, deren Anfangsbuchstaben das englische Wort SKY bilden – Himmel. Entsprechend groß ist die Freude derjenigen, die auserwählt werden aus den besten Universitätsabsolventen des Landes, um ihre Dienste dem Konzern zur Verfügung zu stellen. Manche laden wegen einer Anstellung bei Samsung gar Freunde und Nachbarn zu einem Fest ein. „Samsung ist ein guter Deal für die Familie“, sagt ein ehemaliger Angestellter, der trotz seines Lobs lieber anonym bleiben möchte. Das Unternehmen schöpft die Elite des Landes ab, indem es in Korea die höchsten Löhne der freien Wirtschaft zahlt und sich um die soziale Sicherung der Familien kümmert. Im Gegenzug allerdings verlangt der Konzern die widerstandslose Bereitschaft zur Eingliederung in einen Apparat mit strenger Hierarchie und großer Disziplin. Fast jeder Neuzugang absolviert eine Art Trainingscamp, manchmal Wochen, manchmal Monate. Der Wecker klingelt um sechs. Es wird gemeinsam gefrühstückt, es werden Berge erklommen und Lieder einstudiert. „Es ist wie beim Militär. Vor allem die intelligenten Leute sollen dadurch gefügig gemacht werden. Mitdenken ist bei diesem Jobtraining gar nicht nötig“, sagt ein früherer Samsung-Ingenieur, der ebenfalls anonym bleiben will. Auch spätere Entwickler mussten teils wochenlang in der Fabrik mitarbeiten, um die harte Realität eines Fließbandarbeiters kennenzulernen. Einzelne Abteilungen müssen Schauspiele oder Tänze einstudieren und vor Tausenden Mitarbeitern aufführen. Den hochqualifizierten Forschern kann es dabei passieren, dass sie kaum Zeit zum Proben bekommen, weswegen sie meist weit hinten landen im Wettbewerb mit anderen Abteilungen. Die Schmach, zu den Schlechten im Ranking zu gehören, soll sie Demut lehren. Einer, der das Programm durchlaufen hat, erinnert sich, dass er an einem Tag auf offener Straße so viele Tischlampen wie möglich verkaufen musste, um ein Gespür für den Vertrieb zu bekommen. Er versagte völlig und drehte die Lampen aus Angst vor einem Tadel von den Ausbildern kurzerhand seiner eigenen Freundin an. Auch Ausländer müssen ein Trainingsprogramm absolvieren. Ihre Schulungen sind mit den Trainingscamps für die Koreaner allerdings kaum vergleichbar. Denn die bekommen nicht nur fachspezifische und teambildende Maßnahmen, sondern auch Seminare innenpolitischer Natur. Dort wird ihnen eingeimpft, weshalb Konglomerate für Korea wichtig und gut sein sollen. Denn das Thema spaltet die Gesellschaft. Samsung will seine Mitarbeiter auf Linie bringen. „Es ist mehr eine Form der Gehirnwäsche, der man unterzogen wird, als ein Jobtraining“, sagt der Investmentmanager Kim Min-kyu. Zwischen 2004 und 2007 arbeitete er im Forschungszentrum des Konzerns und entwickelte dort hauptsächlich neue Technologien für die Elektroniksparte. Dann stieg er aus. Aus privaten Gründen, wie er sagt. Damit ist er einer der großen Ausnahmen im Samsung-Gefüge. Die klassische Karriere im Unternehmen führt von der Universität bis in die Rente. „Loyalität ist bei Samsung extrem wichtig. Quereinsteiger haben es sehr schwer, aufgenommen zu werden. Man bevorzugt reines Blut“, sagt Chung Dong-uk, ebenfalls ein ehemaliger Samsung-Ingenieur. Diejenigen, die alt werden mit Samsung, stehen ihr Leben lang unter einem großen Erwartungsdruck. Ehemalige Angestellte witzeln darüber, dass bei Samsung selbst in Zeiten steigender Umsätze immer die Krise ausgerufen wird. „Das Leistungsprinzip ist höher als in anderen Unternehmen. Die Mitarbeiter stehen in einem harten Wettkampf miteinander“, sagt ein Ex-Mitarbeiter mit dem Namen Chang Deok-gung, den es inzwischen in die Finanzbranche gezogen hat. Zwar arbeitet Chang mehr Stunden in der Woche als damals bei Samsung, dennoch fühle er sich freier. „Es ist eine Hass-Liebe, die die Koreaner mit Samsung pflegen“, sagt der ehemalige Samsung-Ingenieur Chung Dong-uk. „Einerseits sind sie unglaublich stolz, dass es eines ihrer Unternehmen in der Welt so weit gebracht hat. Andererseits sind ihnen die Größe und der Einfluss suspekt.“ Denn Konzerne wie Samsung steuern fast im Alleingang einzelne Wirtschaftszweige, weil Zulieferer und Kleinbetriebe nahezu alle am Tropf des Riesen hängen. Wer nicht nach der Pfeife von Samsung tanzt, muss damit rechnen, dass seine Geschäfte einbrechen. Schließlich stammt fast ein Fünftel der koreanischen Exporte aus den Werkshallen des Konzerns, der sein Geld bei Weitem nicht nur mit Elektronik verdient. Samsung produziert Küchengeräte und Chemikalien, baut Autos, Häuser und Schiffe. Das Unternehmen verkauft Lebensversicherungen, Vermögensberatung und Marketingstrategien, es betreibt Krankenhäuser und Vergnügungsparks. Konzernchef Lee Kun-hee ist seit 2010 der reichste Mann Südkoreas. Sein Vermögen soll mehr als sieben Milliarden Dollar umfassen. Auch 75 Jahre nach seiner Gründung wird der Konzern noch immer von der Gründerfamilie geführt. Sie soll über ein kompliziertes Geflecht von Beteiligungen an Tochtergesellschaften den gesamten Konzern kontrollieren. Nur so könne Lee seit Jahren ungehindert die Übergabe der Kontrolle an seinen Sohn Lee Jae-yong vorbereiten, monieren Kritiker – obwohl der Sprössling bislang den Beweis schuldig geblieben sei, einen Weltkonzern erfolgreich leiten zu können. Samsung ist mit seiner Struktur in Korea kein Einzelfall. Das wirtschaftliche Leben in dem asiatischen Land beherrschen dynastische Konglomerate. 2010 summierten sich die Netto-Profite der 30 größten unter ihnen auf 40 Prozent des Staatsbudgets. Mittlerweile allerdings regt sich Widerstand gegen diese Riesenkonzerne, bei denen die Gründerfamilien über Generationen die Macht in den Unternehmen verteidigt haben. Diese Macht muss beschnitten werden, fordern die einen. Andere widersprechen vehement: Ohne solche Konglomerate, Chaebol genannt, wäre Korea nicht dort, wo es heute ist. Sie täten dem Land gut. Wie sehr die Menschen das Thema umtreibt, zeigt die Tatsache, dass es sogar im Präsidentschaftswahlkampf vor wenigen Monaten eine große Rolle spielte.
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