Zweites Leben für die Kohlefaser von Uta Deffke (Berlin) Aus leichten Karbonfasern lassen sich energiesparende Flugzeuge wie der A380 und Autos bauen. Jetzt sollen die Hightech-Konstruktionen endlich auch recycelt werden. Die Leichtigkeit, mit der sich der Airbus A380 in die Luft schwingt, erstaunt selbst erfahrene Piloten. Die Flügel und der Rumpf des größten Passagierflugzeugs der Welt bestehen zum großen Teil aus Kohlefaser; noch nie wurden so viele tragende Komponenten aus dem Material gebaut, das leichter ist als Aluminium und so belastbar wie Stahl. Auch der mit Spannung erwartete Konkurrent, der Boeing Dreamliner, wird dank Kohlefaser-Verbundwerkstoffen (CFK) vergleichsweise leicht daherkommen. Schon seit den 80er-Jahren werden Einzelteile aus CFK gefertigt, aber erst jetzt erlebt das teure Material seinen Durchbruch - vor allem die steigenden Treibstoffpreise lassen Ingenieure um jedes Gramm ringen. Auch Automobilingenieure liebäugeln darum mit CFK, doch für den massenhaften Einsatz auf der Straße ist das Material noch nicht reif. Der Preis ist zu hoch, die Fertigung nicht ausgereift. Vor allem aber ist die Entsorgung noch ungeklärt: "Die Altautoverordnung verlangt aber eine stoffliche Wiederverwertung", sagt Axel Hermann, Leiter des privaten Faserinstituts Bremen. "Das ist der entscheidende Schritt, um CFK vermehrt auch im Automobilbau einzusetzen." Der A380 wird in großen Teilen aus Verbundwerkstoffen gefertigt Der Werkstoff der Zukunft ist ein recyclingtechnischer Albtraum: Das Kohlenstoffgarn, ein Bündel Tausender feinster Fasern, wird erst mit einer Haftschicht überzogen und dann zu dichten Geweben verarbeitet, die in ein Bett aus Epoxidharz eingegossen werden. Weltweit arbeiten Forscher an Verfahren, mit denen sich dieser Verbund knacken lässt. In Deutschland glaubt man, einer Lösung sehr nahe zu sein: In Stade hat eine Tochter des europaweit operierenden Entsorgungsunternehmens Karl Meyer eine Pilotanlage in Betrieb genommen. Hinter dem Projekt steht der Verein CFK-Valley Stade, ein Zusammenschluss von 77 Forschungsinstituten und Unternehmen, der im Dunstkreis des Flugzeugbauers Airbus entstanden ist. Jetzt planen die Niedersachsen mit dem Chemiekonzern Dow eine Anlage, die ab 2010 jährlich mehr als 1000 Tonnen schaffen soll. Wie ausgediente Karbonfaser-Bauteile zu neuen Werkstoffen recycelt werden Bereits jetzt fallen in Europa etwa 500 bis 1000 Tonnen CFK-Reste pro Jahr an, vor allem aus Produktionsabfällen. "Das wird in den kommenden fünf bis zehn Jahren erheblich anwachsen", glaubt Oliver Grundmann, Geschäftsführer der Betreiberfirma CFK-Valley Stade Recycling. Der Grund für seinen Optimismus: In Flugzeugen und großen Windkraftanlagen wird mehr CFK verbaut, und mit dem Airbus A310 haben in den nächsten Jahren die ersten Flugzeuge ausgedient, die größere Mengen enthalten. Auf einige Zehntausend Tonnen schätzt Grundmann das jährliche Aufkommen - und spekuliert auf viele Aufträge nicht nur für die Aufbereitungsanlage, sondern auch für den Mutterkonzern, der bei den Betrieben das Einsammeln und den Abtransport der Abfälle organisiert. Bisher wurden CFK-Reste gehäckselt und als Füllstoff im Straßenbau genutzt oder deponiert - das aber ist seit 2005 in der EU verboten, weil sie als organischer Abfall gelten. Alternativ kann CFK verbrannt werden. "Dafür sind die Fasern aber viel zu schade", sagt Karl Schulte. Er gehört zu den Pionieren des CFK-Recyclings und hat an der TU Hamburg-Harburg zusammen mit seinem Kollegen Hans Ahlborn ein Verfahren entwickelt, das nun in Stade industriell umgesetzt wird. Um den extrem stabilen Verbund aus Fasern und Epoxidharz zu lösen, werden die zerhäckselten CFK-Bauteile auf Temperaturen von 400 bis über 1000 Grad Celsius erhitzt. Dabei verdampft das Epoxidharz von den Gewebestücken. Weil die nackten Kohlenstofffasern nicht mit Sauerstoff in Berührung kommen dürfen, ist bei diesem Pyrolyse genannten Vorgang der Ofen mit einem Schutzgas gefüllt. Der Harzdampf wird abgeführt, er kann verbrannt werden oder als Ausgangsstoff für neue Kunststoffe dienen. "Die Kunst liegt darin, den Prozess so zu gestalten, dass die Fasern nicht geschädigt werden", sagt Schulte. Mit welchen Temperaturen und Schutzgasen die Stader ihre Fasern rückstandslos freilegen wollen, ist Gegenstand einer Patentanmeldung - ebenso wie das Verfahren, mit dem die Gewebestücke aufgetrennt werden, ohne dass dabei das Garn in die vielen Tausend Einzelfasern zerfällt. Sie würden zu Wollmäusen verklumpen, das Material wäre unbrauchbar. Die gereinigten Garnstücke seien so gut wie neu, sagt Schulte, aber nicht fest und lang genug, um daraus wieder Gewebe zu machen. Sie können aber verschiedenen Kunststoffen beigemischt werden. Die sind zwar nicht ganz so robust wie frische CFK-Werkstoffe, aber deutlich billiger. Damit könnten aus der leichten Kohlefaser Bauteile hergestellt werden, für die sie bisher zu teuer war: Die Innenverkleidung von Flugzeugen, Benzinpumpen, Spiegel oder Schiebedächer im Auto, Roboterarme im Maschinenbau. Weil Kohlefasern Strom leiten, können daraus auch abschirmende Kunststoffgehäuse gebaut werden, zum Beispiel für medizintechnische Geräte. "Der Markt muss allerdings noch weiterentwickelt werden", sagt Grundmann. Leicht wie Kohle | Garn Kohlenstoff- oder Karbonfasern sind rund zehnmal so dünn wie ein Haar. Um daraus Bauteile fertigen zu können, werden mehrere Tausend Fasern gebündelt und auf Spulen aufgewickelt. | Einlage Dieses Garn, auch Roving genannt, wird zu Matten gewoben und in Kunststoff eingegossen. Daraus lassen sich große Bauteile wie Flugzeugtragflächen oder Autokarosserien (Monocoques) herstellen, die extrem leicht und stabil sind. | Nische Kohlefaser wird vor allem dort eingesetzt, wo jedes Gramm zählt und der Preis zweitrangig ist, zum Beispiel in der Raumfahrt, der Formel 1, im Profiradsport. Ingenieure nutzen das Material aber beispielsweise auch am Bau als Ersatz für Stahlträger oder um spritsparende Lkw-Anhänger zu konstruieren. | "Mit der Recycling-Option wird CFK auch für Volkswagen attraktiv", sagt Ines Roessler, Konzernsprecherin für Umwelt. Bisher setzt VW den Werkstoff erst bei hochpreisigen Marken wie Lamborghini, Bugatti und im Audi A8 ein. Künftig wolle man in Stade recyceln lassen und das aufbereitete Material nutzen. Airbus hat einen Zehn-Jahres-Vertrag über die Entsorgung von Produktionsabfällen und Flugzeugbauteilen abgeschlossen. Boeing engagiert sich ebenfalls in Recyclingprojekten. Zusammen mit dem US-Unternehmen Adherent Technologies erprobt der Konzern einen Prozess, bei dem die Matten mit Chemikalien aufgelöst werden. Und 2009 soll in Italien eine Pyrolyse-Anlage mit einem jährlichen Durchsatz von 1000 Tonnen in Betrieb gehen. Partner sind unter anderem die italienische Alenia Aeronautica und Milled Carbon aus England. Weltweit seien viele Firmen dabei, chemische oder pyrolytische Recyclingverfahren zu entwickeln, sagt Schulte: "Die meisten sind jetzt auf dem Sprung in den industriellen Maßstab." Aus der FTD vom 01.09.2008 © 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: French Frogs Aviation Pictures, FTD.de
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