Auch wenn der nominale Zins bei null liegt, kann der reale, also inflationsbereinigte Zins durchaus noch positiv sein, dann nämlich, wenn die Preise fallen. Für die Notenbanken ist das ein Horrorszenario, weil sie dabei die Kontrolle über den realen Zins verlieren. "Während der großen Depression fiel das Preisniveau in den USA um 25 Prozent", ruft Kevin Gaynor von der Royal Bank of Scotland in Erinnerung: "Die Wirtschaft schrumpfte und gleichzeitig stiegen die realen Kapitalkosten - das Gegenteil von dem, was man sich wünschen würde."
Viele Ökonomen sagen den USA bereits 2009 eine negative Inflationsrate voraus, die Deutsche Bank etwa rechnet mit minus 0,4 Prozent. Deflation ist das noch nicht: Dafür müsste der Preisverfall nachhaltig sein und in die Erwartungen für die Zukunft eingehen. Doch ausgeschlossen ist es nicht, dass es dazu kommt, zumal nicht in einer Situation, in der die Wirtschaft trotz staatlicher Gegenmaßnahmen immer tiefer in den Abwärtsstrudel zu geraten scheint.
In der Deflation führt ein Teufelskreis von sinkender Nachfrage, sinkenden Gewinnen, rückläufiger Kreditvergabe sowie steigender Arbeitslosigkeit zu immer weiteren Preisrückgängen. Das ist fatal für alle, die hochverschuldet sind, weil ihre Schuld in realer Rechnung immer größer wird. Es lähmt die gesamte Wirtschaft nachhaltig, wenn die Schuldner auf schleichende, inflatorische Entwertung ihrer Schuld eingestellt waren und nun in Schwierigkeiten kommen.
Der heutige Chef der Federal Reserve, Ben Bernanke, hat seinen akademischen Ökonomenruhm vor allem durch seine Auseinandersetzung mit der großen Depression erworben. Wenn jemand in der Welt diese Gefahr ernst nimmt und weiß, was eine Zentralbank dagegen tun kann, dann er. Die Blaupause dafür hat Bernanke bereits vor sechs Jahren in einem Aufsatz geliefert: Die Notenbank müsste in einem solchen Szenario jede Menge Geld drucken und damit Anleihen kaufen, um nicht nur den kurzfristigen Zins, sondern auch den langfristigen sehr niedrig zu halten und so die Kreditvergabe zu fördern.
Doch sicher ist hier der Erfolg keineswegs: Das viele neue Geld könnte in einer "Liquiditätsfalle" versacken und stünde für die Vergabe von Krediten anders als beabsichtigt nicht zur Verfügung. Diese Einschätzung vertrat etwa John Maynard Keynes, der von der großen Depression inspirierte große Theoretiker der antizyklischen Konjunkturpolitik. Er sah die Gefahr, dass die Liquidität bei den Banken versackt, weil diese in der Krise Verluste fürchten und das Geld nicht weitergeben - ein Risiko, das in unseren Tagen ganz offensichtlich besteht: So legen die Banken im Euro-Raum einen großen Teil der von der EZB zur Verfügung gestellten Liquidität ganz einfach wieder bei der EZB an. Keynes setzte daher auf staatliche Ausgabenprogramme als Hauptinstrument zur Rezessionsbekämpfung.
Keynes monetaristischer Gegenspieler Milton Friedman prägte den Begriff des "Helikoptergeldes" als Möglichkeit, das Problem zu lösen. Die Notenbank könne Geldgeschenke an die Bürger verteilen, um die Banken zu umgehen, sie könnte quasi Geld vom Helikopter verstreuen. So lässt sich auch interpretieren, was die Federal Reserve bereits tut: Sie hat ihre Bilanz durch Drucken von Geld von knapp einer auf über zwei Billionen Dollar ausgeweitet, Tendenz steigend. Damit kauft sie nicht etwa Staatspapiere, sondern Schuldverschreibungen von Unternehmen und Wertpapiere, die auf Immobilienkrediten basieren. Das wirkt etwa so, als wenn sie den Unternehmen und Häuslebauern selbst vergünstigte Kredite geben würde. Wenn die Banken die niedrigen Zinsen der Notenbank nicht per Kredit weitergeben, tut sie es eben selbst.
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