Nach dem Wahlsonntag SPD - Reif für die Intensivstation
Die SPD steht ratlos vor den Trümmern ihrer Wahlergebnisse, bei der Europawahl haben die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren. Die CDU sieht Vorboten der Wende. nif/hol/gras/rkl Draußen vor dem Willy-Brandt-Haus, wo sich die SPD am Sonntagabend ihrem Debakel stellte, stand ein Rettungswagen des Arbeiter-Samariter-Bundes. Mehr Symbolik brauchte es nicht, um die Lage der Partei zu charakterisieren. Drinnen stand Generalsekretär Klaus Uwe Benneter und sprach von einer ?bitteren Niederlage? ? aber das reicht nicht, um das Desaster zu beschreiben, das die Sozialdemokraten an diesem Abend erlebt haben. Bei der Europawahl hat die SPD ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren. Und in Thüringen hat sie noch einmal verloren, wo eigentlich gar nichts mehr zu verlieren war. Eine Partei, fällig für die Intensivstation. Es sei nicht gelungen, die Stammwähler zu mobilisieren, sagte Benneter. Doch allmählich weiß man ja gar nicht mehr, wie viele es davon überhaupt noch gibt.
Flucht in den internationalen Vergleich
Mit seiner zweiten Erklärung flüchtete sich der Generalsekretär in einen internationalen Vergleich: Alle Regierungen in Europa, die ihre Länder reformierten ?und den Menschen viel abverlangen?, seien abgestraft worden, sagte Benneter. Trotzdem soll die Reformpolitik, oder das, was davon noch übrig ist, weitergeführt werden. ?Wir können unsere Politik nicht an Wahlterminen ausrichten?, dozierte Benneter. Die Auseinandersetzung mit der Union soll nun verschärft werden. Die SPD müsse den Wählern klar machen, dass als Alternative nur Konzeptionslosigkeit im Angebot sei. Das freilich ist ein mutiger Satz für den Generalsekretär einer Partei, deren Programm an diesem Abend aus völliger Ratlosigkeit bestand.
Im Hauptquartier der Bundes-CDU, dem Konrad-Adenauer-Haus am Tiergarten, war dagegen alles auf Hochstimmung hin ausgerichtet. Ein Spektakel wie zu einer Bundestagswahl wurde veranstaltet: Hunderte Gäste, erwartungsvolle Jungunionler, ein paar Leute auch aus den Reihen der CSU, dazu Dutzende Köche und ein Riesen-Buffet. Die Europaergebnisse waren zwar gut, gemessen an den Umfragen jedenfalls. Aber lange war nicht klar, ob Ministerpräsident Dieter Althaus in Thüringen die absolute Mehrheit geschafft hatte. Im überfüllten Foyer kam deshalb der zunächst größte Applaus bei der Verkündung der Thüringer SPD-Prognose auf: grottenschlecht! Als Stimmungsmacher trat dann CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer auf und verkündete mit breitem Grinsen seine Botschaft des Abends: Sieg der Union und der FDP, wenn auch nur in Europa, kurzum ein Vorbote für die Bundestagswahl 2006.
Applaus, erst zaghaft, dann frenetisch
?Die Menschen in Deutschland sehen eine bürgerliche Alternative zum rot-grünen Chaos?, interpretierte Meyer sich und dem Foyer das Ergebnis zurecht. Dabei reckte er den Arm in die Höhe, freilich ohne großen Jubel zu erzeugen. Angela Merkel kam erst später ins dann schon halb leere Foyer, nämlich als klar zu sein schien, dass die Grünen in Thüringen unter fünf Prozent geblieben waren und damit die absolute Mehrheit von Althaus als sicher erschien. Unter erst zaghaftem, dann frenetischem Applaus verkündete sie, was ihre Anhänger hören wollten: ?Die Politik der Bundesregierung findet nicht die Unterstützung der Mehrheit in Deutschland.? Die Grünen wiederum waren entschlossen, sich an diesem Abend ebenfalls nur zu freuen. Und Grund haben sie: In Europa haben sie ihr Wahlziel erreicht. Sie sind zweistellig.
Das beste Ergebnis, das sie je bei einer bundesweiten Abstimmung erreicht haben, krähte der strahlende Grünen-Vormann Reinhard Bütikofer in die Mikrofone. Aber selbst bei den Grünen war Europa nach der ersten Prognose abgehakt. Die eigentliche Frage an diesem Abend war das Abschneiden in Thüringen. Schaffen sie es, oder müssen sie wieder draußen bleiben? Das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in Erfurt ist eine große Enttäuschung, zumal nach all dem Gerede über eine neue Koalitions-Option mit den Schwarzen. Da hilft auch nicht, dass Bütikofers Ko-Parteichefin Angelika Beer die Zitterpartie mit einem weiteren Superlativ schönredete: Egal ob sie im Erfurter Landtag sind oder nicht, es sei das beste Wahlergebnis im Osten seit zehn Jahren.
"Unsere kluge Spitzenkandidatin"
Den wahren Grund zur Freude bei den Grünen nannte Beer dann allerdings auch noch: ?Weder in Europa noch in Thüringen sind wir für unsere Regierungspolitik abgestraft worden.? Selten hat man Guido Westerwelle in den vergangenen Monaten so entspannt und zufrieden gesehen wie an diesem Sonntag. Minutenlang ließ sich Westerwelle mit der Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin beklatschen. Schließlich bat er auch alle Präsidiumsmitglieder mit auf das Podium, um den Wiedereinzug der Liberalen in das Europäische Parlament nach zehn Jahren zu feiern. ?Dies ist ein großartiger Erfolg für die FDP und zuallererst ein großartiger Erfolg für unsere kluge Spitzenkandidatin?, rief er den Anhängern zu, die so zahlreich wie seit langem nicht mehr in die Berliner Parteizentrale gekommen waren.
Immer wieder wurde Westerwelle von rhythmischen Klatschen unterbrochen, Pausen, die der Parteichef unter anderem nutzte, um Koch-Mehrin zu umarmen und ihr mit der Hand über die Schulter zu rubbeln. Über den Wahlausgang in Thüringen, wo die Liberalen erneut gescheitert waren, verlor Westerwelle dagegen nur ein paar kurze Sätze. Ein Achtungsergebnis habe Spitzenkandidat Uwe Barth errungen, verkündete er knapp. Die gute Stimmung wollte sich der FDP-Chef an diesem Tag ganz offenkundig nicht vermiesen lassen.
(SZ vom 14.6.2004) Quelle: http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/346/33313/
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